Geschichte: Der Aufstieg Hitlers

    Aus WISSEN-digital.de


    Wirtschaftskrise, Inflation, Arbeitslosigkeit ? politische Hasadeuere hatten nun leichtes Spiel.


    Einer von ihnen gab 1922 in München sein Debüt: Adolf Hitler, österreichischer Zöllnersohn und bayerischer Frontsoldat, hatte mit erheblichem demagogischem Geschick in seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ein Sammelbecken für proletarisierte Kleinbürger, völkische Romantiker und nationalistische Aktionisten geschaffen. Verbündet mit bayerischen Separatisten, unterstützt von dem populären Weltkriegsgeneral Ludendorff, wollte er nun nach dem Vorbild von Mussolinis "Marsch auf Rom" (28.10.1922) einen "Marsch auf Berlin" zum Sturz der "Regierung der Novemberverbrecher" inszenieren. Sein Putsch brach am 9. November 1923 unter den Kugeln der bayerischen Landespolizei an der Feldherrnhalle in München zusammen.


    In den Wirren des Herbstes 1923 war der Führer der nationalliberalen Deutschen Volkspartei, Gustav Stresemann, Reichskanzler geworden. Er regierte nur drei Monate, legte aber die Grundsteine zur Gesundung der Republik, indem er die Obstruktionspolitik gegen die französischen Ruhr-Besatzer aufgab und die Inflation mit Hilfe der Rentenmark beendete. Stresemann blieb unter allen Regierungen danach bis zu seinem Tod 1929 Reichsaußenminister. In diesen sechs Jahren schuf er gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Aristide Briand im Vertrag von Locarno (16.10.1925) das westliche Gegenstück zu Rathenaus Rapallo, erreichte die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund (1926), die Räumung des Rheinlandes (1930 abgeschlossen), die Neuregelung der Reparationen und die Ankurbelung der deutschen Wirtschaft durch amerikanische Kredite. In dieser Ära der Stabilität konnte auch der Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1925) die Republik nicht erschüttern. Ihm folgte der populäre Feldmarschall Paul von Hindenburg.

    Die Wende kam 1929: Unnachgiebig hatten die Amerikaner nach dem Krieg von ihren Partnern die Schulden eingetrieben.


    Die Betroffenen hielten sich am ohnehin überlasteten Deutschland schadlos. Die europäischen Volkswirtschaften wurden damit gelähmt und fielen als Markt für die auf Hochtouren produzierende US-Industrie weitgehend aus. Nach einer Phase rasender Spekulationen brach am "Schwarzen Freitag", dem 25. Oktober 1929, an der New Yorker Börse die Panik aus. Die Kurse rutschten ins Bodenlose. Banken forderten ihre Kredite zurück; Pleiten, Bankkräche waren die Folge.

    Mit voller Wucht traf die amerikanische Krise vor allem das exportorientierte Deutsche Reich. Hatten schmaler Wohlstand und außenpolitische Erfolge den Republikfeinden Mitte der zwanziger Jahre die Agitation erschwert, so gediehen nun im Klima von Arbeitslosigkeit und Armut radikale Bewegungen aller Art, vor allem eine, die diesmal zum legalen Sturz der Republik ausholte: der Nationalsozialismus.

    Er war die deutsche Variante eines weltweiten Trends zu autoritären Herrschaftsformen. Der Schock der russischen Revolution war eine seiner vielfältigen Wurzeln. Lenins Bolschewisten hatten 1917 das zaristische System in kürzester Frist zerschlagen und im Namen des Proletariats eine Diktatur der Kommunistischen Partei errichtet.


    In beispielloser Kraftanstrengung gelang der "Roten Armee" unter Lenins Mitkämpfer Leo Trotzki die Abwehr der 1918 einsetzenden militärischen Interventionen der Westmächte, Polens und Japans.

    Auch der innere Widerstand wurde rasch gebrochen. Doch damit war Russlands vom Kriege ohnehin strapazierte Wirtschaftskraft nahezu erschöpft. Mit dem Programm der "Neuen Ökonomischen Politik" suchte Lenin den Ausweg und erreichte auch mit Hilfe westlichen Privatkapitals die allmähliche Gesundung. Durch Annäherung an das ähnlich isolierte Deutschland in Rapallo, einen Freundschaftspakt mit der Türkei (1921) und ein Netz von Handelsverträgen führte er die Sowjetunion aus der Isolierung.

