Geschichte: Der Aufstieg Russlands

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    Der Aufstieg Russlands in den Kreis der europäischen Großmächte vollzog sich im Rahmen seiner planmäßigen Ausbreitung nach Süden, Norden und Westen in Kämpfen gegen die Türkei, Schweden und Polen.

    Schon unter Iwan IV., dem Schrecklichen (1533-1584), war der russische Absolutismus begründet worden. Sein Regierungssystem war zentralistisch und unbeschränkt absolutistisch. Der Herrscher war einziger Rechtsschöpfer des Staats, aller Boden war praktisch sein Eigentum, über das er nach Belieben verfügen konnte. So wurden die großen Latifundien des Bojaren-Adels zu Gunsten der Krone enteignet; die Bauern aber sahen im Zaren einen gottähnlichen Herrscher, dem man Verehrung und unbedingten Gehorsam schuldete.

    Wer sich dem Druck nicht beugen wollte, floh nach Sibirien, wodurch der russische Siedlungsraum seit dem 16. Jahrhundert nach Osten wesentlich erweitert wurde. Auch der Kosakenstaat, eine Gründung russischer Wehrbauern an Dnjepr und Don, entstand aus dieser Abwanderungsbewegung. Er verlor aber unter Katharina II. seine Selbstständigkeit. Die Hauptstoßrichtung der russischen Ausdehnung ging jedoch nach Süden, gegen die Türken, und nach Westen, gegen Polen. Konflikte mit den anderen europäischen Mächten waren damit vorprogrammiert. 1667 wurde die Ukraine westlich des Dnjepr gewonnen, 1677 eroberte Russland im ersten Aufeinandertreffen mit dem Osmanischen Reich die Gebiete am Unterlauf des Dnjepr. Damit waren die Grundlagen für die russische Politik unter Peter dem Großen (1689-1725) geschaffen.

    Peter bahnte sich den Weg zum Thron durch Beteiligung am Sturz seiner Schwester Sophia. Diese hatte außer ihm auch seinen geistesschwachen Bruder Iwan krönen lassen und hielt unter dessen Namen die tatsächliche Macht in Händen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1696 blieb Iwan formell Mitkaiser. Peter, der jahrelang dem Hof ferngehalten worden war, hatte im Umgang mit den einfachen Menschen seines Volkes eine Erziehung genossen, die Gesundheit, Kraft und Selbstvertrauen, aber auch Gottesfurcht vermittelte. Sein starkes Bildungsstreben führte ihn in Moskau zur feinen Kultur der deutschen Bürgerkolonie, ihrer aufgeklärten, weltbürgerlichen und religiös toleranten, der Zeit weit vorauseilenden Haltung. Hier reifte in Peter auch der Entschluss, sein Land durch Reformen in den Bereich der westlichen, europäischen Kultur und Politik hineinzuführen. So sandte er bald nach seinem Regierungsantritt junge Adelige an europäische Höfe. Er selbst unternahm 1697 eine erste Europareise, um einen Einblick in die politische und wirtschaftliche Praxis und Methode Europas zu gewinnen. Seine zweite größere Reise 1717 hatte auch außenpolitische Ziele: Der Zar bemühte sich um ein russisch-französisches Bündnis.

    Als er 1698 von der Reise zurückkehrte, lässt er einen bereits niedergeschlagenen Aufstand der Strelitzenregimenter durch grausame Verhöre und Massenhinrichtungen rächen. Zur Festigung des Staats baute Peter die Armee nach europäischem Muster auf und erhöhte ihren Mannschaftsstand allmählich auf etwa 200 000 Soldaten. Sein besonderes Interesse galt jedoch der Flotte, die er im Lauf der Zeit auf 32 Linienschiffe, 16 Fregatten und 800 Galeeren brachte, so dass sie die bedeutendste Streitmacht in der Ostsee darstellte. In der Verwaltung richtete sich Peter ebenfalls nach westlichen Vorbildern. Er schuf ein Regierungskollegium von Fachministern und teilte das Reich in acht Gouvernementbezirke ein.

    Es zeigte sich jedoch immer wieder, dass auf Grund von Korruption keine geordnete Verwaltung errichtet werden konnte. Auch die Heranführung des Adels an zivile, militärische und wirtschaftliche Aufgaben mit Hilfe von Dienstpflicht- und Rangtabellengesetzen gelang nicht in dem Maß, wie der Zar es wünschte. Eine große Rolle wurde dabei dem Adel deutscher Abstammung zugemessen, den Peter wegen seiner Zuverlässigkeit besonders schätzte. Im Merkantilsystem gab der Zar auch dem Stadtbürgertum neue Aufgaben, deren Bewältigung er durch eine Zunft- und Magistratsverfassung fördern wollte. Manufakturen wurden errichtet, deren Arbeit im wesentlichen der Heeres- und Flottenversorgung diente. Textilmanufakturen herrschten vor, Flachs- und Hanfanbau nahmen zu, die Forstwirtschaft wurde systematisch ausgebaut, Baupläne für Verkehrs- und Wasserstraßen wurden entworfen und zum Teil verwirklicht.

