Geschichte: Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur

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    Das Lehnswesen, das seit der Karolingerzeit in starker Entwicklung begriffen war, beruhte auf dem frühmittelalterlichen Wanderkönigtum, das sich zur Durchsetzung seiner Herrschaft auf Vasallen stützen musste, die mit Landbesitz ausgestattet waren. Mit der Erblichkeit des Lehens entwickelte sich auch die Grundherrschaft, die oft weit verstreute Gutsbezirke, eine Ansammlung verschiedenster Besitztitel, Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse in einer Hand vereinigte. Die weltlichen Hoheitsrechte, vor allem die Gerichtsbarkeit, wurden im Bereich des kirchlichen Besitzes von königlichen oder adligen Schutzherren, den Vögten wahrgenommen.


    Städtisches Leben kannte das frühe Mittelalter nur in Anfängen. Wenn auch die ehemaligen Römerstädte, insbesondere in den Kerngebieten des römischen Imperiums, in Italien, Spanien und Frankreich, weiterlebten, so hatten sie doch ihre alte Funktion im Reichsorganismus verloren. Starke Wandlungen zeigten sich vor allem in den ostfränkischen (deutschen) Römerstädten, die von Garnisonsstädten, Verwaltungsmittelpunkten und Handelsmetropolen zu Ackerbürger-, Handwerker- und Kaufmannssiedlungen wurden. Die Wehrsiedlungen der ottonischen Zeit und die königlichen Pfalzen traten dann als neue Kristallisationspunkte städtischer Siedlungen in Deutschland hinzu. Aber auch kirchliche Sitze, wie die der Bischöfe und Erzbischöfe, spielten als Missions- und kirchliche Verwaltungszentren in der Stadtgeschichte des frühen Mittelalters eine bedeutende Rolle. Dabei war die Stadt nördlich der Alpen nicht Adelssitz wie im Mittelmeerraum. Vielmehr entwickelte sich ihr "Bürgertum" als eigener, von Adel und Bauern abgegrenzter Stand aus der Unfreiheit.

    Bei vorsichtiger Schätzung darf angenommen werden, dass es um 900 n.Chr. etwa 40 stadtähnliche Siedlungen in Deutschland gab, um 1200 waren es etwa 250. Im 13. Jahrhundert wurden etwa 800 Städte neu gegründet, um 1500 besaßen etwa 3000 Orte Stadtrecht.

    Das starke Anwachsen der Bevölkerung in Deutschland konnte durch die äußere und innere Kolonisation aufgefangen werden. Sumpf- und Waldgebiete wurden gerodet und kultiviert, der grundherrschaftliche Eigenbesitz wurde aus der Selbstbewirtschaftung des Sallandes in die Zinsgüterwirtschaft bäuerlicher Pächter oder in die Form der Erbbestandsgüterwirtschaft überführt.

    Klöster und Orden, vor allem der Zisterzienserorden, sind an den großen Leistungen der inneren Kolonisation stark beteiligt.


    Bevölkerungsvermehrung, Ausdehnung des Handels und Aufblühen der Gewerbe hingen eng zusammen. Weberei und Färberei florierten vor allem in Flandern, das Metallgewerbe blühte im niederländisch-niederrheinischen Raum. Waren dieser Gewerbe verlangten nach Ausdehnung des Handels. Export und Fernhandel gewerblicher Erzeugnisse - daneben auch mit Wein, Gewürzen und Fischen - begannen seit dem 11. Jahrhundert eine größere Rolle zu spielen. Oberdeutschland, Italien und die Küstengebiete Nord- und Westeuropas zeigten die früheste Blüte handwerklicher und künstlerischer Betätigung.

    In Norden überwog dabei der Großhandel. Seine Träger gaben ihrem Lebensstil auch politischen Ausdruck in der patrizischen Stadtverfassung der Hafenstädte. Im Westen und Süden bestimmten Handwerk und Gewerbe das wirtschaftliche und politische Bild, für das die Zunftverfassung ausschlaggebend wurde. Die eigentliche Blütezeit der Stadtwirtschaft liegt im Spätmittelalter.

