Geschichte: Die Entwicklung in Frankreich und England

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    Einen völlig anderen Verlauf nahmen die konfessionellen Auseinandersetzungen in Frankreich und England. Aber auch hier waren sie eng verknüpft mit der innen- und außenpolitischen Entwicklung.

    In Frankreich musste sich der von außen her eindringende Protestantismus mit einer bereits gefestigten Zentralgewalt auseinandersetzen. Calvins Lehre stieß schon unter Heinrich II. (1547-1559), der rücksichtslos gegen die Waldenser vorging, auf heftigsten Widerstand. Erst als Teile des hohen Adels wie die Bourbonen sich der neuen Lehre zuwandten und als diese in dem Admiral Coligny einen bedeutenden Führer fand, wurde sie zu einer Gefahr für die religiöse und politische Einheit Frankreichs.

    1557 wurden die Generalstände wieder einberufen; sie sollten die Mittel für den Zweifrontenkrieg bewilligen. Als Heinrich II. kurz vor seinem Tode zu einer Verständigung mit Spanien gelangte und ihm gegenüber seine Ansprüche aufgab, sicherte er sich zugleich den Besitz von Calais ? ein kühner Handstreich vertrieb die Engländer ? und der Bistümer Metz, Toul und Verdun. Damit lenkte er den Expansionsdrang Frankreichs vom Süden auf den Osten um. Heinrich II. starb beim Turnier; sein Gegner stieß ihm die Lanze ins Auge. Die Hugenotten ? der Name leitet sich ab von "Eidgenossen", spielt also auf die Schweizer Herkunft des Protestantismus an ? fanden nun in dem Herzog Franz von Guise ihren erbitterten Gegner. Als politischer Berater des minderjährigen Heinrichs III., des letzten männlichen Sprosses des Hauses Valois, und der Regentenmutter Katharina von Medici war er - neben den Jesuiten - der Hauptverantwortliche für die Massenverfolgungen der Protestanten in Toulon und Orleans im Jahre 1562, die den Bürgerkrieg in Frankreich auslösten.


    Drei Jahrzehnte tobte das Ringen um die Macht im Staat. Verschärft wurde der Kampf durch das Eintreten der Hugenotten für den Freiheitskampf der Niederlande gegen Spanien. Truppen der Spanier und der Kurie fochten auf Seiten der katholischen Partei, protestantische Söldner aus der Pfalz im hugenottischen Lager. Der Höhepunkt des Bürgerkriegs war 1572 die Bartholomäusnacht: Anlässlich der Hochzeit Heinrichs von Nassau mit Margarethe von Valois wurden Admiral Coligny und viele hohe Führer der Hugenotten planmäßig ermordet. Ein blutiges Gemetzel, ein grauenhafter, fanatisierter Kampf aller gegen alle war die Folge. Ein Ende gab es erst, als der Bourbone Heinrich IV., der in der Bartholomäusnacht mit knapper Not vor seinen Mördern in sein kleines Reich Navarra hatte flüchten können, zum Katholizismus zurückkehrte und mit seinen Worten "Paris ist eine Messe wert" die Staatsraison über die religiöse Treue stellte.

    Das Toleranzedikt von Nantes (1598) zu Gunsten der Protestanten brachte eine Zeit der inneren Beruhigung, die freilich mit der Ermordung Heinrichs (1610) wieder jäh in Frage gestellt war. Das drohende Chaos wurde jedoch gebannt, als Ludwig XIII. Kardinal Richelieu (1624-1642) zum Leiter der französischen Politik berief.

    Der Kardinal, einer der bedeutendsten Politiker der französischen und europäischen Geschichte überhaupt, entstammte einer verarmten Adelsfamilie, die ihn mehr aus finanziellem als aus religiösem Interesse die geistliche Laufbahn hatte einschlagen lassen. So war auch das persönliche Fühlen und Denken Richelieus mehr national und politisch-realistisch ausgerichtet als christlich oder gar kirchlich. Ein stark rationaler Grundzug beherrschte sein Wesen. 1624 wurde er Vorsitzender des Ministeriums, 1629 Erster Minister der königlichen Regierung. Richelieu musste sich ebenso mit den Mitspracheansprüchen einer hohen Adelsclique am Hof auseinandersetzen, die ihre konfessionellen Zwistigkeiten in die Regierungspolitik hineintrug, wie mit dem Aufsichtsrecht der obersten Gerichtshöfe ? Parlamente genannt, jedoch nicht mit den gleichnamigen demokratischen Institutionen zu vergleichen ?, die danach strebten, das Mitbestimmungsrecht der Generalstände an sich zu ziehen und auch in Frankreich einen bürgerlich kontrollierten, auf bürgerliche Privilegien gestützten Ständestaat zu entwickeln.


