Geschichte: Indien

    Aus WISSEN-digital.de


    Wie am Nil oder im Zweistromland ist die frühe indische Hochkultur im Einzugsgebiet eines großen Stromes, des Indus, entstanden, der dem ganzen Subkontinent den Namen gegeben hat. Schon zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends tauchen bei Mohenjo Daro am Unterlauf und in Harappa im Gebiet der Quellflüsse (Pandschab = Fünfstromland) städtische Siedlungsformen auf. Sie erlebten etwa von 2500 bis 1800 in der Harappa-Epoche ihre Blütezeit. Metallverarbeitung (Bronze) und Töpferscheibe waren bekannt. Die Städte waren systematisch nach astrologischen Gesichtspunkten angelegt, hatten mehrstöckige Häuser aus gebrannten Ziegeln mit Bädern und Kanalisation.

    Ob die Harappa-Kultur ohne äußere Einflüsse entstanden ist, lässt sich nicht schlüssig beantworten. Ein gewisser Austausch mit den mesopotamischen Kulturen ist jedoch nachweisbar. Im Zuge der ersten indogermanischen Wanderung stießen Streitwagen-Stämme zunächst nach dem Iran vor, spalteten dort einen Zweig nach Osten ab und drangen um 1500 v.Chr. durch die "Völkerpforte", den Khaiber-Pass, ins Pandschab ein.

    Diese Einwanderung der Arier (Arya = Edle), wie sich die Eroberer selbst nannten, führte zum raschen Erlöschen der Induskulturen. An ihre Stelle trat das Hirtennomadentum der Neuankömmlinge, die später auch sesshaft wurden. Die Arier sahen sich als das "Herrenvolk": Die Urbevölkerung, die Drawida, musste sich bedingungslos unterwerfen, oder sie wurde vernichtet. Auf dem Gegensatz zweier Rassen, den hellhäutigen Eroberern und den dunkelhäutigeren Drawida, beruhte bis in unser Jahrhundert hinein das Grundprinzip des indischen Kastensystems: Der arische Adel bildete die höchste Kaste der Krieger, in der zweiten Reihe stand die brahmanische Priesterschaft, die dritte Kaste bildeten die arischen Bauern, die keine Rassenmischung eingegangen waren, und die vierte Kaste der "Unberührbaren" oder Paria bestand aus den Drawida und Ariern, die sich mit ihnen vermischt hatten.

    Von den Ariern waren die Veden, religiöse Hymnen, mitgebracht worden. Sie bilden die Grundlage der brahmanischen Religion.

    Am Ende der Eroberungsperiode, der so genannten frühvedischen Zeit, trat das Priestertum der Brahmanen vor dem Kriegeradel an die erste Stelle in der sozialen Schichtung des Volkes. Es hütete das Wissen um die heiligen Dinge. Seine gelehrte Sprache war das Sanskrit; seit 800, in spätvedischer Zeit, wurde auch eine nach semitischen Vorbildern entwickelte Schrift gebraucht. Nach der Brahmanenlehre ist "Rita", die Wahrheit, eine unpersönliche höchste Macht, die aus dem Verborgenen heraus den gesamten Weltablauf regelt. Die gleiche Vorstellung enthält das altiranische (altpersische) Avesta unter dem Namen Asha, es erinnert zugleich an die griechische "Moira". Der Rita stehen zahlreiche Göttergestalten gegenüber, die Naturerscheinungen verkörpern, wie etwa Ushas, die Morgenröte, als verführerisches Weib dargestellt, oder Surya, der Sonnengott, ein Jüngling, der auf seinem mit Flügelrossen bespannten Wagen den Himmel durcheilt (das Bild der Sonne!), oder Agni, der Feuergott. Eine Art vergöttlichte Siegfriedgestalt ist Indra, der die Dämonen, die Feinde der Götter, bekämpft und den Urdrachen Vritra tötet, wodurch er die himmlischen Wasser befreit, die auf der Erde danach erst das Leben erwecken.