    Zugleich aber trat den Städten ein gewichtiger Konkurrent gegenüber, der sich gleichfalls um wirtschaftliche Fragen zu kümmern begann: der aufstrebende Territorialstaat. Diese Entwicklung zeigt sich in Italien, wo viele Stadtstaaten, die zuvor die kaiserliche Macht mit Erfolg bekämpft hatten, nicht in der Lage waren, ihre Freiheit und Selbstverwaltung gegenüber Kräften zu behaupten, die eine größere Machtballung im Landesstaat anstrebten. Aber auch in den deutschen Ostgebieten ist diese Tendenz deutlich zu beobachten. Im übrigen Europa, wo die Entwicklung städtischer Freiheiten weniger weit gediehen war, ergab sich durch das Zusammenspiel von Königtum und Städten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen lokaler und überlokaler Gewalt - alles dies jedoch in vielfachen Nuancen, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der noch in der frühen Neuzeit unternommene Versuch hugenottisch geführter Städte in Frankreich, mit der Selbstständigkeit der Stadt zugleich die religiöse und wirtschaftliche Freiheit zu sichern, an der längst kraftvoll gewordenen Zentralgewalt scheiterte.

    Eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Städtebünde nahm der größte und mächtigste unter ihnen, die Hanse, ein. Ihr Ziel war die Beherrschung des Handels in der Nord- und Ostsee; sie wandte ihre wirtschaftliche und politische Initiative also nach außen und vermied so den Konflikt mit den territorialstaatlichen Kräften in Deutschland. Statt dessen prallte sie mit den aufstrebenden Zentralgewalten der nordischen Staaten wie auch den Seefahrt treibenden Engländern und Niederländern zusammen. Dänemark konnte sie sich immerhin politisch und wirtschaftlich zeitweise gefügig machen.


    Ihr Einflussgebiet reichte von Brügge über London bis Bergen im Norden, bis Nowgorod und Krakau im Osten, und bezog Norddeutschland zwischen Rhein und dem Mittelgebirgsrand ein. Ihr Handel war vielseitig im Warensortiment, doch spielten Salz (Lüneburg) und Getreide (Danzig als Hauptort) eine besondere Rolle. Der Osten brachte eine Fülle von Waren aus einer extensiven, primitiven Wirtschaft. Pech, Teer, Holz, Felle, Häute, Wachs, Honig, Hanf und Flachs sind vor allem zu nennen. Ein großer Artikel aber wurde der Hering für den Handel der Hanse. Die Dänen fingen den Hering, die deutschen Händler kauften ihn - mit Lüneburger Salz haltbar gemacht und in Rostocker Tonnen vertrieben, war er für das fastenreiche Mittelalter ein wichtiges Grundnahrungsmittel.

    Wirtschaftszentren eigener Prägung, die zumeist nur in loser Verbindung mit der Hanse standen, gab es in Kursachsen, in der Lausitz und in Schlesien. Für Sachsen wurden der Bergbau des Erzgebirges und die Leipziger Messe wichtige Wirtschaftsfaktoren; die Lausitz wurde zu einem Mittelpunkt der Tuchherstellung, und Breslau übernahm die führende Rolle im Handel mit der Ukraine, mit Galizien, Polen und den baltischen Ländern. Görlitz war berühmt durch sein Stapelrecht (1339) für die deutsche Indigopflanze, Waid genannt, die zum Blaufärben Verwendung fand.

