Politisches Gleichgewicht

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    Als politisches Gleichgewicht bezeichnet man die Ausgewogenheit im Kräftespiel der Staaten im Gegensatz zur Hegemonie einer Macht. Als außenpolitische Maxime wurde der Gleichgewichtsgedanke bereits in der Antike angewendet (z.B. in der Politik der griechischen Stadtstaaten). In der Neuzeit wurde er vor allem mit dem Aufkommen einer Vielzahl souveräner, machtpolitisch rivalisierender Staaten bewusst und methodisch verwirklicht, in klassischer Form angewandt von den aufeinander eifersüchtigen italienischen Kleinstaaten der Renaissance. Seither beherrschte der Gleichgewichtsgedanke innerhalb des europäischen Staatensystems Diplomatie, Bündnispolitik und Kriegführung.

    Geistesgeschichtlich steht der Gleichgewichtsgedanke in Übereinstimmung mit der Ausbildung des neuen Stils eines von religiösen Bindungen befreiten politischen Denkens (Staatsräson, Souveränität, Macht als Selbstzweck). Das Scheitern Karls V., Philipps II., Ludwigs XIV. und Napoleons, das sich ständig wandelnde System der Ligen, Koalitionen und Allianzen, die scheinbar uneigennützige Hilfeleistung für von einem Dritten bedrohte Staaten, waren ebenso ein Ergebnis der Gleichgewichtsidee wie die oft komplizierten territorialen Bestimmungen der Friedensschlüsse (von Münster und Osnabrück 1648, Utrecht 1715 und des Wiener Kongresses 1815).

    England war nach seiner Art jederzeit am europäischen Gleichgewicht (englisch: Balance of Power) interessiert und unterstützte aus seiner "splendid isolation" heraus seinen jeweiligen "Festlandsdegen" gegen die jeweils stärkste Macht des Festlands. Vor dem Ersten Weltkrieg neigte es zum französisch-russischen Bund aus Besorgnis vor einem deutsch-österreichisch-italienischen Übergewicht.

    Seit Ende des Zweiten Weltkriegs trat die Idee eines europäischen Gleichgewichts zurück gegenüber dem Dualismus USA-Sowjetunion und der Idee des Gleichgewichts der Machtblöcke. Nach dem Zerfall des Ostblocks kann von einem solchen politischen Gleichgewicht nicht mehr gesprochen werden. Es treten mehr und mehr wirtschaftliche und soziale Ungleichgewichte in den Vordergrund.