    Richelieu setzte den Parlamenten außerordentliche Königsgerichte entgegen, um ihre Macht zu brechen.

    Mit den Intendanturen richtete er Organe der Zentralgewalt auf den Gebieten des Polizei-, des Gerichts- und des Finanzwesens ein, die allmählich die Provinz im Sinne der königlichen Politik zu beherrschen verstanden. Alle der Zentralgewalt abträglichen politischen Sonderrechte des Adels, so auch jene aus dem Edikt von Nantes, beseitigte der Kardinal; den Ansätzen zur Bildung von Staaten im Staat machte er damit ein Ende. Besondere Aufmerksamkeit widmete Richelieu dem Heer und der Flotte als den wichtigsten Trägern der königlichen Macht. Er verlangte den Dienst für Staat und Krone unter Hintansetzung aller partikularen Interessen, seien sie persönlicher oder konfessioneller Natur. Mit der Gründung überseeischer Handelsgesellschaften setzte er die merkantilistische Wirtschaftspolitik fort. Mit all diesen Maßnahmen wurde er zum Begründer der Autonomie des modernen Staats.

    Sein Nachfolger, von ihm selbst herangebildet und empfohlen, war Kardinal Mazarin (1643-1661). Im erbitterten Kampf mit den Gegnern des neuen Kurses, die sich in der aufständischen "Fronde" gesammelt hatten, oft nahe am Zusammenbruch seiner Politik, rettete er das Erbe Richelieus in die Ära Ludwigs XIV. hinüber. Seiner Zähigkeit, vor allem aber der Schlagkraft des von Richelieu geschaffenen stehenden Heers, war der endgültige Triumph der absolutistischen Staatsordnung in Frankreich zu verdanken.

    Von weltpolitischer Bedeutung war es, dass die Verknüpfung religiöser und politischer Entwicklung in England zu einem von der deutschen und französischen Geschichte gänzlich abweichenden Ergebnis führte. War in Frankreich der autonome Staat, geführt vom absoluten König, Sieger in den innen- und außenpolitischen Kämpfen geworden, in Deutschland das Landesfürstentum, das gleichfalls auf das Ziel einer absoluten Gewalt hinsteuerte, so war in England die Parlamentsherrschaft und damit ? wenigstens in grundlegenden Anfängen ? die demokratische Staatsform das Ergebnis der großen epochalen Auseinandersetzungen. Mit der "Suprematsakte" machte sich Heinrich VIII. 1534 selbst zum Oberhaupt der englischen Kirche und trennte sich damit von Rom, das ihm die Scheidung von seiner ersten Gemahlin verweigert hatte. Durch Annahme protestantischer Glaubenselemente entwickelte sich im Folgenden die englische High Church.


    Die Regierungszeit Elisabeths I. (1558-1603) zeigt wieder das für die Epoche typische ineinander greifen der religiösen, innenpolitischen und außenpolitischen Entwicklung. Gegen die schottische Königin Maria Stuart festigte sie ihre persönliche, im Grunde illegitime Stellung als Trägerin der Krone ebenso wie das nationale Königtum, das sich auf die neue Kirche stützte. Maria fand Rückhalt in Spanien und den katholischen Kräften Frankreichs. Aber gefährlich war sie auch durch die Wirkung ihrer Persönlichkeit. 19 Jahre verbrachte sie in Haft; dann wurde sie nach Elisabeths Willen Opfer eines Hochverratsprozesses und 1587 hingerichtet.