    Die sich nach und nach entwickelnden religiös-philosophischen Ideen sind freilich nicht mit der rationalen Denktechnik westlicher Welt zu vergleichen, sondern behielten immer einen mystischen Charakter bei. Die beiden Hauptvorstellungen des Brahmanismus sind die Idee vom Urgrund der Welt, dem Göttlichen, dem Brahman, und die Vorstellung von Atman, der inneren Kraft der Einzelseele. Ihre Vereinigung bringt erst die Erlösung von allem irdischen Leid. Beide Kräfte stehen in schöpferischer Spannung zueinander. Der Begriff des Brahman aber ist doppelgesichtig. Er meint in einen pantheistisch-atheistischen Sinne "das Eine" des wesenlosen Kollektiven, verbinde damit aber die monotheistische Vorstellung von "dem Einen", das heißt von Gott. Am Ende dieser religiösen Ideenentwicklung steht die Vorstellungswelt der Upanishads, der Fortsetzung der "Brahmanas" genannten theologischen Schriften in den Veden. Sie enthalten die Lehre vom ewigen Kreislauf, von der Wiedergeburt und Wanderung der Seele, ein Geschehen, in das alle Menschen, aber auch Götter und Dämonen, ja alle Kreaturen einbezogen sind.

    Das sittliche oder unsittliche Verhalten in einem Leben bestimmt Lust oder Qual des folgenden. Vielleicht spiegelt sich in diesen religiösen Ideen die seelische Entwicklung der Einwanderer in den fremdartigen tropischen Lebensraum. Die zupackend-optimistische Lebensanschauung der Frühzeit tritt zurück. Die Erlösungssehnsucht wird zur bestimmenden Daseinsmacht, ebenso der Glaube, aus dem ewigen, leiderfüllten Kreislauf durch das Aufgehen des Ich in ein leid- und todenthobenes Nicht-Ich, das große "Brahman", entfliehen zu können.

    Die politische Entwicklung im vedischen Indien wurde ebenfalls durch das erbitterte Ringen der Eroberer mit der einheimischen Bevölkerung bestimmt, aber auch der arabischen Einwandererstämme untereinander, die einzelne Teilreiche gründeten.

    So zeichnen sich verschiedene Völker und Herrscherpersönlichkeiten in dieser Epoche ab, etwa die Kurus mit der Ebene nördlich von Delhi als Stammland.

    Südöstlich davon bildeten die Panchalas mit ihnen gemeinsam die Träger brahmanischer Kultur. Der Fluss Gandaki bildete die Grenze beider Staaten gegenüber weiter östlich gelegenen Reichen, unter denen der Staat Viheda mit seinem König Janaka hervorsticht. Er veranstaltete an seinem Hof große Redeturniere zwischen den Brahmanen des Westens und den Priestern seines Landes, in denen um tiefe religiöse Einsichten gerungen wurde.

    Nur dunkel und mit mythenhaften Motiven durchsetzt ist das Bild, das die indischen Heldenepen - gleich denen Homers für das heroische Zeitalter der Griechen - vom Heldenzeitalter der frühen indischen Stämme zeichnen. Geschichtlicher Kern ist aber sicherlich der große Kampf, den zwei Herrengeschlechter um das Reich der Kurus ausfochten. Man darf dieses Ereignis für die Zeit von 1000 bis 800 v.Chr. ansetzen. Darüber berichtet das Epos Mahabhamta in allen Einzelheiten, so wie Homer in seiner Ilias über den Trojanischen Krieg. Offenbar waren alle Völker Altindiens in dieses große Ringen verwickelt, das von dem Geschlecht der Pandavas im Triumph über ihre Gegner, die Kurus, gewonnen wurde.

    Am Ende der vedischen Periode bahnte sich die geschilderte Erstarrung der Gesellschaftsordnung Indiens, des Kastenwesens an. Bis in die Gegenwart hinein hat es die Geschichte Indiens geprägt. Neben den vier obersten Kasten bildeten die einfachen Volksschichten viele Sonderkasten nach Berufsgruppen aus.

    Eine neue Epoche politischer und religiöser Sammlung begann mit dem Zeitalter Buddhas (etwa 560-483). Die religiöse Vertiefung ging der politischen Konzentration voraus. Gautama Buddha (d.h. "der Erwachte") verließ mit 29 Jahren seinen Geburtsstand, den fürstlichen Kriegeradel, und gründete eine Gemeinschaft, deren Anhänger den "mittleren Pfad" zwischen Lebensbejahung und Askese (Weltflucht) gehen lernten nach ihres Meisters Vorbild.

    Buddha begab sich nach Benares, wo er seine über die Offenbarung der Veda hinweg gehende große Predigt hielt. Der Grundzug seiner Lehre ist die Sinn- und Wesenlosigkeit alles Irdischen. Ziel ist das in der Tiefe der Schöpfung, durch Versenkung in die Tiefen der Seele zu findende Nirwana.

