Imperialismus

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    (lateinisch "imperium" Reich)

    ursprünglich Schlagwort für das Regierungssystem Napoleons I., später auch für die Großmachtpolitik Napoleons III. und schließlich, seit Ende des 19. Jh.s allgemein Bezeichnung für das Streben eines Staates nach Ausdehnung seines Herrschaftsbereiches über seine historischen, geografischen oder ethnografisch-nationalen Grenzen hinaus mit dem Ziel, ein übernationales Groß- oder Weltreich (Imperium, Empire) zu schaffen, zu erhalten und immer weiter auszubauen.

    Geschichte:

    Imperialismus lässt sich in der Weltgeschichte von Akkad-Sumer bis Napoleon I. aufzeigen. Als extremste Form des Machtwillens eines Staates oder Herrschers geht der Imperialismus über das Streben nach bloßer Hegemonie hinaus.

    In einem besonderen Sinne bezeichnet man als Imperialismus die Ausdehnung der modernen, besonders der europäischen Großmächte über weite Gebiete des Erdballs und ihre Rivalität im Kampf um die kolonialen Räume ("Kolonialimperialismus", Kolonialismus) und um die Abgrenzung von Einflusssphären, etwa seit den 80er Jahren des 19. Jh.s bis zum Ersten Weltkrieg ("Zeitalter des Imperialismus", in dem mehrere Imperialismen miteinander konkurrierten). In der Ausprägung dieses modernen Imperialismus ging Großbritannien unter Führung Disraelis voran; in der Auseinandersetzung mit den überwiegend liberalen und pazifistischen "Kleinengländern" unter Gladstone münzten die Verfechter der "Empire-Idee" den Spottnamen "Imperialisten" in einen Ehrennamen um; als klassische Vertreter des britischen Imperialismus ragen Cecil Rhodes und Joseph Chamberlain hervor. Weltanschaulich-religiös hatte der britische Imperialismus bereits in Oliver Cromwells Glauben an die "Auserwähltheit" des englischen Volkes seinen Ausdruck gefunden, unter Disraeli in der Parole "Imperium et libertas". Doch auch die anderen imperialistischen Mächte waren von ihrer Berufung als Träger einer politisch-kulturellen Weltmission überzeugt. Frankreich wollte die französische Zivilisation in ein "Größeres Frankreich" tragen, Italien die Tradition des römischen Imperiums (besonders in Afrika) wieder aufnehmen, das zaristische Russland begründete imperialistische Pläne mit seiner panslawistischen Führerrolle und der Idee vom "Dritten Rom", die Alldeutschen wollten am "deutschen Wesen die Welt genesen" lassen und schließlich rechtfertigte auch Japan die "Neuordnung Ostasiens" mit einem Auserwähltheitsanspruch.

    Doch die Antriebskräfte des modernen Imperialismus sind außer in weltanschaulich-politischen Prinzipien und im reinen Machtwillen auch in der Verflechtung mit dem modernen Kapitalismus und dem wirtschaftlichen Existenzkampf der großen Industriemächte zu suchen (Bevölkerungsdruck, Wettlauf um Absatzmärkte und Rohstoffquellen, Suche nach Investitionsmöglichkeiten für den inländischen Kapitalüberschuss, Sonderinteressen der Rüstungsindustrie). Die den USA vorgeworfene "Dollardiplomatie" gilt als "Dollarimperialismus".

    Die Kritik am Imperialismus begann um 1900 mit Lenins Schrift "Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" (1916/17), die den Expansionismus und Imperialismus, insbesondere den Großbritanniens, als notwendigen Bestandteil des Kapitalismus darstellte. Im Zuge der Entkolonisation nach 1945 erhoben dann afrikanische Staaten Imperialismusvorwürfe gegen europäische Staaten und v.a. gegen die USA; gegenüber der Sowjetunion ("Sozialimperialismus") wurde er durch China erhoben.

    Der moderne Imperialismus lässt sich historisch in vier Phasen gliedern:

    1) Die Zeit der Industriellen Revolution vom Ende des 18. Jh.s bis 1882

    Der Expansionswille der europäischen Wirtschaft war die Ursache für die Suche neuer Absatzmärkte und Rohstofflieferanten. Die imperialistischen Bestrebungen waren fast ausschließlich wirtschaftlicher Natur und unterlagen nur beschränkt staatlicher Kontrolle. In der Folgezeit sorgten Aufruhr und Unruhen in den Kolonien, welche die Kolonialherren zur Anfrage auf Unterstützung und Schutzgewährung ihrer heimatlichen politischen Herrschaftsträger veranlasste, zum staatlich gelenkten Imperialismus.

    2) Der klassische Imperialismus von 1882 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

    Die Stagnation des Wirtschaftswachstums in Europa zu Mitte der achtziger Jahre des 19. Jh.s in Verbindung mit dem Expansionsdrang der Industriellen hatte als sozioökonomische Notwendigkeit zur Folge, dass neue Märkte weltweit erschlossen wurden. Die eroberten Kolonien wurden ausgebeutet und das investierte Kapital wurde durch die Erschließung neuer Seewege gesichert. Die kolonialistisch-wirtschaftliche Expansionspolitik hatte Aufrüstung und Kriegsgefahr zur Folge.

    3) Der "verschleierte" Imperialismus von 1919 bis 1945

    Unter dem Vorwand, dass sich die europäischen Mächte nur schrittweise von ihren Kolonien lösten, wurde den Kolonien die Chance einer Errichtung für eine Zivilisation genommen.

    4) Zeit des Nachimperialismus und der Dekolonisation

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die Dekolonisation der ehemaligen Kolonien, was zum Abbau der staatlichen, nicht aber der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialherren führte. Wirtschaftliche Abhängigkeit löste machtpolitische Kontrolle ab.