Stück für Stück zusammengesetzt: Die größten Entwicklungen der Fließbandfertigung

    Aus WISSEN-digital.de

    Die Herstellung am Fließband gehört schon für sich allein zu den wichtigsten industriellen Errungenschaften der Menschheit. Denn ohne das stückweise, getaktete Zusammenbauen selbst komplexester Systeme mit zigtausenden Teilen wäre es unmöglich, das heutige Produktpreisniveau zu halten. Allerdings ist die moderne Fließbandfertigung das Endergebnis mehrerer wichtiger Entwicklungsschritte – von denen einige nur am Rande mit dem Fließband selbst zu tun hatten.

    Eine generell aufgeteilte Fließproduktion

    Lange bevor jemand an ein buchstäbliches Fließband dachte, wurde die bedeutendste Grundlage für die generell dahinterstehende Arbeitsweise gelegt. Denn über weite Teile der Menschheitsgeschichte erfolgte die Fertigung von allen möglichen Gütern nicht nur per Hand, sondern durch Einzelpersonen oder allerhöchstens kleinste Gruppen – jedoch meistens zeitgleich am selben Werkstück.

    Das bedeutete den langwierigsten Produktionsprozess. Denn der Ausstoß war gleichbedeutend mit dem Arbeitstempo dieser Personen. Zudem mussten alle Beteiligten sämtliche Arbeitsschritte beherrschen. Das wurde spätestens dann zum Problem, als die ersten komplexeren technischen Geräte aufkamen, namentlich etwa Uhren oder Feuerwaffen.

    Ab dem ausgehenden Mittelalter begannen verschiedene Manufakturen deshalb, eine Arbeitsteilung einzuführen. Unterschiedliche Arbeiter erledigten unterschiedliche Aufgaben, fertigten getrennt einzelne Teile, die zuletzt zusammengefügt wurden. Durch diese Herangehensweise, die sogenannte Fließfertigung, konnte viel rationaler gearbeitet werden. Bis heute wird das Prinzip noch genutzt. Der maßgebliche Unterschied besteht jedoch in der Arbeitsweise: Bei der Fließfertigung arbeitet jeder nach einem eigenen Tempo, wohingegen das Fließband einen festen Takt vorgibt.

    Die Chicagoer Schlachthöfe

    Jede Form von industrieller Fließ(band)produktion zeichnet sich durch einige Elemente aus:

    1. Alle Beteiligten müssen nur relativ kleine Arbeitsschritte erledigen. Dadurch kann die Ausbildung stark verkürzt werden.
    2. Der Ausstoß pro Zeiteinheit lässt sich radikal steigern und gleichsam viel besser kalkulieren.
    3. Die Produktionsprozesse sind eher träge, da alles in einem recht festen Rahmen erfolgen muss.
    4. Es dauert nach Einführung und Umstellung eine gewisse Zeit, bis die Produktion sich eingespielt hat, die richtige Anzahl von Prozessen gefunden und das Tempo des Laufbandes justiert wurde.

    Die erste Anwendung einer Fließbandproduktion nach heutigem Verständnis geschah im ausgehenden 19. Jahrhundert in Chicago. Nachdem 1878 die ersten Eisenbahn-Kühlwagen entwickelt wurden, war es möglich, schlachtfrisches Fleisch selbst in die entlegensten Gebiete zu befördern. Jedoch waren die Schlachtprozesse selbst alles andere als rational. Das komplette Zerwirken eines Rinds durch einen Metzger mit Gehilfen dauerte damals einen ganzen Arbeitstag.

    Außerdem mangelte es den USA just an solchen Fachleuten. Die meisten damals ins Land strömenden Einwanderer waren einfache, ungelernte Menschen, oftmals nicht einmal Literaten. Doch all diese Menschen hatten Hunger: Zwischen der Jahrhundertmitte und dem Beginn des 20. Jahrhunderts schwoll die US-Bevölkerung um das Dreifache an.

    Angesichts dieser Voraussetzungen etablierte sich in den gigantischen Schlachtbetrieben von Chicago beinahe notgedrungen eine radikale Form der Fließproduktion: Die Tiere wurden über hängende und liegende Laufbänder geleitet. Jeder Arbeiter musste nur ein oder zwei Handschläge pro Tier erledigen.