    Das kommunistische System jedoch, über das durch Emigranten und Augenzeugen nur ungeheure Gräuelnachrichten nach außen drangen, wurde zum Schreckgespenst der übrigen Welt, zumal nach Lenins Tod 1924. Im Kampf um seine Nachfolge schaltete Josef Stalin, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, alle Rivalen, auch Trotzki (1929 ausgewiesen, 1940 ermordet), aus und etablierte mit blutigem Terror eine persönliche Diktatur. Unter Millionen von Opfern setzte er die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft durch und verordnete Russland ein ehrgeiziges Industrialisierungsprogramm.


    Die bürgerliche Antwort auf den weltrevolutionären Anspruch des Kommunismus war der Faschismus, eine nicht minder totalitäre Ideologie. Sie erzielte in Italien die ersten greifbaren Erfolge, wo sie auch ihren Namen erhielt: Der ehemalige Sozialist Benito Mussolini, durch den Krieg zum radikalen Nationalisten gewandelt, gründete 1919 mit den "Fasci di Combattimento" paramilitärische Bünde zur Durchsetzung seines extrem nationalistischen und antimarxistischen Programms. Bewusst griff er mit dem Namen auf das Symbol der altrömischen Staatsgewalt, die "fasces" (Rutenbündel), zurück. Er predigte den starken Staat, brandmarkte die Friedensverträge, die die Siegermacht Italien nicht angemessen berücksichtigt hätten, und versprach Hilfe gegen Streikbewegungen und Enteignungsforderungen der Linken.

    Mussolinis Stunde kam 1921, als er mit seinen "Schwarzhemden" einen kommunistischen Generalstreik unterlief und sich nachdrücklich als Ordnungsfaktor empfahl. Die Macht fiel ihm endgültig zu, als er mit einem "Marsch auf Rom" im Oktober 1922 die schwache liberale Regierung zur Abdankung zwang. Der König ernannte ihn zum Ministerpräsidenten einer Koalitionsregierung, in der die Faschisten nur drei Minister hatten.

    Das blieb allerdings nicht lange so: Einschränkungen der Pressefreiheit und des Wahlrechts und schließlich Verbot aller anderen Parteien brachten den Faschisten 1925 und, nach Ausschaltung der innerparteilichen Rivalen, Mussolini 1929 die ganze Macht. Er schuf einen straff ständisch und hierarchisch gegliederten Zentralstaat, rüstete auf und meldete unüberhörbar Italiens imperiale Ansprüche an.

    Mussolinis faschistisches Rezept schien konzeptionell sozusagen in der Luft zu liegen: Schon vor ihm setzte sich in Ungarn 1920 das autoritäre Regime des Admirals Nikolaus Horthy gegen das sozialistische Nachkriegsexperiment des Bela Kun durch. Unter dem Schein einer monarchischen Restauration ließ sich Horthy zum "Reichsverweser" ernennen und regierte quasi diktatorisch.


    Die Türkei war von den Siegermächten besonders hart behandelt worden. Daher bildete sich nach der Unterschrift unter den Vertrag von Sèvres eine Opposition unter Mustafa Kemal gegen das Sultan-Regime. Kemal, später mit dem Beinamen Atatürk (Vater der Türken) geehrt, stellte sich an die Spitze einer Gegenregierung und organisierte den Kampf gegen die griechischen Invasoren, die den Beschlüssen von Sèvres Nachdruck verleihen wollten. Nach Kemals Siegen 1921/22 floh der Sultan, räumten die Griechen Kleinasien, wurde Sèvres revidiert. Atatürk rief die Republik aus (29.10.1923), die allerdings auf einem Einparteiensystem beruhte und für den Präsidenten Atatürk diktatorische Vollmachten vorsah. Er nutzte sie zu grundlegender Modernisierung des Landes.

