Geschichte: Kirche und Staat

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    Sacerdotium und Imperium, geistliche und weltliche Gewalt, waren in ihrem Mit- und Gegeneinander die gestaltenden Grundkräfte der mittelalterlichen Welt. In der Epoche des Niedergangs des alten Römischen Reiches, an der Schwelle des Mittelalters, suchte der Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430) in seinem Werk "Über den Gottesstaat" das Wesen der beiden Gewalten zu bestimmen. Der irdische Staat erschien ihm als ein Gebilde des Teufels, in dem Herrschsucht, Unterjochung, Selbstliebe triumphieren. Dagegen beruht nach seiner Lehre der Gottesstaat auf Gottesliebe. In ihm herrschen echte Unterordnung, wahre menschliche Führung durch Fürsorge für die Untergebenen, die in Treue und Gehorsam ihren Lebenssinn und ihre Ordnung finden. Dennoch muss es ein duldsames Mit- und Zueinander beider Staaten geben. Soweit der irdische Staat der Erhaltung des irdischen Lebens dient, soll seinen Gesetzen Gehorsam entgegengebracht werden, denn auch der himmlische Staat ist zum Teil erdgebunden und den Gesetzen dieser Erde unterworfen.


    In den Auseinandersetzungen der geistlichen und weltlichen Gewalt im Gange der mittelalterlichen Geschichte haben sich beide Parteien immer wieder auf Augustinus berufen, sein Gedankengebäude in ihrem Sinne gedeutet, seine Worte der konkreten Lage des Augenblicks angepasst.

    494 lehrte Papst Gelasius I. die Unterordnung der weltlichen Macht unter die geistliche. Das wirkliche Verhältnis war jedoch umgekehrt. Das merowingische und das karolingische Königtum war die gebende Macht, das Papsttum die nehmende, da es ohne den Rückhalt des Königs den römischen Lokalgewalten unterlegen gewesen wäre. Auch in der Frühzeit des deutschen Reiches blieb dieses Verhältnis bestehen. Otto der Große rettete den Papst vor der Langobardenherrschaft; im Vertrag mit der Kurie von 962 wurde die Pflicht verankert, bei der Papstwahl die Zustimmung des Königs einzuholen. Ein Jahrhundert lang beherrschten die deutschen Kaiser danach die römische Wahl. Otto III. brachte seinen Vetter Bruno von Kärnten als ersten Deutschen auf den päpstlichen Stuhl (Gregor V). Der Kaiser nannte sich servus apostolorum (Knecht der Apostel) und behauptete so sein Recht auf Mitregierung in der römischen Kirche.

    Mit der Reformbewegung der Mönche von Cluny seit dem 10./11. Jahrhundert drohte die erste Erschütterung der kaiserlichen Führung in geistlichen Angelegenheiten. Die Cluniazenser forderten die Freiheit der Kirche von jeglichem weltlichem Einfluss; damit griffen sie auch das adlig-königliche Eigenkirchenrecht germanischer Wurzel an, das dem Herrn einer Pfarrei, eines Klosters, einer Abtei oder eines Bischofsitzes das Recht auf Bestellung des Amtsinhabers gab. Noch schienen unter Heinrich III. kaiserliches und kirchliches Interesse einig zu gehen, als der Kaiser auf den Synoden von Sutri und Rom 1046 drei Päpste absetzte, die ihre Berufung dem Einfluss stadtrömischer Adelsparteien verdankten.

    Mit Papst Clemens II. (Suidger von Bamberg, 1046/47) ging die Führung der Reformbewegung in die Hände der Päpste über. Seit dem Papstwahldekret von Nikolaus II. (1059) waren nicht nur die römischen Adligen, sondern auch der Kaiser von der Mitbestimmung bei der Papstwahl ausgeschlossen; die kaiserlichen Rechte wurden zugunsten des Alleinwahlrechts der Kardinäle aufgehoben.