    Die Folge: Was zuvor einige wenige Facharbeiter einen Tag lang beschäftigte, dauerte Ende der 1800er gerade einmal noch eine Viertelstunde dank Fließband und hunderter Angelernter. Dadurch wurden die Chicagoer Schlachthöfe zum mit Abstand größten Fleischversorger der USA und machten durch die extrem niedrigen Preise Fleisch zum Massenprodukt. Gleichsam allerdings konnte nur so überhaupt eine adäquate Ernährung der US-Bevölkerung gewährleistet werden. Insbesondere der urbanen Bevölkerung fernab von den ländlichen Produktionsstandorten.

    Das Ford T-Model

    Die Schlachthof-Fließbänder waren wegweisend genug, um einen wahren Erdrutsch der Prozessoptimierung auszulösen. Was zuvor trotz Industrialisierung oftmals noch sehr zeitaufwendig war, wurde unter anderem durch Ingenieure wie Frederick W. Taylor zu einer völlig neuen, streng rationalisierten Produktionsweise und eine generellen wirtschaftlichen Philosophie gemacht.

    Bereits 1902 kam das Fließbandprinzip in der Automobilproduktion an. Die Firma Oldsmobile nutzte Rolltische, um ihr Konzept der Fließfertigung entscheidend zu optimieren. Den finalen Schritt zu einer wirklichen Fließbandfertigung, bei der das angetriebene Band den Takt vorgab, machte jedoch erst Henry Ford im Jahr 1910.

    Schon seit 1908 produzierte der Industrielle sein Model T, allerdings noch auf klassische Art. Da das Fahrzeug selbst äußerst modern und detailliert auf eine rationale Fertigung optimiert war, gab es bezüglich der Produktionsmethoden Schwierigkeiten – der Ausstoß war viel geringer als es die Konstruktion selbst gestattet hätte.

    1910 jedoch wurde die Fertigung in einen neuen Komplex verlagert. Dort wurde nicht nur eine testweise Fließbandfertigung aufgezogen (ab 1913 permanent), sondern Ford lagerte Produktionsteile an Zulieferer aus – gab diesen jedoch strengste Vorgaben, die bis hin zu den Abmessungen der Lieferkisten reichten.

    Einige Zahlen zeigen, wie gigantisch der dadurch einsetzende Erfolg war:

    • 1909 kostete das zweisitzige Basismodell 825 Dollar. Gegen Produktionsende 1925 waren es nur noch 250 Dollar.
    • 1909 wurden nur 10.666 T-Models gefertigt. 1911 bereits 34.858, 1912 68.733, und 1913 170.211 Stück. Im besten Produktionsjahr, 1923, liefen sogar 2.011.125 Stück vom Band – allerdings an verschiedenen Standorten, die jedoch alle nach dem Fließbandprinzip agierten.

    Obwohl es das Fahrzeug in unterschiedlichen Varianten gab, war die Ausstattungsvielfalt selbst überschaubar, um die Produktion nicht zu hemmen. Einiges davon mutet aus heutiger Sicht übertrieben an: Zwischen 1914 und 1925 etwa bot Ford ausschließlich schwarzen Lack an, da dieser nicht nur sehr günstig war, sondern etwas rascher trocknete als andere Farben.

    Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Das T Model war nicht nur das erste Massenfahrzeug der Geschichte, sondern revolutionierte die industrielle Fertigung weit über den Fahrzeugbau hinaus.

    Die Liberty-Schiffe

    Als der Zweite Weltkrieg (1939-1945) begann, waren die Fließbandfertigung und das Heranziehen von unabhängigen Zuliefererfirmen weltweit in zahlreichen Branchen etabliert. Woran es jedoch noch haperte, waren große derart produzierte Produkte wie etwa Schiffe.

    Hauptgrund dafür war mangelnde Notwendigkeit. Zu diesem Zeitpunkt war der Stahlschiffbau technisch seit Jahrzehnten etabliert und es gab aufgrund der langsamen Entwicklung und der Langlebigkeit von Stahlschiffen keine Veranlassung, die Produktion stark zu rationalisieren – von der Unmöglichkeit, hier eine echte Fließbandfertigung aufzubauen, einmal abgesehen.