    Angeregt durch die mächtige Blüte der oberitalienischen Städtewirtschaft, entfalteten sich im Süden des Reiches wirtschaftliche Mittelpunkte wie Nürnberg, Augsburg, Wien und Prag, die den Warenaustausch zwischen Oberitalien und Deutschland besorgten. Auf diesem Weg fanden auch die Orienterzeugnisse über Venedig, Mailand und Florenz Eingang in die Regionen nördlich der Alpen. In Italien entstanden blühende deutsche Kaufmannsniederlassungen. Schon 1128 ist der Fondaco dei Tedeschi (das Kauf- und Lagerhaus der Deutschen) in Venedig nachweisbar. Süddeutsche, Wiener, Breslauer, Kölner und Lübecker Kaufleute trafen dort zusammen. Der westdeutsche Handel aber, vor allem der niederrheinische (Hauptort Köln) verlagerte mit der Zeit den Schwerpunkt seiner Tätigkeit vom Süden nach dem Westen Europas, wo er den Austausch mit dem berühmten Tucherzeugungsland Flandern, aber auch mit Frankreich pflegte.


    Nach Warengruppen lassen sich bestimmte Hauptgebiete der Herstellung erkennen: Wolle und Tuche herrschten in Flandern vor, Barchent in Ulm und Augsburg, Messingwaren in Dinant und Aachen, Metallwaren in Nürnberg, Waid (die wichtigste Färbepflanze des Mittelalters) in Erfurt und Görlitz, Leinen in Oberdeutschland, Westfalen und Sachsen. Für alle diese Produkte spielte der Export eine größere Rolle als der Verbrauch im Binnenland.

    Die wirtschaftliche Blüte wirkte auch auf das soziale Gefüge der Städte zurück. Das wohlhabende, oft schnell reich gewordene Handwerker- und Händlertum fand in den Zünften und Gilden nicht nur den Ausdruck seiner wirtschaftlichen, sondern zugleich das Instrumentarium seiner politischen Macht. Dabei übernahm der aus den reichen und alteingesessenen Familien gebildete Stadtadel, das Patriziat, die politische Führung, während die politischen Rechte der übrigen Bürger nach Stand und Einkommen abgestuft waren (Ehrbarkeit, Zunfthandwerker). Eine breite Masse ohne Bürgerrecht bildete eine Art vorproletarischer städtischer Unterschicht.

    Im spätmittelalterlichen Verfassungsstaat Deutschland, den man - verengend - oft als Fürstenrepublik bezeichnet hat, gewannen die Städte Recht und Funktion der Reichsstandschaft und damit ein gewisses politisches Mitspracherecht. Innerhalb der starken ostdeutschen Territorien konnte sich freilich eine städtische Autonomie und Selbstverwaltung nie voll entfalten. Immerhin gaben auch dort die Fürsten den Städten, deren wirtschaftliche Blüte und finanzielle Stärke sie aus eigennützigen Interessen förderten, eine gewisse Bewegungsfreiheit.

    So sehr sich die Städte auch um einen freiheitlichen Raum in Politik, Recht und Wirtschaft bemühten, galt ihr Bemühen doch immer der Gemeinschaft, nie dem Einzelnen. Wenn auch die persönliche Initiative in der Wirtschaft damals schon eine Rolle spielte - ihre Ergebnisse kamen zuerst der Gemeinschaft zugute und konnten nicht gegen deren Interessen ausgespielt werden. Im Markt- und Stapelrecht, im Zunftzwang und Gewerbemonopol, im Straßenzwang, in Zoll- und Münzordnung hatten die Selbstverwaltungskörperschaften der Städte alle Instrumente einer strikten Wirtschaftspolitik in der Hand. Ihr Hauptanliegen war die Sicherung der ansässigen Bürgerschaft durch Vermeidung von Überproduktion und Konkurrenz. Damit hat auch die städtische Gesellschaft, trotz unverkennbar größerer Mobilität, letztlich die als gottgewollt empfundene ständische Ordnung beibehalten.


