Geschichte: Katharina II. die Große

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    russische Zarin; * 2. Mai 1729 in Stettin, † 17. November 1796 in Zarskoje Selo (Puschkin)

    In Russland war Katharina II. (1762-1796), nicht ohne Zutun Friedrichs des Großen, Gemahlin des Zaren Peters III. geworden. Sie stammte aus Anhalt-Zerbst. Nachdem sie ihrem gewaltsam beseitigten Gatten auf dem Thron gefolgt war, lebte sie mit ihren Liebhabern in den Formen und Vorstellungen des barocken Versailler Hofs, ohne dass unter ihrer Genuss- und Zerstreuungssucht die Regierungsgeschäfte gelitten hätten.

    Letzteren widmete sie sich mit größter Gewissenhaftigkeit und Energie. Während sie es verstand, dem russischen Adel und Volk das Bild einer tief gläubigen orthodoxen Christin vorzuspiegeln, lebte sie im Grunde in der Welt der westeuropäischen Aufklärung. In ihrer eigenen Schriftstellerei - sie verfasste Dramen, Novellen, Märchen und Fabeln - kommt diese Geisteshaltung deutlich zum Ausdruck. Sie betätigte sich als Mäzenatin der Kunst, besonders der Architektur, ließ die Hauptstadt mit einer Reihe barocker Bauten ausschmücken, sammelte Bücher und zeigte sich in ihrer vielseitigen Korrespondenz auf der Höhe des Zeitgeists.

    Auch das politische Reformwerk Katharinas spiegelt die aufklärerische Haltung wider. Ihre Rechtskodifikation, die sich in einem allgemeinen, von ihr persönlich bearbeiteten Gesetzbuch niederschlug, zeigt sie sogar über die Vorstellungswelt des aufgeklärten Absolutismus hinaus bereits offen für die vorrevolutionären Ideen eines Montesquieu, dessen Rezepte sie durch Trennung der richterlichen und gesetzgebenden Gewalt zum Teil verwirklichte.

    Eine Reform des Strafprozessverfahrens zeugt gleichfalls vom aufgeklärt-humanitären Geist der Zarin. Die geplante Reform des Regierungssystems blieb jedoch in den Anfängen stecken. Sie scheiterte am Widerstand der konservativen Mitglieder der Reformkommission, aber auch an der Tatsache, dass die Zarin trotz aller liberaler Tendenzen doch am autokratischen Regime festzuhalten gedachte. Die Alleinherrschaft wurde nun allerdings nicht mehr religiös, sondern rationalistisch mit den geografischen Gegebenheiten Russlands begründet. So blieben von hochfliegenden Plänen nur Einzelmaßnahmen in der Neugliederung der Verwaltung der Finanzen und der Rechtsprechung sowie Maßnahmen wirtschaftlicher Förderung im Geist der physiokratischen Lehre übrig.

    1755 war die Universität Moskau gegründet worden; die Zarin richtete Volksschulen und Gymnasien ein. Deutsche Bauern wurden an der Wolga und auf der Krim angesiedelt. Das absolutistische Gesellschaftsgefüge, das in Russland noch besonders altertümliche Elemente aufwies, wurde durch diese Teilreformen kaum verändert. Großen Widerstand gegen die als westliches Teufelswerk verdammten Reformen leisteten der Adel und die orthodoxe Geistlichkeit, aber auch in den breiten Bevölkerungsschichten regte sich Unzufriedenheit.

    Die Verworrenheit der inneren Lage zeigte sich am deutlichsten im Zusammenfließen einer Sozialrevolutionären Bauernbewegung mit dem Kosakenaufstand des Pugatschow (1773/74), die beide völlig verschiedene Ziele verfolgten, schließlich aber gemeinsam durch die Truppen der Zarin niedergeschlagen wurden. Die Ruhe wurde nach der Hinrichtung des Führers 1775 wiederhergestellt, aber echte soziale Reformen unterblieben. Die Leibeigenschaft der Bauern und ihre schwere Belastung durch hohe Abgaben beherrschten weiterhin das Gesamtbild Russlands.

    Der außenpolitische Ehrgeiz Katharinas brachte erneut Unruhe in das europäische Mächtesystem. Ihr Versuch, Polen durch ihren Günstling Stanislaus Poniatowski indirekt zu beherrschen, scheiterte an dessen Eigenwilligkeit. Poniatowski wollte ein absolutistisches Regiment gegen den Adel durchsetzen. Da verbündete sich Katharina gegen ihren einstigen Protege und steuerte auf die direkte Inbesitznahme Polens hin. Sie erreichte 1772 eine Verständigung mit Preußen zur Aufteilung Polens und ein Abkommen der beiden Mächte mit Österreich, das auch der Donaumonarchie einen Anteil gewährte. Preußen erhielt das alte Pommerellen, später Westpreußen genannt, Ermland und den Netzedistrikt, Russland das westliche Livland, die Gebiete östlich von Düna und Dnjepr während Österreich Galizien und Lodomerien mit den wichtigen Städten Tarnopol und Lemberg bekam.

    So entstand am Ausgang der Epoche des Absolutismus mit dieser ersten Teilung Polens in Osteuropa ein neuer Unruheherd, der die europäische und weltpolitische Entwicklung bis in die heutige Zeit hinein immer wieder ungünstig beeinflusst hat. Innenpolitisch aber hatten in Russland die reaktionären Kräfte gesiegt, der Fortschrittswille Katharinas war überwunden, so dass ihr Staat in die Epoche der Revolutionen als Repräsentant des alten Europas einging.