    Auch Spanien akzeptierte die Diktatur: General Jose Antonio Primo de Rivera regierte seit 1923 ohne Parlament, gestützt auf Kirche und Militär. Der republikanische Neuanfang nach seinem Tod 1930 mündete in den Bürgerkrieg und schließlich in Francos faschistische Herrschaft. In Portugal verzichtete man auf das demokratische Zwischenspiel. Hier löste Antonio Salazar 1932 als Diktator den seit 1926 als Alleinherrscher regierenden General Antonio Carmora ab.


    In Polen putschte 1926 Marschall Josef Pilsudski gegen das parlamentarische System, löste die Volksvertretung auf und erließ eine neue Verfassung. "Gelenkte Demokratie" nannte er seine Alleinregierung, die er außenpolitisch durch Nichtangriffsverträge mit den mächtigen Nachbarn Sowjetunion (1932) und Deutschland (1934) abzusichern suchte.

    Nur in den westlichen Demokratien konnten sich faschistische Tendenzen nicht durchsetzen, auch wenn in den USA das lange Regiment Präsident Franklin D. Roosevelts (1933-1945) Konzessionen an den autoritären Zeitgeist signalisierte. England und Frankreich litten zwar wie die Verliererstaaten unter den Kriegsfolgen, doch fing das Bewusstsein des Sieges allerhand Unzufriedenheit auf. Zudem absorbierten die Sorgen um die unruhigen Kolonialgebiete Kraft und Interesse. So überstanden hier bei aller Instabilität - Frankreich verschliss von 1919 bis 1929 allein 18 Regierungen - die demokratischen Verfassungen den Ansturm von rechts und links.

    Ihr Mündel aber, die deutsche Demokratie, entglitt ihnen. Zu lange hatten sie der Republik Erfolge versagt, zu kurzsichtig auf der wirtschaftlichen Ausplünderung des Reiches beharrt, als dass Vertrauen zur demokratischen Staatsreform im autoritätsgewohnten Deutschland hätte reifen können. Insofern ist es beinahe erstaunlich, wie lange sich das Weimarer System im Strudel der Weltwirtschaftskrise über Wasser hielt.

    Auf eben diese Krise hatte der Putschist von 1923, Adolf Hitler, gewartet. 1924 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, konnte er dank einer sympathisierenden Justiz nach acht Monaten die Gefängniszelle in Landsberg am Lech wieder verlassen. Er hatte die erzwungene Freizeit zur Niederschrift seiner politischen Bekenntnisse genutzt. Wer wissen wollte, was Hitler mit der angestrebten Macht vorhatte, konnte das bis in die Einzelheiten nun nachlesen in "Mein Kampf" (erschienen 1925/26). Doch nur wenige lasen das schwer verdauliche Pamphlet, und die es taten, nahmen es nicht ernst.

    Hitler reorganisierte in den Jahren der Scheinblüte der Republik seine NSDAP, verstärkte die Parteitruppe, die Sturmabteilungen (SA), stellte ihnen die Eliteverbände der Schutzstaffeln (SS) zur Seite und verschrieb sich ganz dem legalen Weg zur Macht.


    Er war wohl vorbereitet, als es galt, der Bevölkerung Sündenböcke für und Rezepte gegen die katastrophenartig hereinbrechende Wirtschaftskrise zu liefern: "Novemberverbrecher" und "Erfüllungspolitiker", Marxisten und Juden prangerte er als Urheber von Deutschlands Elend an, Führerprinzip und nationalen Neubeginn, Volksgemeinschaft und "Sozialismus der Tat" pries er als Lösungen.

    Damit gewann er der NSDAP, nach 12 Reichstagssitzen 1928, bereits 107 im September 1930 und 230 im Juli 1932, machte sie zur stärksten Partei, an der vorbei zu regieren immer schwerer wurde. Man versuchte es immerhin: 1930 platzte die letzte mehrheitsfähige Koalitionsregierung, weil große Teile der SPD sich weigerten, die Krise auf dem Rücken der Arbeiter zu bewältigen. Unter Duldung der SPD bildete nun der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning ein so genanntes Präsidialkabinett, d.h. fehlende parlamentarische Mehrheiten wurden durch Verordnungen des Reichspräsidenten nach § 48 der Weimarer Verfassung ersetzt.