    In der Stadt, auf dem Rathaus haben sich, seit die Papierfabrikation im 13. Jahrhundert in Deutschland einsetzte, Aktenwesen und Bürokratie entwickelt. Die königliche Kanzlei besaß zu dieser Zeit noch keine Registratur, kein Archiv. Die schriftliche Verwaltung und Aktenführung ist, wie der beginnende Kapitalismus, eine Errungenschaft der Stadt. Das im Mittelalter immer wieder erneuerte Zinsverbot wurde eigentlich von allen umgangen. Pfandleihe und Rentkauf dienten dazu, und der Rentbrief der Städte wurde zum ersten Inhaberpapier. Dass der Zinsfuß trotz des Ideals vom gerechten Preis fast immer ein Wucherzins war, entsprach dem hohen Risiko des Geldgebers.

    Die städtischen Bevölkerungszahlen entwickelten sich gegen Ende des Mittelalters rasant nach oben. Dennoch darf man nicht heutige Maßstäbe anlegen. Städte mit mehr als 5000 Einwohnern - wie Nördlingen und Regensburg - waren selten, Ausnahmen bildeten Köln, Nürnberg, Straßburg und Lübeck mit 20-30 000 Einwohnern.

    In Frankreich bremste der Hundertjährige Krieg mit England die Entfaltung des Städtewesens. Binnen- und Außenhandel blieben daher dem Umfang nach weit hinter den deutschen und italienischen Verhältnissen zurück. Troyes, Provins, Bar-sur-Aube und Lagny vermittelten den italienisch-englischen Handel auf dem Festlandsweg und wurden so zu wichtigen Messeorten, die auch mit Oberdeutschland in Verbindung standen. Seit dem 14. Jahrhundert wurden sie von Genf, Paris und Brügge überflügelt. Das königliche Interesse bemächtigte sich in dieser Zeit der Wirtschaftspolitik und begann mit einer Regelung des Wirtschaftslebens schon ganz im Sinne absolutistisch-merkantilistischer Vorstellungen des 17. Jahrhunderts. Daher blieb den Zünften und Gilden in Frankreich ein weit geringerer Spielraum für wirtschaftliche und politische Machtentfaltung als in Deutschland und Italien, wo starke Zentralgewalten fehlten. Die bedeutendsten französischen Häfen waren Bordeaux, La Rochelle und Rouen; in der Zeit der staatlichen Sonderentwicklung Burgunds traten die Messen von Lyon und Rouen an die Stelle derer von Genf und Brügge.

    Ein Blick auf das soziale Gesamtbild des Landes zeigt jedoch ebenso wie in Mitteleuropa den Niedergang der lehnsrechtlichen Ordnung und der adlig-ritterlichen Gesellschaft, die auf ihr beruhte, zugunsten eines Aufstiegs von Bürgertum und Bauerntum.

    In England lagen die Verhältnisse ähnlich. Zwar wurde die städtische Selbstverwaltung stärker ausgebildet als in Frankreich, aber die Kontrolle durch die starke Zunftgewalt verhinderte Erscheinungen wie die politisierenden Städtebünde in Italien und Deutschland. Die Rosenkriege (1455-1485) und die Pestwellen der beiden letzten Jahrhunderte des Mittelalters brachten noch größere Rückschläge als auf dem Festland.

    Hauptbetätigungsfeld der englischen Stadtwirtschaft war der Überseehandel - hier kamen auch die ersten kolonisatorischen Impulse zur Wirkung, die von der Regierung bewusst gefördert und durch Schutzmaßnahmen gegen die italienische und deutsch-hansische Konkurrenz unterstützt wurden. Die Anfänge der britischen Weltreichspolitik lagen in der Abwehr fremder Handelskonkurrenz und in der Sicherung der Handels- und Schifffahrtsstraßen; später folgte dann das aktive Ausgreifen. An Stelle der italienischen und deutschen traten nach der Entdeckung Amerikas die spanischen, portugiesischen und holländischen Seefahrer in scharfen Wettbewerb mit Englands Kaufleuten; diese konnten aber dank des stärkeren Rückhalts durch eine bewusst maritim denkende Staatsgewalt und im Schutz ihrer Insellage - unberührt von den religiösen und machtpolitischen Wirren auf dem Kontinent - im Laufe des 17. Jahrhunderts schließlich die Oberhand über alle Konkurrenten gewinnen.