    In den Rahmen dieser Bemühungen gehört auch die Gründung der neuen Hauptstadt Petersburg, die ein "Fenster nach dem Westen" werden sollte. Dem Bildungswesen widmete der Zar besondere Aufmerksamkeit. Es entstanden Fachschulen für Ingenieurwesen, Schifffahrt, Medizin und Mathematik und 1724 auch die Akademie der Wissenschaften, die nach Plänen des deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz gestaltet wurde. Um Mode und Tracht und ihre Reform im westlichen Sinn war der Zar gleichfalls bemüht. Die Vollendung seines absolutistischen Staatssystems suchte Peter in der Führung des Heiligen Synod, womit er an der Spitze der höchsten Geistlichkeit zum Herrn der Kirche wurde. In dieser Form des Cäsaropapismus vereinte Peter die höchste kirchliche und staatliche Führungsgewalt in seiner Hand.

    Peters Reformwille und Wirken erfasste jedoch nur eine dünne Oberschicht. Die meisten Adligen und das Volk sahen in seinen Maßnahmen einen Verrat an der russischen Tradition und bezichtigten den Zaren des Antichristentums und der Liebedienerei gegenüber den Deutschen. Man beugte sich seiner brutalen Entschlossenheit, mit der er jeden Widerstand unterdrückte. Dennoch genügte die Straffung im Innern, um das außenpolitische Ziel, die Ostseeherrschaft, zu verwirklichen.

    Die Entscheidung fiel im Nordischen Krieg (1700-1721). Als Dänemark seine Herrschaft auf Schleswig-Holstein auszudehnen suchte, griff Karl XII. von Schweden zu Gunsten des Holsteiner Herzogs ein. August der Starke von Sachsen verbündete sich mit den Dänen, um den Schweden Livland zu entreißen. In diesem Augenblick griff Peter im Baltikum ein, erlitt jedoch 1700 bei Narwa eine Niederlage. Das Kriegsglück wendete sich 1709 bei Poltawa. Karl XII., der im Aufstand der Dnjepr-Kosaken eine Möglichkeit zum Sturz der neuen russischen Militärmacht gesehen hatte, verlor in dieser Schlacht den größten Teil seiner Streitkräfte und entkam nur mit Mühe an der Spitze einer kleinen Truppe in die verbündete Türkei. Der Zar eroberte große Gebiete an der Ostsee und damit die Vorrangstellung in diesem Raum. Auf Peters Wirken aber fällt zum Ende der tiefe Schatten der Ermordung seines Sohns und Nachfolgers Alexei, der sich der altrussischen Reaktion gegen den westlichen Kurs des Vaters angeschlossen hatte und für kurze Zeit nach Italien geflohen war. Die Unbeugsamkeit und grausame Willenshärte des Zaren leuchten in dieser Tragödie noch einmal auf. Die Zeit der Wirren nach seinem Tod hat dennoch der Ausbreitung seiner politischen Ideen genützt; seine Minister Menschikow und Ostermann hatten daran bedeutenden Anteil.

    So wandte Russland in der Epoche Peters des Großen und seiner Nachfolger seine Stoßrichtung zu Ägäis und Balkan. Die damit aufgeworfenen Fragen bestimmten als Erbe des absolutistischen Zeitalters die europäische und die Weltpolitik im 19. Jahrhundert, die orientalische Frage auch noch im 20. Jahrhundert.

    Dem Aufstieg Russlands aber fiel schließlich die staatliche Selbstständigkeit des innerlich schwachen und zerrissenen Polens zum Opfer. Polen blieb die absolutistische Ausgestaltung seines Staatswesens und die damit verbundene innere Festigung vorenthalten. Mit dem Liberum veto von 1652 setzte sich hier die unbeschränkte Adelsherrschaft durch. Unter den Wahlkönigen aus dem Hause Wasa bildete sich Polen in eine Adelsrepublik um, in der das Mitregierungsrecht des Adels die Zentralgewalt lahm legte. Auch die wettinischen Wahlkönige konnten diesen Zustand nicht ändern. Schließlich wurde Polen durch die Wahl Stanislaus' I. Leszczynski in die Machtkämpfe der europäischen Großmächte verwickelt, da Stanislaus, Repräsentant der schwedisch-französischen Machtgruppe, als Gegenspieler des österreichisch-russischen Kandidaten Friedrich August von Sachsen auftrat. Auf diese Weise wurde das Land in den Nordischen Krieg hineingezogen und musste in den Wirren des Polnischen Erbfolgekriegs (1733-1735) erneut schwer leiden. Auch der Sieg des österreichischen Kandidaten Friedrich August, der im Frieden von Wien 1738 als August III. zum Herrscher erhoben wurde, konnte keinen echten Wiederaufstieg des Lands herbeiführen.

    Die politische und militärische Ohnmacht Polens zeigte sich deutlich im Siebenjährigen Krieg (1756-1763), wo es trotz offizieller Neutralität zum Operationsgebiet russischer Truppen gegen Preußen wurde. So kam es am Ende der Epoche nach einem kurzen Zwischenspiel der Regierung eines russischen Thronprätendenten, Stanislaus II. Poniatowski, zum Verlust der staatlichen Selbstständigkeit und der Aufteilung des Lands unter Österreich, Preußen und Russland, die mit der ersten polnischen Teilung von 1772 begonnen wurde. Der Reichstag beugte sich, teils bestochen, teils vom militärischen Übergewicht der Teilungsmächte eingeschüchtert. Im Volk aber riefen die Vorgänge tiefen Nationalhass gegen Preußen und Russen hervor.