Geschichte: Das Griechische Mittelalter

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    Die ersten vier Jahrhunderte dieser Epoche, die vom 12. Jahrhundert bis zum Beginn der Perserkriege (500 v.Chr.) reicht, trugen deutliche Zeichen des Niedergangs ("Dunkles Zeitalter"). Bis etwa 750 dauerte dieser Abschnitt der griechischen Geschichte, über den wenig bekannt ist. Nur die Entwicklung der Vasenmalerei vom realistischen Stil der mykenisch-kretischen Kultur zu geometrischen Formen mit rein linearen Schmuckelementen - Ringen und Bändern - sowie das Entstehen erster Eisenprodukte (Gewandnadeln, Eisenwerkzeuge) werfen ein Licht auf die geistigen Errungenschaften dieser Zeit.


    Erst allmählich kommt es zur Ausbildung neuer politischer und kultureller Ordnungen: Die Entwicklung der Polis, die Schaffung der griechischen Alphabetschrift, das Wirken Homers und der Beginn der Olympischen Spiele sind Marksteine auf diesem Weg.

    Im 8. Jahrhundert wird das Königtum durch den Adel entmachtet, der gestützt auf Landbesitz und eine große Gefolgschaft von Hintersassen und Hörigen die Herrschaft übernimmt. Lediglich in den Randzonen (Makedonien, Epiros) besteht es unter Einschränkung seiner Gewalt weiter. Es kommt zur Einführung der "Oligarchie" ("Herrschaft der Wenigen"), von denen die "Vielen" (Freie, Halbfreie, Sklaven) beherrscht werden.

    Die stark gegliederte Landschaft der mittleren und südlichen Balkanhalbinsel hat diesen Vorgang gewiss begünstigt.

    Dieses 8. Jahrhundert, das erste einer sich festigenden Welt des Griechentums, ist das Jahrhundert Homers genannt worden. Die homerischen Epen "Ilias" und "Odyssee", die früheste Literatur der Griechen überhaupt, stehen in einer alten Tradition des Heldengesangs. Sie tragen die Erinnerung an das heroische Zeitalter der mykenischen Kultur in die neue Zeit der Kolonisation hinüber; auf ionischem Kolonisationsboden sind sie entstanden.


    Homer schildert den Kampf um Troja (in Kleinasien). Seine Dichtung spiegelt die Weltanschauung und das Lebensgefühl der neuen Adelsgesellschaft, die durch Freude an Kampf und Sieg, Verlangen nach Besitz, Ruhm und Beute gekennzeichnet ist. Die Adelskultur wurde zum verbindenden Element über Stammesgrenzen und Herrschaftsbereiche hinweg - sie wurde gepflegt durch die fahrenden Sänger, die ihre Heldenlieder an den Herrensitzen ihrer adligen Gastgeber vortrugen, aber auch durch den adligen Wettkampf, den Agon. Wenn auch mit völlig veränderten geistigen Inhalten, so doch in der Form verwandt, wiederholten sich in der ritterlichen Gesellschaft des europäischen Mittelalters viele dieser griechischen Adelssitten (Spielleute, Ritterturniere).

    In den Göttergestalten der homerischen Dichtungen dokumentiert sich auch eine aus langer Entwicklung nun allmählich entstehende gemeingriechische Glaubenswelt; die religiöse Zersplitterung des frühen Griechentums war damit überwunden. Die Verehrung der gleichen Götter an zentralen Kultstätten der einzelnen Stämme und Landschaften führte die Griechen immer wieder zu festlichen Wettkämpfen oder zur Befragung von Orakeln zusammen und bildete ein einigendes Band über die Stammesgrenzen hinweg. Der höchste Gott, Vater Zeus, war die griechische Erscheinungsform des alten indoeuropäischen Himmelsgottes. Mit ihm thronen nach der Vorstellung des Dichters Hera, Aphrodite, Pallas Athene, Ares, Apollo und Poseidon auf dem höchsten Berg Griechenlands, dem Olymp. Aber sie alle sind weder allmächtig noch allwissend, denn über ihnen waltet die Moira, die Allgewalt des Schicksals, der Menschen- und Götterwelt gleichermaßen unterworfen sind.

    Ein zuverlässiges Bild der Spiele zu Olympia in Elis geben uns die mit dem Jahre 776 einsetzenden Siegerlisten. Ursprünglich wurden nur Adlige der peloponnesischen Halbinsel als Teilnehmer verzeichnet, schließlich aber kämpften Griechen aller Landschaften, auch Nichtadlige, um den Sieg. In Delphi, wo das Orakel des Apoll seit dem 8. Jahrhundert maßgebend für alle politischen Fragen war, wurden gleichfalls Spiele abgehalten, ebenso am Isthmos von Korinth zu Ehren des Meeresgottes Poseidon und in Nemea in der Argolis zu Ehren des Zeus. Ursprünglich wurzelten diese Spiele im religiös-kultischen Bereich, doch zunehmend wurden sie vom Geist des kämpferischen Wettbewerbs in Sport, Dichtkunst und Musik beherrscht.