    Als mit Hildebrand ein entschiedener Repräsentant der Reformbewegung auf den päpstlichen Stuhl gelangte, war der Zusammenstoß der beiden Gewalten unvermeidlich. Hildebrand formulierte sein Reformprogramm als Gregor VII. (1073-1085) im Dictatus papae. Er proklamierte die unumschränkte Obergewalt des Papstes innerhalb der Kirche, zugleich aber auch das Vorrecht der geistlichen vor der weltlichen Gewalt: "Ihm ist es erlaubt, Kaiser abzusetzen".

    Als Antwort auf das päpstliche Verbot der Laieninvestitur ließ König Heinrich IV. den Papst 1076 durch die Wormser Synode absetzen (Beginn des so genannten "Investiturstreits"). Der päpstliche Gegenschlag bestand in der Bannung des Kaisers. In diesem Augenblick erwies sich die Fragwürdigkeit des ottonischen Systems. Als die mächtigsten Stützen des Königs, die geistlichen Großen, wankend wurden, sah sich der Herrscher des kirchlichen Rückhalts beraubt und allein der partikularistischen Fürstenopposition gegenüber. Diese verlangte von ihm auf dem Triburer Reichstag, sich entweder vom Bann zu lösen oder binnen Jahr und Tag auf die Krone zu verzichten. Sie zwangen also den König zur Entscheidung zwischen Kapitulation oder Bußfahrt - die Heinrich 1077 nach Canossa unternahm - und ermöglichten es damit dem Papst, die Schiedsrichterrolle zu spielen.

    Gregor, der die kaiserliche Macht unterschätzte, überspannte jedoch den Bogen seiner Politik durch die zweite, viel unwirksamere Bannung von 1080. Vor den königlichen Heeren konnte er sich schließlich nur mit Hilfe seiner normannischen Verbündeten retten. In Robert Guiscards Regierungssitz Salerno starb er 1085 als Flüchtling. Er glaubte, den Kampf verloren zu haben, aber er hatte die Welt verwandelt, auch die Kirche. Die Stellung des Kaisertums, sein Ansehen im Abendland waren durch die Ereignisse schwer erschüttert. Die Brüchigkeit seiner inneren Machtposition war deutlich zutage getreten.

    Gregors Nachfolger Urban II. (1088-1099) führte den Investiturstreit fort. Nach ihm aber wurde der zunächst völlig unzeitgemäße und ungeschichtliche Versuch unternommen, beide Gewalten aus ihrer Verzahnung miteinander zu lösen. Schließlich fanden sich Kaiser Heinrich V. (1106-1125) und Papst Calixtus II. zu einem Kompromiss im Wormser Konkordat von 1122 bereit. Demzufolge überließ der Kaiser "der heiligen katholischen Kirche die ganze Investitur durch Ring und Stab" (d.h. die geistliche Vollmacht der Bistümer wird fortan ausschließlich von der römischen Kirche verliehen), während der Papst dem Kaiser zugestand, dass der erwählte Bischof "die Regalien durch das Zepter von Dir empfangen" solle (d.h. der Bischof wurde hinsichtlich seiner weltlichen Herrschaft königlicher Lehnsträger). Damit war die Tendenz zur Entwicklung geistlicher Fürstentümer eingeleitet.

    Die Schwächung der kaiserlichen Macht in Italien musste zwangsläufig zu erneuter Spannung zwischen beiden Gewalten führen, als der Staufer Friedrich Barbarossa im 12. Jahrhundert versuchte, seine Macht als deutscher König auf die alten Regalien (Königsrechte) und den Reichsbesitz in Italien zu stützen. Ihm trat auf der Seite der Kurie Papst Alexander III. als Gegenspieler gegenüber.

    In Italien stieß Barbarossa auf den Widerstand der aufstrebenden Städte Oberitaliens, die Ansätze einer Selbstregierung entwickelten. In ihnen fand der Papst natürliche Verbündete. Im Rücken drohte dem Kaiser die Eigenwilligkeit der Fürsten, vor allem seines großen Welfengegners, Heinrichs des Löwen. So wurde er in einen Kampf nach drei Fronten hin verwickelt, der ihn auch dem Papst gegenüber zum Einlenken zwang. Hatte er 1157 noch auf dem Reichstag von Besançon die Machtansprüche des Papstes zurückgewiesen, der die Krone als Lehen aus seiner Hand bezeichnete, so musste er 1177 im Frieden von Venedig die Stellung des Papstes Alexanders III. (1159-1181) anerkennen. Die Aufstellung eines kaiserlichen Gegenpapstes (Viktor IV, 1159-1164) war wirkungslos geblieben.