    Als fünf Grundregeln menschlichen Verhaltens gelten: Lebendige Dinge sollen nicht geschädigt werden, der geschlechtlichen Ausschweifung, der Falschheit und der berauschenden Getränke soll man sich enthalten und soll nichts nehmen, was nicht gegeben wird. Buddha predigte die tätige Nächstenliebe als sittlich-religiöse Pflicht. "Dies, ihr Mönche ist die heilige Wahrheit von dem Pfad zur Aufhebung des Leidens: Es ist der heilige achtgliedrige Pfad, der da heißt: rechter Glaube, rechtes Entschließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechte Gedanken, rechtes sich Versenken." Wer seiner Lehre und ihren Sittenregeln folgt, wird durch höhere Wiedergeburt als glücklicher Mensch oder Gott belohnt. Ins Extreme hinein wurde Buddhas Lehre durch Mahavira, seinen Zeitgenossen, weitergebildet. Askese bis zum Hungertod erscheint bei ihm als bester Weg ins Nirwana. Neben diesen Richtungen des Buddhismus aber hielt sich die mehr volkstümliche Bhagavata-Religion der Hindus, die in Vishnu einen persönlichen Gott anbetet, dessen erlösende Gnade dem zuteil wird, der ein sittlich gutes Leben führt. Als Buddha starb, war seine Lehre in Nordindien durch die von ihm gegründete Gemeinschaft weit verbreitet.

    Entscheidend wurde für Indiens Geschichte, dass nach dem Zwischenspiel des Alexanderzuges, der im Indusraum seine Grenze fand, die politische Zersplitterung des größten Teils der Halbinsel durch die erste Großreichsbildung auf indischem Boden ihr Ende fand. Der Zusammenschluss war die Leistung der Maurya-Dynastie, aus der um 250 die vielleicht bedeutendste Königsgestalt der indischen Geschichte hervorging: König Ashoka. Unter ihm wurde der Buddhismus zur Hauptreligion Indiens.

    Seine Geschichte ist aus zahlreichen Regierungserlassen bekannt, die auf Felsblöcken und Steinsäulen eingemeißelt sind. Darin fordert er von den Untertanen die Einhaltung der vier Hauptgebote: Milde, Mitleid, Wahrhaftigkeit und Freigebigkeit. Das Mitleid richtet sich auf Mensch und Tier, Milde soll sich ausdrücken im Gehorsam gegenüber Eltern, Lehrern und in der Ehrerbietung vor dem Alter, in Freundlichkeit gegenüber Dienern und Sklaven, die menschlich behandelt werden sollen. Die Wahrhaftigkeit aber soll ergänzt werden durch Selbstbeherrschung, damit Grausamkeit, Zorn und Hochmut vermieden werden. Ashoka machte selbst eine tiefgreifende Wandlung vom rücksichtslosen Eroberer zum entschiedenen Friedensfürsten durch, er betätigte sich innerhalb der buddhistischen Laienbewegung, verbrachte einige Zeit in einem Kloster, wo er wie ein Mönch lebte. Schließlich gab er auf einer Kirchenversammlung den Anstoß zu weitausgreifender Mission.

    Unter seiner Regierung wurde das Straßennetz verbessert, Schatten spendende Bäume und Schöpfbrunnen wurden längs der Straßenzüge angelegt. Der Medizin, der Hygiene und dem Tierschutz galten besondere Bemühungen des Königs.

    Die Sittenlehre Ashokas trennte Mönchs- und Laienmoral streng voneinander - das Streben nach dem Nirwana auf dem Weg der Askese ist nur dem Mönch aufgegeben. Der König hat auch die buddhistische Kunst bedeutend gefördert. Gewaltige Kuppelbauten (Stupas), Klosteranlagen und Höhlentempel zeugen für Aktivität. Ornament und Relief mit religiösen Motiven ergänzen die Architektur. Ashokas Staat war durch eine straffe Gliederung des Verwaltungsaufbaus ausgezeichnet. Das Staatskerngebiet mit der Hauptstadt Pataliputra verwaltete der König selbst, vier Vizekönigtümer, von königlichen Prinzen geführt, beherrschten die anstoßenden Räume: das Fünfstromland im Nordwesten (Hauptstadt Taxila), Avanti im Westen (Ujjayini), Dekhan im Süden (Suvarnagiri, heute wahrscheinlich Kanakagiri in Haidarabad) und Kalinga im Osten (Tosali). In abhängigen Feudalstaaten des äußersten Südens und Nordwestens aber ließ sich der König durch seine Residenten vertreten.

