Geschichte: Spätes Griechentum

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    Die makedonische Epoche, deren Blütezeit im Grunde nur auf Philipp und Alexander beschränkt bleibt, hat so wenig mit der politischen Tradition des Griechentums zu tun, dass man sie kaum als dessen Leistung verstehen kann. Sie wurde den Polisgriechen aufgezwungen, und ihre verfassungsmäßige Entwicklung, die in der orientalisierenden Herrschaftsform Alexanders und seiner Nachfolger in den späteren Teilreichen gipfelte, wurde von ihnen als barbarisches Machtgebilde und asiatische Despotie verabscheut.


    Die makedonische Machtkonzentration vollbrachte allerdings eine Leistung, zu der der Stadtstaat nicht fähig war: die Niederwerfung des großen persischen Gegners. Innerhalb weniger Jahre zwang Alexander das Perserreich in die Knie und machte sich an die Gestaltung eines neuen Weltreichs unter makedonischer Führung. Sein Ziel war die Verschmelzung von Griechen, Makedoniern und Persern zu einer neuen Oberschicht (Massenhochzeit makedonischer Soldaten mit persischen Frauen in Susa), der Zusammenschluss aller eroberten Länder zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Kulturraum und die Schaffung eines die völkischen Grenzen überwindenden Reichsbewusstseins. Alexanders Pläne indes trugen zu sehr das Gepräge seiner einmaligen Persönlichkeit und ihre Verwirklichung war zu eng an seine eigene Person geknüpft, als dass sie Grundlage einer künftigen Entwicklung hätten werden können.

    Nach Alexanders frühem Tod 323 v.Chr. kämpften seine Feldherrn mehrere Jahrzehnte um die Nachfolge im Gesamtreich oder für die Verselbstständigung bestimmter Teile. Als 301 Antigonos, der letzte Vertreter des Einheitsgedankens, fällt, zerbricht das Imperium in die Diadochenreiche: Der größte Nachfolgestaat war das von Seleukos begründete Seleukidenreich, das Mesopotamien, den Ostraum von Alexanders Reich, Syrien und Kleinasien umfasste. Über Ägypten, Palästina, Zypern, Kyrene und die kleinasiatische Südküste herrschten die Ptolemäer und in Makedonien und Griechenland die Antigoniden, die Nachkommen des Antigonos.


    Diesen Nachfolgereichen war allerdings keine lange Lebensdauer beschieden. Die Dynastie der Ptolemäer behauptete sich lediglich in Ägypten, bis dieses 30 v.Chr. in den römischen Herrschaftsbereich einbezogen wurde. Makedonien geriet bereits 168 nach der Niederlage des König Perseus im Dritten Makedonischen Krieg (171-168) unter römische Gewalt. Da der Achäische Bund an diesem Krieg beteiligt war, wurde Korinth von den Römern zerstört, die aufsässigen Städte der Aufsicht des römischen Statthalters unterstellt. Sparta, Athen, Delphi und andere behalten ihre Autonomie. Aber in der Praxis herrschten jetzt in ganz Griechenland die Römer. Ein Jahrhundert später (63 v.Chr.) erleidet das Seleukidenreich durch den römischen Feldherrn Pompejus das gleiche Schicksal.

    Diesem politischen Abstieg der griechisch-makedonischen Welt steht freilich eine großartige kulturelle Expansion gegenüber. Dem Griechentum wurde das Tor zum Osten aufgestoßen, zu einem Bereich, in dem es nun seinen kulturellen Einfluss geltend machte und aus dem es selbst wesentliche weiterführende Anregungen erhielt. Diese Epoche der sozialen und kulturellen Begegnung und Berührung, dieses Entstehen einer griechischen Weltkultur, nennt man das Zeitalter des Hellenismus.

    In die vielen von Alexander und seinen Nachfolgern gegründeten Städte (Beispiel: Alexandria im Nildelta) strömten mutterländische Griechen als Handwerker, Bauern, Händler, Unternehmer, Söldner und Beamte ein und verbreiteten dort griechisches Wesen, griechische Sitten und Kultur. Sie wohnten in eigenen Stadtvierteln, getrennt von den Wohnbezirken der Einheimischen. Gutes Klima und einwandfreies Wasser begünstigten das Leben in diesen planmäßig angelegten Städten mit Markt, Herrscherpalast und Heeresunterkünften als Hauptzentren. An den Fürstenhöfen der Diadochen wurden griechische Kultur und Wissenschaft gepflegt. Universitäten wurden gegründet.


    Pergamon und Alexandria entwickeln sich neben Athen zu Zentren der Kunst und der Wissenschaften. In der Philosophie entsteht eine Reihe neuer Schulen: Kyniker, Epikureer, Stoiker, Peripatetiker; die Komödie erlebt eine Blüte: Philemon und Leander. Kallimarchos von Kyrene, der klassische Dichter der hellenistischen Zeit, schreibt neuartige Hymnen und Epigramme. Auch die Naturwissenschaft steht in hohem Kurs: Euklid schreibt sein berühmtes Lehrbuch der Geometrie, Archimedes arbeitet über die Mechanik, Aristarchos von Samos entwirft ein heliozentrisches Weltbild. Weiter zu nennen sind die Geographen Eratosthenes und Hipparchos und die bedeutenden Mediziner Herophilos und Erasistratos, die durch Sektionen am menschlichen Körper die ersten wichtigen empirischen Erkenntnisse über vergleichende und pathologische Anatomie gewannen.

    Das Griechische aber wurde neben dem Aramäischen, der Sprache Jesu - das biblische Hebräisch war nur Gelehrtensprache und heiligen Texten vorbehalten -, zur verbindenden, die unzähligen orientalischen Dialekte übergreifenden Gemeinsprache der Alten Welt, zum Mindesten ihrer wirtschaftlich, politisch und geistig führenden Schichten.

    Im weiten Raum des Alexanderreiches und in seinen späteren Teilgebieten waren die Griechen bald auch wirtschaftlich die führende Oberschicht; die alteingesessene Bevölkerung musste sich mit einer untergeordneten Position begnügen, wenn sie nicht gar zu der immer größer werdenden Sklavenschicht gehörte, deren Wachstum die fortdauernden Diadochenkriege beschleunigten. Einer wirtschaftlichen Blüte durch die großräumigen Handels- und Kulturbeziehungen standen so auch starke soziale Spannungen gegenüber. Das Zeitalter des Hellenismus zeigt ein Doppelgesicht: hohe geistige, technische und wirtschaftliche Leistungen stehen unvermittelt neben Massensklaverei und Verelendung.