    Die mittelalterliche Kultur kennt zwar nationale Spielarten, aber von nationalen Kulturen kann kaum die Rede sein. Soweit die Literatur lateinisch ist, von Klerus und Mönchtum getragen und dem kirchlichen Auftrag verpflichtet, Geist und Lehre des Christentums zu verbreiten, ist sie nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich über die Grenzen der Stämme und Nationen hinweg einheitlich. Aber auch die ritterliche Kultur des Mittelalters, die ja nicht nur in der Dichtung, sondern vor allem auch in den Lebensgewohnheiten und der menschlich-ethischen Haltung zum Ausdruck kommt, hat in Grundgehalten und Formen abendländischen Charakter. Die Wiege des Rittertums waren die Höfe der großen französischen Herren, der Herzöge und Grafen, die die Ritterschaft der einzelnen Landschaften um sich versammelten. Sie prägten und entwickelten den ritterlichen Lebensstil, den Minnesang, ja die höfische Literatur überhaupt, die von hier aus auf das übrige Europa ausstrahlte.

    Freilich wird man sagen dürfen, dass die ethische Vertiefung des ritterlich-christlichen Gedankenguts, das zur Einheit der beiden Komponenten strebt, nirgends so weit gedieh wie in Deutschland. Das übrige Abendland hat dem "Parzival" eines Wolfram von Eschenbach (1170-1220) nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen. Daneben ist Walther von der Vogelweide (1190-1230), der als politischer Spruchdichter im großen Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum Partei genommen hat, im Reichtum seines lyrischen Werks, das von der hohen Formkunst höfischen Minnesangs bis zur tagesbezogenen Zeitdichtung reicht, von keinem europäischen Zeitgenossen übertroffen worden.


    Das staufische Zeitalter mit seinen weitgespannten politischen und geistigen Horizonten bildet den Hintergrund auch der ritterlich-höfischen Dichtung des deutschen Mittelalters. Die einzelnen Sprach- und Kulturlandschaften Deutschlands lösen im Gang der hochmittelalterlichen Dichtungsgeschichte einander ab. Am Anfang stand Rheinfranken, daneben gab es den alemannisch-schwäbischen und den bayerisch-österreichischen Raum. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts meldete sich nach dem thüringischen das böhmisch-meißnische Gebiet und das östliche Norddeutschland.

    Das grundlegend Neue dieser Dichtung war: Der Geistliche tritt zurück, der ritterliche Dichter beherrscht das Bild. Mit seiner Dichtung wollte er, ähnlich dem Sänger des altgermanischen Heldenliedes, eine Welthaltung, einen bestimmten Lebensstil von vorbildhaftem Charakter gestalten und verkünden. Inhalt und ständig variiertes Thema war die "Hohe Minne", die zwar Erfüllung fordernde, aber als unerfüllbar akzeptierte Liebesbeziehung zwischen dem dienenden Ritter und der - verheirateten - "frouwe", der Herrin, die dem Minneherrn durch ein Zeichen ihrer "hulde" den "hohen muot" verleiht, die Hochstimmung, die zu Heldentaten befähigt. Zwischen Liebe und Tat als Spannungspolen entfaltet sich die ritterliche Lebensform. Höfisch sein heißt für den ritterlichen Dichter, vorbildlich und vollkommen im Sinne eines schließlich zum Ritual erstarrenden ritterlichen Lebensideals den ganzen Menschen formen.

    Die Baukunst zeigte in Deutschland wie im übrigen Abendland nördlich der Alpen den künstlerischen Schöpfungswillen der adligen Eigenkirche. In Deutschland aber war der romanische Kirchenbau darüber hinaus Ausdruck der deutschen Kaiseridee. An den großen Dombauten von Mainz, Speyer, Worms, Bamberg, Hildesheim und Magdeburg ist das besonders deutlich abzulesen.