    Der Staat war in Provinzen mit Gouverneuren an der Spitze gegliedert, die den Weisungen des Königs und der hohen Beamten unterworfen waren. Die obersten Beamten der Zentral- und Provinzialregierungen führten den Titel "Hoher Rat", sie waren in Regierungskollegien nach verschiedenen Aufgabengebieten zusammengefasst und unterstanden in den Vizekönigtümern ebenfalls unmittelbar der königlichen Weisung. Ashoka hat zum Beispiel, diese Ordnung seiner Vorgänger erweiternd, auch ein Kollegium der Räte zur Aufsicht über Zucht und Sitte sowie über die verschiedenen Religionsgemeinschaften und religiösen Orden geschaffen. Eine wichtige Rolle spielte der Hauptsteuereinnehmer, der mit Hilfe eines fein ausgebildeten Steuersystems die vielseitige wirtschaftliche Tätigkeit des Landes zu Leistungen an die Staatskasse heranzog. Goldsteuer und Naturalabgaben wurden nebeneinander erhoben. Es wurden Gewinne der Krongüter, Naturalsteuern aus dem Bodenertrag, Kirchensteuer, Binnenschifffahrtszölle, Schiffs-, Fähren-, Hafen-, Straßen- und Weidegebühren eingezogen. Städte entrichteten Einnahmen aus Zoll und richterlichen Strafen, Eich- und Passgebühren. Aus der Währungskontrolle, aus indirekten Steuern auf Herstellung und Verkauf von Likör, Öl, Butter, Schmalz und Zucker, ja sogar aus Lizenzen für gewerbliche und handwerkliche Unternehmer (Spielhölleninhaber!), flossen nicht geringe staatliche Einkünfte. So gab es Bezirks- und Revieraufseher (Revier = 5-10 Dörfer) als Unterorgane des Hauptsteuereinnehmers. Die besteuerbaren Werte in Dorf und Stadt waren in sehr genauen Verzeichnissen bis ins letzte festgelegt.

    Das Reich Ashokas ist wie das Alexanders nach seinem Tode wieder zerfallen. Indien erlitt Einfälle der Heere hellenistischer Diadochenherrscher, aber auch benachbarter Nomaden, wie der Skythen und Parther, die auf seinem Boden Staaten mit indisch-nomadisch-hellenistischer Mischkultur errichteten. Eine griechisch-buddhistische Mischkultur entstand hier mit der Gandhara-Kunst. Die Buddhastatuen zeigen indische Haltung und indisches Antlitz, aber hellenische Gewand- und Haartracht.

    Die große Kirchenversammlung in Pataliputra, an der über 1000 Mönche teilnahmen, beschloss und begann eine Missionstätigkeit größten Ausmaßes.

    Während nun die buddhistische Mission Innerasien, China und Japan eroberte, wo sie freilich eine Wendung ins Volkstümliche nahm, erstarrte der Glaube in Indien selbst und wurde hier vom Hinduismus verdrängt. Kräfte vorarischer Volksreligiosität regten sich, von den Brahmanen unterstützt, wieder. Der Hinduismus erscheint als eine sehr offene Form von Religiosität. Er stützt sich auf die Veden, lehrt Wiedergeburt und Vergeltung, verlangt strenge Bindung an die Kaste, in deren Rahmen der Mensch seine irdischen und religiösen Pflichten erfüllen soll. Verletzt er sie, so verliert er seine Mitgliedschaft in seiner Kaste und stürzt aus der Höhe seiner gesellschaftlichen Stellung hinab in die verachtete Schicht der Parias, der "Unberührbaren", der auch alle angehören, die einen ehrlosen Beruf ausüben. Die Göttergestalten des Vishnu und seines Gegenspielers, des vorarischen, bäuerlichen Fruchtbarkeitsgottes Shiwa, in dem zerstörende wie belebende Kräfte in gewaltiger Spannung vorhanden sind, wurden zu Hauptfiguren des Hinduismus. Shiwa wird oft tanzend dargestellt, ekstatische Tänze gehören in den Rahmen des ihm gewidmeten Kultes, seine Wesensart symbolisch zum Ausdruck bringend. Shiwas Gewalt wird ersehnt und gefürchtet zugleich. Über die von ihm ausgehenden zerstörerischen Kräfte Gewalt zu gewinnen, unternimmt der Anhänger der Yoga-Lehre auf dem Weg der Askese und der geistigen Konzentration.

