Geschichte: Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur

    Aus WISSEN-digital.de


    Die Wurzeln des Wirtschaftssystems, das als Merkantilsystem in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen ist, liegen in der politischen Entwicklung zur Staatsautonomie, die bereits im Spätmittelalter einsetzte.


    Die erstarkende Staatsgewalt nahm in steigendem Maße Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen. In den Hof-, Landes- und Polizeiordnungen, den Bergbau- und Forstbestimmungen finden wir seit der Renaissancezeit wirtschaftspolitische Reglementierungen. Aber erst im Zeitalter des Absolutismus kam es zu einer staatlichen Konzeption des gesamten Wirtschaftsgeschehens. Dieses wirtschaftspolitische Programm strebte nach Autarkie, wünschte die Einfuhr auf das Notwendigste zu beschränken, vor allem auf die unerlässlichen Rohstoffe. Alle benötigten Waren sollten im Land selbst erzeugt werden; eine starke Ausfuhr sollte eine aktive Handelsbilanz und den Zustrom von Geld und Edelmetallen sichern. Aus diesen Gründen förderten die Regierungen Handel und Gewerbe, gründeten Manufakturen, holten sich, auch unter Ausnutzung der politischen und religiösen Emigration, handwerkliche und Manufaktur-Facharbeiter heran und strebten nach dem Erwerb rohstoffreicher Kolonien. Letzter Zweck war jedoch nicht die wirtschaftliche Blüte zur Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung, sondern der Reichtum des Staats, die Finanzierung von Heers, Verwaltung und Hofhaltung. In Deutschland vollzog sich diese Entwicklung nach dem Niedergang der Zentralgewalt in den Teilstaaten, wobei nur die größeren das Merkantilsystem wirklich zur Entfaltung bringen konnten.

    In Preußen und Österreich wurde das merkantilistische Programm mit Erfolg angewandt, wenn auch die Bemühungen um koloniale Rohstoffgebiete scheiterten. Die kolonialen Gründungen des Großen Kurfürsten waren ebenso Episode wie die Förderungsmaßnahmen Karls VI. für die Ostindische und die Orientalische Handelskompanie seines Landes. Nur der Ausbau Triests zu einer bedeutenden Hafenstadt blieb als Zeugnis dieser österreichischen Politik. Im Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen hatte die konsequente merkantilistische Wirtschaftspolitik auch weitreichende soziale Auswirkungen: Sie wies dem Adel als Ausgleich für die nahezu aufgehobenen Ständerechte die Rolle eines Reservoirs für den Offiziersstand und die höchsten Verwaltungsstellen zu. Aus dem erbuntertänigen Bauernstand rekrutierte sich das Heer; das Bürgertum wurde zum politisch bedeutungslosen Träger von Handwerk, Gewerbe und Industrie.

    Gestützt auf den Reichtum ihrer Kolonien konnten Spanien und Portugal lange Zeit ein Monopol des Kolonialhandels aufrechterhalten. Infolge materieller Erschöpfung ging jedoch schon gegen Ende der Regierungszeit Philipps II. die weltwirtschaftliche Führung an Holland und England über. Der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Ländern begann mit dem wirtschaftlichen Kampfgesetz der Navigationsakte von 1651 - mit dem England den holländischen Zwischenhandel verbot - und endete etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem endgültigen Triumph Englands. Dennoch blieb Holland auch weiterhin eine bedeutende Seehandels- und Kolonialmacht. Seine 1602 gegründete Ostindienkompanie wurde zum Vorbild aller späteren Handels- und Aktiengesellschaften.

    Der im Handel erzielte Reichtum machte zunächst Holland, später England zur führenden Kapitalmacht der Weltwirtschaft. Schiffbau, Textilmanufaktur, Zuckerfabrikation und Brauereiwesen profitierten von diesem Reichtum. Die Städte wuchsen und ihr Wachsen zog die Intensivierung der Landwirtschaft nach sich, deren Aufgabe es war, die zunehmende Bevölkerung zu ernähren. In England wurden Handel und Gewerbe schon frühzeitig vom Staat kontrolliert und gefördert. Deutsche Bergleute und belgische Weber wurden angeworben, die "abenteuernden Kaufleute" wurden zu Schrittmachern einer staatlichen Kolonialpolitik. Die Glorreiche Revolution von 1688 beseitigte Staatsaufsicht, Gewerbemonopole und Grundherrschaft und brachte damit ein freiheitliches Moment in die merkantile Entwicklung des Inselreichs. Die Declaration of Rights (1689) brachte die Ablösung des Absolutismus durch die konstitutionelle Monarchie. Das freie Unternehmertum des Lands zeigte seine wirtschaftliche Initiative durch Gründung von Aktiengesellschaften und veranlasste Wilhelm III. zur Gründung der Bank von England als einer staatlichen Kreditbank. Die Kolonien lieferten der mutterländischen Industrie billige Rohstoffe und Halbfabrikate. Gleichzeitig dienten sie als Absatzmärkte für fertige Industrieprodukte. Gegenüber Frankreich, der führenden Wirtschaftsmacht der Epoche, schloss sich England durch Schutzzölle ab; für den ausfallenden Markt suchte es Ersatz in Deutschland, Russland und im Mittelmeerraum, vor allem in Portugal, das durch den Methuenvertrag von 1703 wirtschafts- und handelspolitisch abhängig wurde.