    Die hochmittelalterliche Gotik wiederum wurde zum Ausdruck der neuen geistigen und sozialen Kräfte einer späteren Epoche. Im wesentlichen vom hohen Klerus und vom Bürgertum getragen, weist sie in die bürgerliche Spätzeit, gehört sie in engen Zusammenhang mit der Entfaltung des bürgerlichen Profanbaus, der Pfalz- und Burgbauten überflügelt, so wie in der bildenden Kunst das Tafelbild die ältere Plastik verdrängt. Im 15. Jahrhundert kann man im Zuge des sich stetig verstärkenden Realismus deutlich das Wachstum nationaler Stile in der bildenden Kunst beobachten.

    Es ist kein Zufall, dass nach dem Niedergang des von den Deutschen geführten abendländischen Imperiums Frankreich die Führung in der Architektur übernahm. Der Initiative des Abtes Suger von St. Denis verdankt die gotische Wölbungskunst ihren Ursprung. Reims, Chartres, Laon, Amiens und Rouen folgten seinen ersten Versuchen und prägten so für das gesamte christliche Abendland den Stil der Gotik, die von den Italienern freilich als germanisch-barbarisch, eben "gotisch" empfunden und benannt wurde.

    Die divergierenden geistigen Strömungen des Spätmittelalters, die seelische Unruhe der Mystik, der deutlich erkennbare Aufbruch des Rationalismus und damit der beginnenden Skepsis gegenüber dem kirchlichen Dogmatismus konnten auf die Dauer auch von der Scholastik, die Glaube und Erkennen in einer höheren Einheit zu verschmelzen suchte, nicht gebannt werden. So bedeutend das Gedankengebäude etwa eines Thomas von Aquin (1224/25-1274) auch für seine Zeit gewesen sein mochte - die geistige Dynamik der Zeit, ihre tiefen revolutionären Kräfte konnte es nicht in Fesseln legen. In der Scholastik aber wurzeln die seit dem 13. Jahrhundert entstehenden Rechtsschulen und Universitäten (u.a. Paris, Bologna und Oxford noch vor 1200; Cambridge 1209; Padua 1222; Lissabon 1290; Prag 1348; Krakau 1364; Heidelberg 1386). Sie sind danach zu den eigentlichen Trägern der geistigen Revolution des Abendlandes geworden.

    Die Zeit von 1300 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts trägt deutlich den Charakter einer Übergangszeit. Altes brach zusammen; Neues drängte an die Oberfläche, fand aber keine feste Gestalt. Widerspruchsvolle Tendenzen standen unverbunden nebeneinander oder gingen die eigenartigsten Verbindungen miteinander ein.

    Es ist durchaus nicht so, dass das Hochmittelalter eine Zeit der klassischen Ruhe und vollendeten Form gewesen wäre. Unruhe war auch diesem Zeitalter schon zu eigen. Aber es kam doch zur Ausprägung klarer Ideen im weltanschaulichen Bereich, es formten sich feste soziale Formen und allgemeingültige Bindungen, die dieser Zeit ihr bestimmtes und unverkennbares Gepräge geben. Dies alles versank nun. In allen Lebensbereichen trafen die treibenden Mächte aus der Tiefe nicht mehr auf eine gestaltende und formende Kraft. Auf politischem Gebiet war das Kaisertum des Hochmittelalters, das unter den Staufern seine letzte universale Ausprägung gefunden hatte, zusammengestürzt. Die hochmittelalterliche Einheit Europas oder wenigstens Mitteleuropas ging verloren. Italien löste sich von Deutschland, das in eine Unzahl kleinerer geistlicher und weltlicher Herrschaftsgebiete zerfiel, die einander befehdeten.