    Nachdem das Reich der skythischen Kuschan Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. durch die persischen Sassaniden zerstört worden war, konnte sich zunächst in Nordindien wieder eine indische Dynastie, die Gupta, etablieren.

    Die Inder sehen in der Gupta-Periode (4.-6. Jahrhundert n.Chr.) ihr "goldenes Zeitalter". Ihre Residenz war Pataliputra, wo einst auch Ashoka residierte. Die Gupta gründeten ein Reich, das Nordindien fast gänzlich, dann Zentralindien und Sudakarat umfasste. Der Einfluss Indiens auf das europäische Abendland wuchs in dieser Zeit durch friedliche Handelsbeziehungen. Schachspiel, Dezimalsystem, Märchen und Legenden gelangten aus Indien nach Europa. Die Wörter Zucker, Pfeffer, Reis, Ingwer sind indische Lehnwörter. Ceylon wurde zu einer frühindischen Kolonialgründung im Süden. Indische Kultur strahlte nach Hinterindien und auf die Inseln des Malaiischen Archipels aus und hob die Bildungsstufe der Einwohner so, dass sich dort Staaten und Kulturen entwickelten. Die Tempel von Angkor Vat (in Hinterindien) und Borobudur auf Java sind Zeugen der indischen Kolonialkultur. Die Gupta-Epoche gilt so als klassische Epoche Indiens wie das Zeitalter des Perikles für die Antike. Waren die Inschriften Ashokas kurze, einfache Sätze, so sind die der Gupta große literarische Leistungen, die von dem Mäzenatentum der Fürsten zeugen. Der große Poet Kalidasa schildert in dem Drama Shakuntala die Liebe eines Königs zu dem Mädchen gleichen Namens. Goethe schrieb in seiner Begeisterung für diese Dichtung: "Hier erscheint uns der Dichter in seiner höchsten Funktion als Repräsentant des natürlichen Zustandes, der feinsten Lebensweise, des reinsten, sittlichen Bestrebens, der würdigsten Majestät und der ernstesten Gottesbetrachtung." Kalidasas Dichtungen waren für die Brüder Schlegel und für W. v. Humboldt Anlass zur Begründung der wissenschaftlichen Indologie in Deutschland.

    Als Europa im 5. Jahrhundert von den Hunnen heimgesucht wurde, blieb auch Indien nicht verschont. Um 510 erlang- ten die "weißen Hunnen" für kurze Zeit die Oberherrschaft in Nordindien. Die indische Geschichte vom 8. bis zum 10. Jahrhundert n.Chr. ist gekennzeichnet durch stetige Machtverschiebungen zwischen einzelnen bedeutenden Dynastien. Nordwest-, Nordost- und Mittelindien wurden dabei zu Schwerpunkten der Machtbildung. Daneben kam es zum ersten Einfall der Araber in Indien. Sie eroberten die Provinzen Sind und Multan, die sie islamisierten. Die beiden nordindischen Großmächte, die Gurjara-Pratiharas im Westen und die Pala-Könige in Bengalen, standen untereinander und mit den Rastrakutas im Dekhan im Ringen um die Vormacht über den Norden, wobei die südliche Dynastie die Herrschaft über die gesamte Halbinsel gewann. Neben diesen großen gab es noch eine Fülle kleinerer Dynastien, die das indische Land durch ihre dauernden Fehden in ständiger politischer Unruhe hielten. Dieses Bild, das Indien vom 8. bis zum 10. Jahrhundert n.Chr. bot, wurde noch bewegter, als im 10. Jahrhundert der Norden in eine Anzahl von Einzelreichen auseinander fiel. Gerade dort aber wäre die Ausbildung oder Erhaltung machtvoller, in sich gefestigter Staaten lebenswichtig für Indien gewesen. Hier drohte vom Westen her der Sturm der Mohammedaner. Mut und Kriegstüchtigkeit des stolzen nordindischen Adels genügten nicht, die fanatisierten Religionsheere aufzuhalten. Mahmud von Ghasna, ein türkischer Herrscher aus der Dynastie der Ghasnawiden, drang weit in Indien ein. Im 12. Jahrhundert erlag der Norden dann endgültig den moslemischen Heeren in kürzester Frist.