    In Frankreich entwickelte der Finanzminister Jean-Baptiste Colbert die klassische Form des kontinentalen Merkantilsystems. Colbert führte eine zentral gelenkte Nationalwirtschaft mit statistischer Haushaltsplanung ein, beseitigte viele Binnenzölle, ordnete das Finanzwesen und baute Land- und Wasserwege aus. Er strebte nach einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, ohne es freilich völlig zu erreichen. Durch solche Maßnahmen blühten Marseille als Hauptort des Levante-Handels und Lyon als Exportindustriezentrum auf. Vereinheitlichung des Zunftrechts, Schutzzölle und Handelsmonopole dienten der Förderung von Manufakturen und dem Aufbau einer bedeutenden Handelsflotte. Daneben trieb er die Überseepolitik voran. Kolonien in Vorderindien, Indochina, Madagaskar und Nordamerika machten das französische Kolonialreich zum zweitgrößten der Welt. Schwere Rückschläge erlitt die wirtschaftliche Entwicklung des Lands jedoch durch die religiösen Auseinandersetzungen und die Vertreibung der Hugenotten. Schließlich verursachte die Überspannung der Kräfte unter Ludwig XIV., der durch hohe Kriegskosten, Verschwendung am Hofe, Steuerdruck und Finanzexperimente das Land an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs führte, den Verfall der zuvor erreichten Wirtschaftsblüte.


    Am wenigsten ausgebildet wurde das Merkantilsystem in Russland. Peter der Große (1682-1725) ließ zwar zahlreiche Manufakturbetriebe errichten, Häfen und Kanäle bauen, aber es fehlte an einer geistig und wirtschaftlich tragenden einheimischen Bürgerschicht. Die Adelsherrschaft dominierte in Form der Grundherrschaft, die den Bauern in Abhängigkeit hielt und den vorwiegend agrarischen Charakter des Lands bestimmte. Meist waren es ausländische Kaufleute, darunter viele deutsche, die den russischen Handel beherrschten.

    Die bedeutsamste politische Auswirkung des Merkantilsystems in Kontinentaleuropa, Russland ausgenommen, war der wirtschaftliche und damit verbunden der geistig-kulturelle Aufstieg des Bürgertums, dessen Forderung nach politischer Mitbestimmung zur treibenden Kraft der Epochenwende des ausgehenden 18. Jahrhunderts werden sollte. Die besonderen Verhältnisse in Frankreich wiesen dem Land die Rolle zu, Ursprungsland der Revolution und damit einer neuen, bürgerlichen Epoche zu werden.

    Wie Politik und Wirtschaft, so verdanken auch Wissenschaft und Künste dem neuen Staats- und Fürstentyp entscheidende Impulse.

    Zahlreiche Schlösser entstanden; Park- und Stadtanlagen, Lust- und Jagdhäuser dienten der höfischen Repräsentation. Charakteristisch für die Epoche ist das Aufkommen des Kunsthandwerks als einer neuen Form künstlerischer Betätigung, die sich in Möbeln, Tapeten und Schmuck entfaltete. Das wissenschaftliche und das Sammlerinteresse vieler Herrscher ließen den Typ des Hofgelehrten und Gelehrte Gesellschaften, die Akademien, entstehen.


