Geschichte: Hitlers Expansionspolitik im Zweiten Weltkrieg

    Aus WISSEN-digital.de


    Obwohl Hitler die gewaltsame Umgestaltung Europas zugunsten des deutschen "Lebensraumes" seit langem planmäßig angesteuert hatte, war Deutschland für einen großen Krieg nur unzulänglich vorbereitet.


    Das klingt seltsam angesichts der stählernen Durchschlagskraft der deutschen Heere, die alsbald in den Blitzkriegen sichtbar wurde, ist aber klar nachweisbar.

    In einer geheimen Denkschrift vom August 1936 hatte Hitler den Auftrag erteilt: "Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsbereit sein." Nach dem eigenen Zeitplan war also die Wirtschaft nicht kriegsbereit, als der deutsche Diktator sich zum Einfall in Polen entschloss; erst drei Jahre waren seit dem Rüstungsauftrag vergangen. Zwar besaß Deutschland im Spätsommer 1939 weit mehr fertige Panzer und Flugzeuge als die Nachbarn, aber die laufende Produktion stand bereits hinter der britischen zurück. Das galt noch mehr im Bereich der dritten Waffengattung. Nur 26 U-Boote waren einsatzbereit. Das Flottenprogramm, erst 1938 begonnen, zielte erst für 1944 auf volle Einsatzbereitschaft.

    So lässt sich sagen: Im Spätsommer 1939 stand eine Armee für harte, kurze Schläge bereit, aber das, was die Fachleute "Tiefenrüstung" nennen - eine grundlegende Umstrukturierung der ganzen Wirtschaft vom Frieden auf den Krieg - gab es in Deutschland bei Kriegsausbruch nicht. Damit würde es auch noch eine Weile dauern - im Sinne der deutschen Zielvorstellungen ein Versäumnis, das sich rächen sollte.

    Die grandiosen Anfangserfolge nährten die schöne Täuschung. Anscheinend konnte niemand auf der Welt dieser Kriegsmaschine widerstehen. Das lag an der Schwäche der Gegner ebenso wie an dem modernen militärischen Konzept des Bewegungskriegs bei enger Zusammenarbeit zwischen Bodentruppen und Luftwaffe.


    In den dreißiger Jahren hatten vorausschauende operative Denker (Charles de Gaulle in Frankreich, Heinz Guderian in Deutschland) der Panzerwaffe Gewicht gegeben, das Konzept eines motorisierten Krieges entworfen. Dazu kam nun die forcierte Entwicklung der Luftwaffe durch den einstigen Jagdflieger und energischen Organisator Hermann Göring. Hitler war technisch aufgeschlossen und dachte darin modern. Das alles führte zu einer taktischen Einstellung, die von Anbeginn aus den Denkbahnen des unglücklichen Stellungskrieges von 1914/18 herausführte.

    Als die deutschen Sturzkampfflugzeuge (Stukas) und motorisierten Erdverbände am 1. September 1939 über Polen herfielen, zerschmetterten sie binnen Tagen, wenn nicht Stunden, die polnische Illusion, man werde umgekehrt bald vor Berlin stehen. Ein tragisches Bild: polnische Lanzenreiter gegen deutsche Panzer. Achtzehn Tage dauerte der eigentliche Feldzug, dann war die polnische Armee zerschlagen.

    Gemäß dem geheimen Zusatzabkommen zum Nichtangriffspakt vom August 1939 besetzten die Sowjets jene ostpolnischen Regionen, die ihnen als Interessensphäre zugesprochen waren.


    Sie betrachteten diese Gebiete mit zum Teil mehrheitlich ukrainischer Bevölkerung als eine Rückgewinnung, nachdem der britische Außenminister George Curzon diese Linie 1920 als Grenze vorgeschlagen hatte. In der Folgezeit gingen die Sowjets daran, auch die übrigen Territorialansprüche durchzusetzen, die ihnen Hitler unter (beiderseitiger) Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes der kleinen Völker zugestanden hatte: Bessarabien, Baltikum, Finnland. Am kompliziertesten erwies sich dabei der sowjetische Versuch, das finnische Karelien zu gewinnen. Die Finnen leisteten erfolgreichen Widerstand, die Angreifer litten unter den Folgen der stalinistischen "Säuberungen", verfügten noch nicht wieder über ein leistungsfähiges Offizierskorps. Die internationale Stimmung wendete sich scharf gegen den Imperialismus der Sowjets.