    Die innere Entwicklung der griechischen Welt wurde seit dem 8. Jahrhundert immer stärker bestimmt durch die Ausbildung kleiner Macht- und Herrschaftszentren. Es entstand der griechische Gemeindestaat, die Polis. Sie war zunächst die Gemeinschaft aller Siedlungen im Stammesbereich, später wurden Begriff und Name auf eine Stadt und das umliegende Gemeindeland begrenzt. Städtische Siedlungen, oft überragt von der Burg eines alten Herrensitzes, die ursprünglich nicht mehr war als ein verteidigungsbereiter Bauernhof, und flaches Land bildeten so eine Einheit. Innen- und außenpolitische Selbstständigkeit (Autonomie und Eleutherie), verbunden mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit (Autarkie) sind ihre Merkmale, sie war Sitz der schützenden Landesgötter, in ihr tagten der Rat der Alten und die Volksversammlung. Der völkerrechtliche Verkehr der Stadtstaaten untereinander wird durch Friedensschlüsse und Bündnisverträge geregelt. Ihre Bewohner nannten sich nach dem Namen der Stadt: Athener, Korinther, Milesier (nach Milet).

    Die griechische Polis war auch Ausgangsbasis der Kolonisation. Sie führte die Griechen auf die See hinaus, in die Ägäis zunächst, aber auch ins westliche Mittelmeer, nach Unteritalien, Sizilien und Südfrankreich; Massilia (heute Marseille) und Syrakus (auf Sizilien) sind die berühmtesten Beispiele griechischer Kolonien im Westen. Von der Südküste Frankreichs aus, von Massilia, das kleinasiatische Phoker angelegt hatten, wirkte griechische Kultur auf die vorindogermanischen Ligurer und Iberer, noch bevor im 5. Jahrhundert die Kelten (Gallier) von Osten her das Land besetzten. Die Gründe für diese zweite Welle der griechischen Kolonisation (um 750 bis 550 v.Chr.) liegen in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der voran gegangenen Epoche. Es galt vor allem, dem Bevölkerungsüberschuss der Heimat ein Ventil zu öffnen, da die vorwiegend agrarische Wirtschaftsform zur Ernährung der wachsenden Bevölkerung nicht ausreichte. In den Agrar- und Handelskolonien boten sich Möglichkeiten, die das Mutterland nicht mehr geben konnte.

    Der griechische Getreideanbau hatte nie ausgereicht, die Einwohner des Mutterlandes zu ernähren. Doppelt so viel wie erzeugt wurde (etwa 200 000 Hektoliter), musste eingeführt werden. Auch die Möglichkeiten für Weinbau, Olivenpflanzung und Viehzucht waren begrenzt.

    Die Kolonisationsbewegungen bildeten die Grundlage für das Aufkommen eines gesamtgriechischen Bewusstseins. In der Bezeichnung "Hellenen" (in Abgrenzung zu den "Barbaren", den Nichtgriechen) fand es seinen sprachlichen Ausdruck.


    Der Stolz auf gemeinsame Abstammung und Kultur und andererseits staatliche Zersplitterung, partikularistischer Sondergeist und der enge lokalpolitische Horizont blieben so die widerstreitenden Kräfte der Geschichte der griechischen Welt.

    Die neuentstehenden Gemeinwesen waren Gemeindestaaten wie die Mutter-Polis in der Heimat und blieben als Tochtergründungen durch die Bande der Religion, der Sitte und des Brauchtums eng mit ihr verbunden. Stadtrecht, Phylenordnung (militärische Gliederung eines Stadtbezirks), Kult, Feste und Kalender wurden übernommen, doch gab es keine politische Abhängigkeit von der Mutterstadt. So entwickelte sich in den Kolonien ein Heimatgefühl, das den Griechen auch in bedrohter Lage das Ausharren leichter machte.

    In das 7. und 6. Jahrhundert fällt eine Blüte der griechischen Lyrik und Philosophie. Archilochos aus Paros und Semonides aus Samos entdecken die Subjektivität, das eigene Ich. Tyrtaios und Mimnermos aus Kolophon begründen die Gattung der Elegie. Die aus Lesbos stammende Sappho dichtet erste Liebeslieder.

    Mit der ionischen Naturphilosophie beginnt die Loslösung von der mythischen Tradition. Man stellt die Frage nach Anfang, Urgrund und Ursache allen Seins, nach Ordnung und Wandel im Kosmos (Anaximander, Anaximenes, Pythagoras, Heraklit). In der Kunst setzt sich die Monumentalplastik durch, die Architektur entwickelt den Steinbau (Tempel).