    Mit Kriegsbeginn begann Deutschland jedoch eine massive U-Boot-Offensive gegen Großbritannien. Diese Offensive war zudem unlimitiert. Das heißt, Schiffe in einem bestimmten Bereich wurden angegriffen, egal unter welcher Flagge sie fuhren. Insbesondere nachdem Deutschland von französischen Häfen aus operieren konnte, stiegen die Verluste unter den alliierten Schiffen extrem an. Allein 1940 und -41 wurden monatlich mehrere hundert Schiffe versenkt; zusammen 7 Millionen Bruttoregistertonnen an Schiffsraum.

    Derartige Extremverluste waren mit herkömmlichen Produktionsmethoden nicht auszugleichen. Über kurz oder lang drohte daher ein tatsächliches Abschneiden Großbritanniens von ausländischer Versorgung. Ab 1940 schufen Großbritannien, Kanada und die USA daher ein Notfall-Schiffsbauprogramm, das im Nachhinein zu den größten großindustriellen und rationalisierten Meisterleistungen der Menschheit wurde.

    Das sogenannte Liberty-Schiff war eine simple Konstruktion, die bis in die kleinste Schraube auf eine maximal ökonomische Produktion zurechtgeschnitten war. Alles war darauf ausgerichtet, schnellstmöglich, und von angelernten Hilfsarbeitern (darunter sehr viele Frauen) und vielen Zulieferern unterstützt, so viele Schiffe wie möglich auszustoßen. Als die Produktion sich 1943 eingespielt hatte, dauerte es durchschnittlich nur noch etwa 40 Tage, ein solches Schiff zu fabrizieren. Da auf Dutzenden Werften mit Hunderten Hellingen gleichzeitig gearbeitet wurde, entstanden somit Schiffe selbst ohne Fließband „wie am Fließband“ – wenngleich die Zulieferer das Band teils sehr umfassend nutzten.

    2.710 Liberty-Schiffe wurden zwischen 1941 und 1945 produziert. Zusammen mit wirksamen Gegenmaßnahmen gegen die deutsche U-Boot-Offensive war das mehr als ausreichend: Die Versenkungszahlen sanken ab 1943 rapide, immer mehr Schiffe wurden vom Stapel gelassen.

    Der Industrieroboter

    Die Fließbandfertigung kann viele menschliche Unzulänglichkeiten ausgleichen, jedoch nicht alle. Insbesondere, was absinkende Leistungen im Verlauf der Schicht und mitunter schwankende Qualität anbelangt, muss sich die Fließbandproduktion immer am schwächsten möglichen Glied orientieren – zudem bedeuten menschliche Arbeiter einen enormen Kostenfaktor. Und obschon die Fließbandfertigung in der Masse keine sehr qualifizierten Hände benötigt, kam es immer wieder zu Fachkräftemängeln; etwa nach dem Krieg.

    In den 1950ern wurden diesbezüglich zwei Entwicklungen getätigt. Zwar nicht direkt für die Fließbandproduktion gedacht, doch für diese wie geschaffen:

    • Ab 1951 wurden fernbediente Greifarme entwickelt, sogenannte Manipulatoren. Diese duplizierten also eine menschliche Armbewegung und waren dafür gedacht, einen sichereren Umgang mit Gefahrstoffen zu ermöglichen.
    • Ab 1955 wurden die ersten Computer serienreif, die programmiert werden und dadurch Steuerbefehle ausgeben konnten – ideal für die automatisierte Maschinensteuerung.

    Schon in den darauffolgenden Jahren wurden davon ausgehend die ersten, auf Manipulatoren basierenden, Industrieroboter serienreif. Einige davon nur mechanisch gesteuert, andere bereits durch Computer. Da vor allem letztgenannte Systeme durch die Verwendung von Koordinaten mit damals ungekannter Wiederholgenauigkeit im Bereich von tausendstel Zentimetern arbeiten konnten, erkannten Industrien rund um den Planeten rasch das gigantische Potenzial.

    Schon in den 1960ern wurden die ersten dieser Roboter bei Fahrzeugherstellern in West-Deutschland, den USA und Japan mit enormem Erfolg eingesetzt. Weitere Entwicklungen sorgten dafür, dass der Roboter sich bis in die 1970er in fast sämtlichen Werken etablierte – und ebenso in anderen Industrien.

    Auf diese Weise gestatteten es die Industrieroboter, das Fließbandprinzip bis zur Perfektion zu verfeinern – und sind in Form sogenannter Cobots längst auf dem besten Weg, den Menschen KI-gesteuert noch besser zu unterstützen.