    Mohammed von Ghor (1175-1206) schlug ein vereinigtes Inderheer. Sein Vizekönig begründete die erste Dynastie der Sultane von Delhi, die mit grausamer Strenge über die Hindu-Machthaber als Lehnsherren herrschten. Ala ud Din eroberte weite Gebiete auch Südindiens. Im Kampf gegen das islamische Sultanat entstand dort das Hindu-Reich von Widschajanagar, in dem die kolonisierenden Portugiesen landeten.

    Im 9. und 10. Jahrhundert war die Führung in der islamischen Welt auf die Türken übergegangen, die arabische Religion und persische Bildung in ihrer Kultur verschmolzen hatten. Ihr Werk war neben der Errichtung des osmanischen Reichs auch die mohammedanische Eroberung Indiens. Wie gegenüber den blitzartig im 13. Jahrhundert über ganz Vorderasien hereinbrechenden Mongolen, die sich schließlich teilweise islamisieren und türkisieren, so bewiesen die Inder auch hier wiederum ihre großartige Fähigkeit der Anpassung und Einschmelzung gegenüber fremdem Volkstum. Indien wurde in weiten Teilen islamisch. Diese zweite islamische Epoche Indiens begann mit der Reichsgründung des Königs Babur von Kabul, der 1398/99 Nordindien ausplünderte. Babur eroberte 1526 Nordindien einschließlich Bengalens und begründete das Reich der Großmoguln.

    In die Zeit des Entstehens des Mogulreiches fällt das zunehmende Auftreten der Europäer in Indien. Die Inder hatten sich also mit zwei Faktoren auseinanderzusetzen: dem Islam und den imperialistischen Bestrebungen der europäischen Mächte.

    Das historisch-politische Schicksal Indiens bis in die jüngste Zeit wurde bestimmt durch die Tatsache, dass die eingedrungenen Mohammedaner Inder wurden und die vor allem in der Mogulzeit zum Islam Bekehrten im rassisch-völkischen Sinne, nicht aber im Bereich der Religion Inder blieben. Eine Verbindung mit dem bodenständigen Hinduismus oder seine Verschmelzung mit dem Islam blieb unmöglich, und so kam zur Fülle der sozialen, rassisch-völkischen und sprachlichen Probleme in Indien der große Gegensatz der beiden unversöhnbaren Religionen, Hinduismus und Islam, hinzu. Zwei Religionen, die gleichzeitig zwei Kulturen repräsentieren, stehen sich seit dem Mittelalter in Indien gegenüber, und nur in der Architektur gelang eine Verbindung von türkisch-persischer und altindischer Baukunst.

    Für die Geschichte Indiens wurde das Eindringen der europäischen Kolonialmächte von schicksalhafter Bedeutung. Der indisch-europäische Handel hatte schon eine alte Tradition. In der römischen Kaiserzeit spielte der Import aus Indien eine große Rolle. Die Einfuhr der Gewürze, Perlen, Edelsteine, Elfenbein entzog dem Kaiserreich jährlich Unsummen von Geld. Als die Araber als Zwischenhändler den Handel erschwerten, kam es zu dem Wunsch, einen direkten Seeweg nach Indien zu entdecken. Ihn fand nicht Kolumbus, sondern Vasco da Gama, der 1498 an der Südwestküste Indiens landete. Die europäische Invasion begann mit der Gründung von Handelsniederlassungen durch die Portugiesen an der Küste. Ihre Hauptstützpunkte wurden Goa - als letzte europäische Kolonie in Indien 1961 aufgegeben -, Bombay und Diu. Auch Ceylon wurde zu ihrem Operationsgebiet. Die Portugiesen gerieten jedoch durch ihre religiöse Feindschaft gegenüber den Mohammedanern und den Konkurrenzkampf der Araber in Schwierigkeiten. Die Verschmelzung Portugals mit Spanien und der Untergang der Armada 1588 bedeuteten auch hier einen Wendepunkt. Den Portugiesen folgten die Holländer, Franzosen, Engländer.