    Eng verbunden damit entstanden außerdem wertvolle Sammlungen und Bibliotheken, die zur Grundlage unserer modernen wissenschaftlichen Institute wurden. Frankreich wurde in vielerlei Hinsicht zum kulturell führenden Land. Richelieu hatte schon 1635, mitten im großen europäischen Krieg, mit der Einrichtung der "Academie française" den Grundstein für die geistige Vormachtstellung Frankreichs gelegt. Durch ihr Wirken wurde die französische Sprache als Nachfolgerin des Lateins zum europäischen Verständigungsmittel in Diplomatie, Philosophie, Dichtung und Wissenschaft und zur Sprache der gebildeten europäischen Gesellschaft des absolutistischen Zeitalters überhaupt. Das Schloss von Versailles jedoch setzte einen Maßstab für die barocke Architektur Europas.

    Stilistisch ist das Barock - der Name war ähnlich wie "Gotik" ursprünglich ein Schimpfwort - eine Weiterentwicklung des Renaissancestils. Ihn belebt es durch stärkere Dynamik und Bewegtheit, durch Affektgeladenheit, wie sie auch die menschliche Haltung der Epoche kennzeichnet. Die ständige Bedrohung durch den Krieg, insbesondere zu Beginn des Zeitalters, ließ die Menschen der Zeit zu einem stoischen Heroismus hinstreben, der auch in Pest- und Kriegsnot menschliche Würde bewahren wollte. Diese Haltung spiegelt sich auch weithin in der Baukunst der Zeit. Die Profanarchitektur verherrlicht Größe, Glanz und Macht des Herrschertums. Wille und Geist der von den Jesuiten geführten Gegenreformation sind im Kirchenbau der Epoche deutlich spürbar. Das Gefühl neuer religiöser Kraft und Inbrunst kam in der Dynamik des Sakralbaus zum Ausdruck, für den Il Gesu in Rom zum Vorbild wurde.

    Besonders in Österreich und Süddeutschland hat der katholische barocke Kirchenbau durch Meister wie Balthasar Neumann, Johann Dientzenhofer und die Brüder Asam Höchstleistungen hervorgebracht. Ihnen stehen die profanen Schöpfungen der Johann Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrandt, Pöppelmann und Schlüter würdig zur Seite.


    In der Musik entwickeln sich neue repräsentative Gattungen. Das Oratorium findet seine höchste Ausformung in Georg Friedrich Händel, die Passion in Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach ihre größten Meister. Italien wird zum Ursprungsland der Oper (Cavalli, Scarlatti, Monteverdi), die bald einen Triumphzug durch ganz Europa antrat. Die Literatur des Barock weist starke nationale Unterschiede und gattungsmäßige Differenzierungen auf. Neben den eigenständigen Traditionen Englands (Shakespeare) und Spaniens (Calderon, Cervantes) entstehen vor allem in Frankreich bedeutende Werke (Corneille, Racine, Moliere). In Deutschland schafft Martin Opitz mit dem Buch von der deutschen Poeterey ein literarisches Regelwerk.

    Im Bereich von Philosophie und Wissenschaft ist das europäische Barockzeitalter eine Epoche des Übergangs. In der stillen Welt der Gelehrtenstuben wuchsen die Ideen heran, die alsbald die Vorherrschaft religiös gebundener Weltanschauung beseitigen sollten. Der philosophische Rationalismus fand seine Begründer und Entfalter in René Descartes, Blaise Pascal und Baruch Spinoza wie auch im englischen Empirismus von Francis Bacon und John Locke. Die Summe dieses europäischen Denkens zog der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz in seinem philosophischen Werk. Zugleich gaben die barocken Denker einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen wesentliche Impulse. Als Mathematiker leistete René Descartes mit neuen Lösungsmethoden für Gleichungen vierten Grades, der Grundlegung der analytischen Geometrie und der Potenzlehre Bedeutendes. Neue Wege auf dem Gebiet der Physik bahnte der Engländer Isaac Newton mit der exakten Bestimmung der Planetenbahnen wie mit seinen Beiträgen zu den Bewegungsgesetzen. Auf Grund letzterer entwickelte Johann Bernoulli in Basel ein System der Mechanik.


    Der schwedische Arzt Carl von Linne begründete ein typisch aufklärerisch-rationales System der Pflanzen- und Tierwelt. Auch im Bereich der Medizin bahnten sich neue Erkenntnisse ihren Weg in die Praxis, so vor allem die Blutkreislauf- und Übertragungslehre (Harvey, Leeuwenhoek).

    Schließlich begann am Ende der Epoche durch Auswertung der wissenschaftlichen Lehren auch das Zeitalter der Technik: Neue Steinkohlenverhüttungsverfahren der Hochöfen, Walzblechherstellung und Derbys Verkokungstechnik (1735) wurden entwickelt.