    Eine letzte Kampfesphase zwischen Reich und Kirche bildete die Auseinandersetzung zwischen dem Staufer Friedrich II. und den Päpsten Gregor IX. und Innozenz IV. Beide Mächte richteten ihren Blick auf Unteritalien und Sizilien. Ihre Vereinigung mit dem Reich wollte die Kurie verhindern. Als sie den Staufern durch die Heirat Heinrichs VI. mit Konstanze, der Erbin des Normannenstaates in Unteritalien und Sizilien, dennoch gelungen (1184) und unter Heinrichs Sohn, Kaiser Friedrich II., machtpolitische Wirklichkeit geworden war, sah sich das Papsttum aufs höchste bedroht.

    Der Papst bediente sich des innerdeutschen Kampfes zwischen Welfen und Staufern, um die Macht des Königs zu schwächen. Innozenz III. (1198-1216) entschied sich zunächst für den Welfen Otto IV. und erreichte den Verzicht des Kaisers auf die Besetzung der Bischofsstühle. Das Laterankonzil von 1215 demonstrierte die Machtfülle des Papsttums: Es beschloss die Ketzerverfolgung mit den Methoden der Inquisition und verkündete die päpstliche Lehnshoheit über England, Sizilien, Aragon, Portugal und Armenien. Bald nach dem Wechsel des Papsttums ins staufische Lager begann die Auseinandersetzung erneut. 1227 wurde Friedrich II. von Gregor IX. gebannt, weil er sein Kreuzzugsversprechen nicht einhielt. 1245 kam es zum Höhepunkt des Konflikts: Friedrich II., zuvor von Innozenz IV. abermals gebannt, wurde auf dem Konzil von Lyon als Kaiser abgesetzt; der Papst gab Sizilien als Lehen an Karl von Anjou. Der Staufer Manfred versuchte, sein Erbe zu retten, fiel jedoch 1266 bei Benevent. Damit war die Epoche staufischer Herrschaft an ihr Ende gekommen. Die Anjous wurden durch den sizilianischen Aufstand von 1282 (Sizilianische Vesper) von der Insel vertrieben, konnten jedoch ihre Herrschaft in Neapel behaupten.


    Das Ende der Staufer schien den endgültigen Triumph des Papsttums zu bedeuten. Der Niedergang des Reiches beraubte das Papsttum jedoch seiner weltlichen Stütze. Bald zeigte sich, dass die päpstliche Macht hauptsächlich auf der Schiedsrichterrolle zwischen den Gewalten beruht hatte; eine ausreichende weltliche Machtbasis war nicht vorhanden. Die päpstliche Lehnshoheit hatte in dieser Zeit mehr und mehr nur symbolische Bedeutung. Die Entwicklung zum Landesstaat, die gerade in der staufischen Epoche so deutlich wird, führte immer klarer zur inneren Aushöhlung des Lehnssystems. Als Bonifaz VIII. seine Herrschaftsansprüche mit der Bulle Unam sanctam von 1302 auch dem französischen König gegenüber behaupten wollte, kam es sehr schnell zur Niederlage des Papsttums. Schon 1309 musste Clemens V. den Sitz der Kurie nach Avignon verlegen und sich damit in die Hand Frankreichs begeben.

    Die kaiserliche Gewalt der deutschen Herrscher verlor im Spätmittelalter ebenso an Bedeutung wie die des Papstes. Nutznießer innerhalb der Kirche wurde die Konzilsbewegung, die mit Hilfe Kaiser Sigismunds (1410-1437) dem Nebeneinander der Päpste von Avignon und Rom und damit der Kirchenspaltung (Schisma) ein Ende setzte (Konzil von Konstanz, 1414-1418).