    Das Kaisertum war kaum mehr als eine Erinnerung; machtpolitisch galt es nur soviel, als ihm an Hausmacht eigen war. Das habsburgische Reich ist seinem Wesen nach mit dem hochmittelalterlichen Kaisertum durchaus nicht zu vergleichen. Letzteres war gegründet auf eine Idee, in der sich politische Realität mit weltanschaulichem Sendungsauftrag zu einer eigenartigen Einheit verflochten hatte. Das Habsburger Reich hingegen war ein Ergebnis moderner dynastischer Erb- und Hausmachtpolitik; die religiöse Einheit seiner Bürger bildete nur mehr die weltanschauliche Folie, war nicht mehr die gestaltende Idee. Der Sendungsgedanke des mittelalterlichen Reiches fehlt hier vollständig.


    Man hat Kaiser Maximilian I. (1493-1519) "das Musterbeispiel dynastischer Erbschaftspolitik" genannt, gewiss auch den "letzten Ritter", aber er gehörte mehr in die neue Zeit. Sein Versuch, nach burgundischem Vorbild Reformen im Reich durchzuführen, scheiterte, doch die Zentralverwaltung der österreichischen Erblande gelang.

    Aber auch das innere soziale und politische Gefüge änderte sich in jener Übergangszeit grundlegend. Die Welt des Feudalismus, des Lehnswesens, versank und mit ihr die ständische Gliederung in Gesellschaft und Staat. Der Ritterstand verlor mit dem Niedergang des Reiches und der alten ständischen Ordnung seine Lebensaufgabe und damit seine Daseinsberechtigung. Ohne eine politische Mission versank er in Landjunker- oder Raubrittertum. Die neue politische Ordnung des zunehmend absolutistisch regierten Territorialstaats zeichnete sich ab.

    An die Stelle des funktionellen Staatsaufbaus des alten ständischen Systems, das den Boden nur einer bestimmten politischen Funktion, einem politischen Auftrag als Lehen zuordnete, trat nun der Besitz als Eigentum, traten Grund und Boden als politisch maßgebende und Recht setzende Wirklichkeiten.

    Der Entwicklung des Territorialstaates im Bereich der alten führenden Feudalmächte entsprachen auf mittlerer Ebene die neuen politischen Realitäten des Städtewesens, des Stadtbürgertums. Auch hier erwuchs die politische Macht im grundlegenden Gegensatz zu den eigentlich mittelalterlichen Machtvorstellungen aus dem Besitz, der hier freilich weniger als Grundbesitz, sondern als Güterreichtum in Erscheinung tritt, der handwerklicher und händlerischer Betätigung entspringt.

    Die Entwicklung dieses neuen Elementes staatlicher Wirklichkeit hat sich zuerst in Italien, schon unter Friedrich Barbarossa, angebahnt. Aber auch die Kirche, neben dem Reich der zweite tragende Grundpfeiler der hochmittelalterlichen Welt, musste am Ende des Mittelalters tiefe Wandlungen hinnehmen. Die Demütigung von Kaiser und Reich hatte sich als Pyrrhussieg der Kirche erwiesen. Der Zerfall der europäischen Einheit war der religiösen Einheit kaum förderlich, der Missionsgedanke musste erlahmen; die entfesselten partikularen Gewalten aber und die aufstrebenden nationalen Individualitäten waren noch weniger als vorher das Kaisertum geneigt, sich dem Machtspruch und der Vorherrschaft des Papsttums zu beugen.

    Mit diesen Verhältnissen hängt der Verfall der klösterlichen Kultur, insbesondere der Literatur, aufs Engste zusammen. Da Organisation und Glaubensleben auseinander fielen, verloren die alten kirchlichen Lehren allmählich an Geltung und Macht. Neue Wege zu Gott wurden gesucht. Die einen versenkten sich in die Tiefen der Seele und gelangten zur Mystik, andere aber wurden vom Zweifel an der Richtigkeit der kirchlichen Überlieferung schlechthin ergriffen.