    Erst im März 1940 sah Finnland sich genötigt, in einem Diktatfrieden Teile Kareliens abzutreten, Transitrechte einzuräumen und die Halbinsel Hangö zu verpachten. Um diese Zeit endete der tatenlose Krieg im Westen.


    Nach dem deutschen Einfall in Polen hatte England, getreu seiner Beistandszusage an Warschau, dem Deutschen Reich den Krieg erklärt - zum fassungslosen Erstaunen Hitlers -, und Frankreich war an Englands Seite getreten. Zunächst aber geschah nichts. Deutsche und französische Truppen lagen einander in den Festungssystemen gegenüber, kaum ein Schuss fiel.

    Am 10. April 1940 besetzte die Wehrmacht Dänemark und Norwegen, um einer britischen Invasion zuvorzukommen. Unter erheblichen Verlusten der deutschen Seestreitkräfte wurde der Widerstand sowohl der Norweger (die Dänen kapitulierten fast kampflos) wie auch des britischen Landungskorps zum größten Teil ziemlich rasch überwunden; nur in Narvik dauerten schwere Kämpfe bis in den Juni. Dann erst war Norwegen unter deutscher Herrschaft.


    Inzwischen hatte am 10. Mai der Westfeldzug begonnen - das staunenswerteste Militärunternehmen des Zweiten Weltkriegs. In Erinnerung an die Unüberwindbarkeit Frankreichs im Ersten Weltkrieg hatte niemand damit gerechnet, dass der vermeintliche Militärriese innerhalb von sechs Wochen gefällt sein würde. Dazu trug nicht nur das Missverhältnis einer voll angriffsorientierten deutschen Strategie und einer passiv eingestellten französischen Heeresführung bei, sondern auch das kühne Konzept des unerwarteten Panzerdurchstoßes durch die Ardennen, ein von General Erich von Manstein entwickelter Plan.

    Unter Neutralitätsbruch gegenüber Holland und Belgien (wie im Falle Belgiens schon 1914) umging die Wehrmacht die französische Festungslinie und neutralisierte deren Abwehrkraft durch Umfassung von hinten. Die Besetzung von Paris und die Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 waren Hitlers größter Triumph. In den letzten Kampftagen hatte Mussolinis Italien sich noch an der Beute zu beteiligen versucht und war in Südfrankreich einmarschiert.


    Die Bedingungen für Frankreich unter seinem neuen Staatschef, Marschall Philippe Petain, dem Helden von Verdun, fielen relativ maßvoll aus; Südfrankreich blieb zunächst unbesetzt. General de Gaulle setzte als "das Gewissen Frankreichs" von London aus und in den Kolonien den Kampf fort. Diese Einstellung teilten längst nicht alle Franzosen. Neben dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung (Résistance) bestand in Frankreich wie in anderen westlichen "Feindländern" eine verbreitete Bereitschaft zur Kollaboration.

    Hitlers Hauptziel wurde jetzt die Überwindung Englands. Die Marine scheute allerdings ein Landeunternehmen, das dann auch nach unzulänglicher Vorbereitung bei Beginn der Herbststürme 1940 abgesagt wurde. Zu dem Zeitpunkt hatte sich überdies die deutsche Luftoffensive praktisch totgelaufen.


    Die deutschen Bombenangriffe gegen London und andere Städte (Zerstörung Coventrys) provozierten den Vergeltungswillen Großbritanniens, der sich alsbald in Terrorangriffen englischer Flugzeuge gegen deutsche Städte äußerte -, bewirkten militärisch aber nichts; vielmehr ging ein Großteil der deutschen Jagdflugzeuge in Gefechten über England verloren.