    Brüning erhielt damit Rückendeckung für recht unpopuläre Maßnahmen, zu denen sonst der Mut gefehlt hatte. Sein Regime erwies sich stärker als erwartet. Hitler kandidierte daher im Frühjahr 1932 für das Amt des Reichspräsidenten. Gegen den amtierenden Hindenburg, der nun auch von den erschrockenen Sozialdemokraten unterstützt wurde, erreichte er aber nur einen Achtungserfolg.

    Er verschärfte nun die Gangart: Schlägertrupps aus SA und SS beherrschten die Straßen, terrorisierten politische Gegner und randalierten die immer beschworene Rechtsunsicherheit herbei. Durch Brünings harten Wirtschaftskurs spitzte sich gleichzeitig die Lage auf dem Arbeitsmarkt dramatisch zu: 6 Millionen Erwerbslose waren 1932 registriert. Brüning verlor seinen Kredit beim Reichspräsidenten und trat am 30. Mai 1932 zurück.


    Neuer Reichskanzler wurde Franz von Papen, Vertrauter Hindenburgs und politischer Jongleur. Er sah sich im Juli 1932 einer verdoppelten NSDAP-Fraktion im Reichstag gegenüber. Sein Versuch, Hitler mit der Vizekanzlerschaft zu ködern, scheiterte am totalen Machtanspruch des "Führers". Ebenso scheiterte der im Dezember zum Nachfolger berufene General Kurt von Schleicher mit dem Versuch, die NSDAP zu spalten und mit SPD und Gewerkschaften eine "Achse" zu bilden.

    Schleicher musste Ende Januar 1933 kapitulieren. Jetzt führte kein Weg mehr vorbei am "böhmischen Gefreiten", wie Hindenburg den Österreicher Hitler nannte. Am 30. Januar 1933 wurde der Führer der stärksten Partei Reichskanzler eines Koalitionskabinetts, in dem nur drei Nationalsozialisten saßen. Als eigentlicher Chef fühlte sich Vizekanzler Papen, der bei Hindenburg die Vorbehalte gegen Hitler abgebaut hatte. Er und seine konservativen Kabinettskollegen versprachen, den braunen Demagogen "einzurahmen" und zu "zähmen".

    Mit Hitler kam eine völlig neue Größe ins politische Kräftespiel, die zu berechnen lange niemandem zuverlässig gelang. Dabei hätte man ihn nur beim Wort zu nehmen brauchen. Sein "Fahrplan", an den er sich unbeschadet aller Finten und Winkelzüge bis zuletzt strikt hielt, war seit fast einem Jahrzehnt unter dem Titel "Mein Kampf" auf dem Markt.

    Raum und Rasse waren die beiden Säulen der Hitlerschen Ideologie, die er ? auch engste Mitarbeiter ? irreführend "Nationalsozialismus" nannte. Der Herrschaftsanspruch, den er im Namen der "germanischnordischen Rasse" anmeldete, ging über Nationales weit hinaus. Und sein "Sozialismus" erschöpfte sich in der Ausrichtung aller Kräfte auf das vom "Führer" ausgemachte Ziel: Eroberung von "Lebensraum" im Osten und "Endkampf" des allein "kulturschöpferischen Ariers" gegen den "ewig kulturzerstörerischen Juden".

    Die Ideologie war in der Tat so abstrus, dass niemand ihre buchstäbliche Anwendung auch nur für denkbar hielt. Die ersten, die sich dabei verrechneten, waren die selbsternannten konservativen Dompteure in Hitlers Kabinett.

    Für den 5. März 1933 schrieb der neue Kanzler Wahlen aus. Im Besitz der staatlichen Macht entfesselte er einen Wahlkampf, der alles Bekannte in den Schatten stellte. Als am 27. Februar ein Brandanschlag auf den Reichstag verübt wurde, erhielt Hitler vom Reichspräsidenten weitreichende Vollmachten, die er zur Drangsalierung seiner Gegner und zur Behinderung ihres Wahlkampfes nutzte. 43,7 Prozent oder 288 Sitze für die Hitler-Bewegung waren der Lohn. Zusammen mit den Deutschnationalen hatte sie die absolute Mehrheit, zumal die kommunistischen Mandate gleich kassiert wurden und auch die Sozialdemokraten nur noch durch Verhaftungen dezimiert ins Parlament einziehen konnten.