    Der Widerstand gegen die spanische Einmischung in die inneren Verhältnisse Englands wurde auch durch die wachsende Rivalität im Bereich kolonialer Unternehmungen genährt. Königin Elisabeth I. verstand es meisterhaft, ihren Gegner über die wahren Absichten Englands zu täuschen, während sie im Geheimen die Unternehmungen der bedeutenden Seefahrer der Nation, allen voran Francis Drake und Walter Raleigh, großzügig unterstützte. Raleigh brachte ihr mit dem ihr zu Ehren benannten Land Virginia den ersten englischen Besitz in Nordamerika ein. Als 1587 Maria hingerichtet wurde und Elisabeth den Aufstand der Niederländer nach besten Kräften unterstützte, lief die spanische Armada gegen England aus. Sie wurde 1588 von den kleinen, aber seetüchtigeren und artilleristisch überlegenen Schiffen der Engländer im Kanal zerstreut und an einer Invasion der Insel gehindert. Ein Sturm vernichtete schließlich die Flotte auf der Rückfahrt bis auf kümmerliche Reste. Dieses Ereignis war weltpolitisch folgenreich. Es festigte das englische Staatswesen im Inneren und leitete den Aufstieg Englands zur führenden See- und Kolonialmacht Europas ein. Dieser wurde nur durch die Loslösung der USA am Ende des absolutistischen Zeitalters unterbrochen und führte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs steil nach oben. Es entstand ein Imperium, das mit dem römischen Weltreich an Kraft und geschichtlicher Auswirkung vergleichbar ist.

    Die Thronfolge des schottischen Stuarts Jakobs I. (1603-1625) vereinte zwar die Insel, brach aber mit der elisabethanischen Entwicklung durch den Versuch, ein absolutistisches Regime im Land zu errichten. 1628 hatte Jakobs Sohn Karl I. in der "Petition of right" das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments anerkennen und die Sicherheit gegen willkürliche Verhaftungen bestätigen müssen. Als er 1642 versuchte, fünf führende oppositionelle Abgeordnete verhaften zu lassen, kam es in London zum Aufruhr. Der König stützte sich nach seiner Flucht auf Adel, Katholiken und Bischofsstädte, das Parlament auf Puritaner, Independenten (eine puritanische Religionspartei, die jede Kirchenherrschaft ablehnte und die volle Unabhängigkeit der Einzelgemeinde anstrebte) und Schotten. Das von Oliver Cromwell (1599-1658) geführte Reiterheer des Parlaments (Ironsides) siegte bei Marston Moor und Naseby und erzwang die Auslieferung des Königs.

    Karl I. wurde 1649 hingerichtet, die Independenten unter Cromwell rissen die Gewalt in England an sich und riefen die Republik aus. Ihr religiöses Programm lehnte die anglikanische Kirche ebenso ab wie die puritanische Presbyterialkirche in Schottland; es verurteilte jeglichen Glaubenszwang und erklärte sich für ein allgemeines Priestertum der Gläubigen. Aber bald vergaßen die Independenten ihre Toleranzforderungen und erhoben ihre Lehre zur allein gültigen Doktrin. Die katholisch gebliebenen Iren wurden brutal unterworfen, ein Aufstand der Schotten niedergeschlagen, ein royalistischer Invasionsversuch unterbunden. Zugleich wurde im ersten englisch-holländischen Seekrieg die Vormachtstellung der Niederländer gebrochen.

    1653 stürzte Cromwell in einem Staatsstreich das Parlament und ließ sich zum "Lord Protektor von England, Schottland und Irland" ernennen. Als solcher regierte er diktatorisch, zwar unter weitgehender religiöser Toleranz, aber mit wachsendem Druck auf die politische Opposition.

    Cromwell hat England an die Spitze der protestantischen Mächte Europas geführt, aber sein eigentliches Ziel, nämlich die Wiederherstellung eines verfassungsmäßigen Staats, verfehlt. Dennoch wirkte seine Regierung tief und bleibend auf den englischen Volkscharakter ein, dem er die calvinistischen Tugenden der Selbstprüfung, der Selbstbeherrschung, der Arbeitsfreude und des Gemeinsinns einprägte.