    Inzwischen gelangte das islamische Mogulreich zu hoher Blüte. Seit 1526 entwickelte es sich zu einem Machtfaktor Indiens, mit dem die europäischen Eindringlinge sich auseinanderzusetzen hatten. 1556-1605 regierte der bedeutende Großmogul Akbar. Er beherrschte auf dem Höhepunkt seiner Macht Hindustan in seinen nördlichen Provinzen, Kaschmir und das Indusgebiet. Bedeutende Leistungen vollbrachte er auf dem Gebiet der Wirtschaft. Ackerbau und Handel erlebten unter ihm eine höchste Blüte. Aber auch Kunst, Wissenschaft und religiösem Leben widmete er seine volle staatsmännische Aufmerksamkeit. Das schwierigste Problem seines Staates, den religiösen Gegensatz zwischen Hindus und Mohammedanern, überbrückte er durch religiöse Toleranz, die auch Parsen und Christen zugute kam. Die von den Sultanen von Delhi begonnene Bautätigkeit erreichte ihren Höhepunkt. Die Mogul-Miniaturmalerei gehört zu den Kostbarkeiten der Kunstgeschichte. Akbar ließ auch die Sanskrit-Epen ins Persische übersetzen. Gestützt auf solche Erfolge, die eine innere Festigkeit seines Staates verbürgten, konnte Akbar auch mit den fremden europäischen Kaufleuten in Freundschaft auskommen. Sein Nachfolger setzte diese Politik der Interessenverbindung fort, als er der im Jahre 1600 von Elisabeth privilegierten Ostindischen Kompanie der Engländer 1613 die Errichtung einer Faktorei in Surat gestattete. So lange auch der Konkurrenzkampf der europäischen Kolonialmächte untereinander um den Einfluss in Indien tobte - wie er sich in der englisch-holländischen Seeschlacht von 1615 spiegelte -, war das Mogulreich von außen her nicht ernstlich bedroht. Sein Niedergang hatte innere Ursachen.

    Unter Aurangzeb (1658-1707) ging zwar die Ausbreitung der Macht des Großmoguls auf den Dekhan, Kandahar und Kabul weiter, gleichzeitig aber kam es durch seine Politik der gewaltsamen Missionierung der Hindus zu schweren inneren Spannungen im Reich, die der Ostindischen Kompanie der Engländer gestatteten, in Madras 1639, in Bombay 1661 und im Gebiet der von ihr danach gegründeten Stadt Kalkutta im Sinne nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer Oberhoheit Fuß zu fassen. Das Mogulreich wurde im 18. Jahrhundert im Zeichen seines Zerfalls schließlich zum Kriegsschauplatz der europäischen Rivalen England und Frankreich. Die Fesselung der Franzosen im Siebenjährigen Krieg führte dann zum Sieg der Engländer im Konflikt um die Herrschaft über Nordindien. Das 18. Jahrhundert ist in seiner zweiten Hälfte erfüllt von der englisch-französischen Auseinandersetzung in Südindien und der Vernichtung der südindischen Großmacht des Marathenstaates durch England. Robert Clive (1725-1774) und Warren Hastings waren die Sieger in diesem langjährigen Ringen. Warren Hastings wurde 1774 zum Generalgouverneur ernannt. Ihm unterstanden die "Präsidentenschaften" Bengalen, Madras und Bombay. Er veranlasste den Engländer Charles Wilkins zu Sanskritstudien. Während bisher alle Schriftdenkmäler auf dem Umweg über das Persische in die englische Sprache übertragen worden waren, wurde nun die Bhagavadgita direkt in eine europäische Sprache übersetzt (1785).

    Das Ergebnis der Kämpfe war die englische Oberherrschaft über ganz Indien zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Handel, Verkehr, politische Herrschaft und die Bildung der Oberschicht wurden mehr und mehr zu einer britischen Domäne. Aber dieser Prozess der Europäisierung spielte sich nur auf der Oberfläche ab. Die machtvollen mohammedanischen Staaten Haidarabad und Maisur, die Marathen bei Bombay, der Staat der Sikhs und das Bergvolk der Gurkha entzogen sich noch lange dem englischen Machtbereich. Das Jahr 1819 kann als Abschluss dieser ersten englischen Erobererzeit angesehen werden. Nepal blieb unabhängig. Das Fünfstromland wurde erst 1849 nach erbitterten Schlachten von den Engländern erobert. Noch einmal, 1857, kam es zum Aufstand, einer Militärrevolte indischer Soldaten. 1858 übernahm die englische Krone die Regierung Indiens (Regiment der Vizekönige), 1877 nahm die britische Königin den Titel "Kaiserin von Indien" an.