    Zu diesem Zeitpunkt muss Hitler den Entschluss gefasst haben, die Entscheidung gegenüber England zu vertagen und sich zunächst gegen Russland zu wenden; in der Erwägung, dass Großbritannien so lange Widerstand leisten würde, wie es Deutschland noch von Russland bedroht sehen konnte.

    Napoleons Kalkulation von "Englands Festlandsdegen" kehrte getreu wieder - und zum zweiten Mal war das Scheitern des Angreifers programmiert ...

    Hitler, der im Kampf gegen Russland obendrein seine jahrzehnte alte Idee verwirklichen wollte, im Osten Siedlungsraum für Deutschland zu gewinnen, ließ seit Herbst 1940 das "Unternehmen Barbarossa" operativ vorbereiten. Der Angriffstermin (Mai 1941) wurde allerdings durch unerwartete Entwicklungen auf dem Balkan hinausgezögert. Zu Italiens Misserfolgen im Kampf gegen Griechenland kam ein Putsch in Belgrad, der den Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt (Deutschland-Italien-Japan) vom 25. März 1941 hinfällig machte. Hitler griff militärisch ein, die deutschen Truppen konnten aber unter den gegebenen Umständen keinen isolierten Jugoslawienfeldzug führen und Griechenland ausklammern.


    Die Operationen wendeten sich zeitgleich gegen beide Länder (6. April 1941) und endeten erwartungsgemäß rasch, noch im April. Die verlustreiche Eroberung Kretas aus der Luft in der zweiten Maihälfte beendete zwar die Balkankämpfe, doch blieben starke militärische Kräfte Deutschlands gebunden, zumal sich in Jugoslawiens zerklüfteter Bergwelt eine ernst zu nehmende Partisanenbewegung unter Josip Broz Tito formierte.

    Der Mittelmeerraum war nun voll in den Krieg einbezogen, denn schon seit Jahresende 1940 kämpfte ein deutsches Afrikakorps unter General Erwin Rommel in der Wüstenregion zur Unterstützung der erfolglosen italienischen Bundesgenossen gegen die Engländer.

    Militärisch sollte es sich als schwerer Nachteil erweisen, dass der Balkanfeldzug den Ostkrieg um fünf Wochen hinausschob. So setzte sich die gigantische Truppenmacht des nationalsozialistischen Heeres, die größte, die die Welt gesehen hatte, drei Millionen Mann, erst im Morgengrauen des 22. Juni 1941 in Bewegung. Bis heute ist nahezu unerklärlich, warum Stalin dem gewaltigen Aufmarsch, der keinem Geheimdienst hatte entgehen können, tatenlos zugesehen hat.


    So brach denn eine militärische Tragödie namenlosen Ausmaßes über Russland herein. Riesige Kesselschlachten mit Hunderttausenden Gefangenen gaukelten der deutschen Führung zum letzten Mal das Trugbild des "schon fast gewonnenen Krieges" vor. Noch entsprach die Rote Armee weithin dem Bild, das die deutschen Heerführer am Maßstab des finnischen Winterkrieges durchweg von ihr entworfen hatten. Man kann sagen: Zu dieser Zeit retteten nur der weite Raum und die schier unerschöpfliche Menschenzahl in Uniform den Sowjetstaat vor dem Zusammenbruch. Und dann kam der stärkste Verbündete: der Winter.

    Stalins Sorglosigkeit wurde durch Hitlers Leichtfertigkeit wettgemacht. Er hatte 153 Divisionen ohne Winterausrüstung in den Osten geschickt, darauf spekulierend, schon vorher werde alles zu Ende sein. Der frühe Wintereinbruch ließ den deutschen Vorstoß auf Moskau in Schneewehen stecken bleiben. Am 8.12.1941 erging die Führerweisung Nr. 39: "... Übergang zur Verteidigung". Das war die - zumindest symbolische - Kriegswende.