    Nach dem Tod Cromwells (1658) brachte ein Parlamentsbeschluss 1660 die Restauration der Stuart-Monarchie. Die Sympathie Karls II. für den Katholizismus bewirkte im Parlament eine restriktive Religionsgesetzgebung zu Gunsten der anglikanischen Kirche. Dadurch wurde eine Auswanderungswelle der puritanischen "Dissenters" in die Kolonien ausgelöst. Mit der Testakte von 1673, in der allen Offizieren und Staatsbeamten zur Pflicht gemacht wurde, der katholischen Abendmahlslehre abzuschwören, und mit der "Habeas-Corpus-Akte" von 1679, die persönliche Freiheit und Rechtssicherheit gegenüber königlicher Willkür garantieren sollte, versuchte das Parlament, allen absolutistischen Tendenzen entgegenzuwirken.

    Als Jakob II. (1685-1688), selbst katholisch, den Versuch unternahm, mit der Indulgenz-Akte Katholiken und Dissenters den Zugang zu öffentlichen Ämtern zu öffnen und sich selbst damit die Möglichkeit der Restauration zu verschaffen, erhob sich das Parlament in der "Glorious Revolution" von 1688/89 gegen den Stuart, stürzte ihn und berief seine protestantische Schwester Maria und deren Gemahl, Wilhelm III. von Oranien, auf den englischen Thron. Das neue Regime war in seiner Macht durch die Parlamentsrechte, die in der "Declaration of Rights" von 1689 zusammengefasst wurden, von vornherein eingeschränkt. Damit begann ein neuer Abschnitt der inneren und äußeren Geschichte Englands und zugleich der Weltpolitik.

    Die innere Entwicklung sollte von einem ständisch-parlamentarisch kontrollierten, von den Mitbestimmungsrechten des Adels und des Großbürgertums beschränkten Königsregime zum modernen demokratischen Staatswesen führen; außenpolitisch führte der Weg durch die konsequente Anwendung des oranischen Prinzips der Balance of Power-Politik des europäischen und damit globalen Gleichgewichts zur Sicherung des britischen Imperiums. Hatte das Eindringen des Protestantismus in Frankreich und England innere Wirren ausgelöst, so wurde die schwedische Krone durch den Übertritt zum neuen Glauben erheblich gefestigt und gewann damit die Kraft zu beachtlicher außenpolitischer Aktivität. Unter Gustav I. Wasa (1523-1560) wurde Schweden reformiert. Als 1561 der Ordensstaat in Kurland, Livland und Estland aufgelöst wurde, begann der Wettbewerb der Polen, Russen und Schweden um diese Gebiete. Er machte die Schweden zunächst zu Herren in Estland, unter Gustav II. Adolf (1611-1632) im Krieg gegen Russland auch in Karelien und Ingermanland und schließlich nach dem Sieg über Polen auch in Livland (1629), in Memel, Pillau, Elbing und in Teilen des Danziger Werders. So entstand das schwedische Dominium maris Baltici, die schwedische Ostseeherrschaft. Der innere Zerfall Polens, das 1572 Wahlreich wurde, schien diesen Zustand zu garantieren. Aber der Aufstieg Russlands unter Iwan IV., dem Schrecklichen (1533-1584) und danach unter dem Hause Romanow (seit 1613), ließ Gefahren am osteuropäischen Horizont aufziehen, die sich zunächst in der Ostsee, bald aber auch im gesamten europäischen Raum und damit im Rahmen der Weltpolitik auswirkten.

    Die politische Situation Deutschlands war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wenig erfreulich. Das gilt für alle Bereiche des Lebens. Frankreich, England und die Niederlande führten in der Wissenschaft ? trotz Behaim, Kepler und Kopernikus. Der spanische Roman, die französische Lyrik und das englische Drama dominierten. Engländer und Niederländer bemächtigten sich der Handelsgebiete, die vordem der Hanse offengestanden hatten. Wie die Hanse, so zerfiel auch der Reichtum der oberdeutschen Städte. Die neuen Seewege berührten Deutschland nicht und im Südosten regierten die Türken. An die Stelle der bürgerlichen Kultur trat in Deutschland die Residenzkultur, deren bevorzugte Künstler nicht die einheimischen Meister, sondern Italiener oder Niederländer waren.