Polen Geschichte

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    Frühzeit bis Spätantike

    Vor Beginn der christlichen Zeitrechnung war das Gebiet des heutigen Polen von germanischen Stämmen besiedelt. Etwa ab dem 4. Jahrhundert n.Chr. zogen diese zum Großteil im Rahmen der Völkerwanderung in Richtung Westen, später siedelten sich auf dem Gebiet slawische Stämme an, die aus Osteuropa einwanderten (Polanen, Masowier, Wislanen, Slenzanen, Opolanen, Golensizen).


    Mittelalter

    966 trat Fürst Mieszko I., ein Polane aus dem Geschlecht der Piasten, zum Christentum über und einte viele Stämme (dieses Datum gilt heute als Gründungsjahr des Staates Polen). In den nächsten Jahrzehnten brachte er die umliegenden Regionen (Mieszko herrschte über das Gebiet des heutigen Posen bzw. Poznan) einschließlich des heutigen Pommern und Schlesien unter seine Kontrolle. Die Stadt Posen wurde 986 erster Bischofssitz des Landes. Der Nachfahre Mieszkos, Boreslaw I. Chobry (genannt der Tapfere), dehnte das Territorium weiter aus in Richtung Osten bis nach Kiew und ließ sich 1025 vom Papst zum ersten König von Polen krönen.

    Die Einheit des Reiches war durch ständige Überfälle von außen und Thronstreitigkeiten im Inneren gefährdet, so dass viele rivalisierende Teilfürstentümer entstanden. 1226 rief Konrad I., Herzog von Masowien, den "Teutonischen Orden" (Deutschritterorden) zu Hilfe im Kampf gegen die heidnischen Pruzzen (Preußen), die Polen immer wieder überfielen. Im Gegenzug überließ er dem geistlichen Ritterorden das Kulmer Land (Chelmno) an der Ostsee, wo diese einen eigenen Ordensstaat schufen. Neben den Ordensrittern kamen aus dem Westen zahlreiche Siedler, die sich in großen Teilen Schlesiens und im Oderraum niederließen.

    1241 rettete nur der plötzliche Tod des Mongolenherrschers Ögödäi, dessen Reiterscharen in Richtung Westen vordrangen, Polen vor der Unterwerfung: ein gemeinsames polnisch-deutsches Heer war im Kampf gegen die Mongolenheere bereits gescheitert (Schlacht bei Liegnitz), als die Mongolen abzogen.

    In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam es zu einer Vereinigung von Groß- und Kleinpolen unter Wladislaw I., der sich 1320 zum polnischen König krönen ließ. Sein Nachfolger Kasimir III. der Große, der letzte Herrscher aus der Dynastie der Piasten, führte eine einheitliche Verwaltung, Währung und Rechtswesen ein. Durch wohlüberlegte Bündnis- und Heiratspolitik vergrößerte er den Herrschaftsbereich Polen um große Gebiete. Mit dem Ordensstaat schloss Kasimir III. den Frieden von Kalisch (1343) und verzichtete darin auf die Gebiete Pomerellen und Schlesien. Auf Grund der herrschenden religiösen Toleranz wanderten zu dieser Zeit und auch in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche Juden aus ganz Europa in Polen ein.

    1370 bestieg Ludwig von Anjou den polnischen Thron, ihm folgte durch Heirat der Erbin der polnischen Krone der litauische Großfürst Jagiello als Wladislaw II. (Jagellonen-Dynastie). Litauen wurde durch Personalunion (später in Realunion) mit Polen vereint und christianisiert. Polen stieg zu einer europäischen Großmacht auf, deren Herrschaftsgebiet Weißrussland und die Ukraine umfasste und im Süden bis zum Schwarzen Meer reichte. Gegen den mächtigen Deutschen Ordensstaat errangen polnisch-litauische Truppen 1410 (Schlacht bei Tannenberg) einen entscheidenden Sieg und schwächten dadurch den Orden ganz wesentlich.

    Neuzeit

    Die Dynastie der Jagellonen endete mit dem Tod von Sigismund II. im Jahr 1572. Im folgenden wurden die polnischen Könige vom polnischen Reichstag (Sejm) gewählt, der bereits 1493 von Vertretern des Adels gegründet worden war und ab 1505 das oberste gesetzgebende Organ in Polen darstellte. Viele der gewählten Könige waren keine Polen, wie z.B. Wladislaw IV. Wasa von Schweden (1632-48), August II. der Starke von Sachsen (1697-1706) und August III. von Sachsen (1733-63). Im 17. Jahrhundert musste das Reich viele Gebietsverluste hinnehmen: Ostpreußen an Preußen-Brandenburg (Vertrag von Wehlau 1657), Estland und Livland an Schweden (Frieden von Oliva 1660) und Gebiete östlich des Dnjepr an Russland (Frieden von Andrussowo 1667). Dennoch gelang es deutsch-polnischen Truppen, die Expansion der Türken nach Westeuropa vor den Toren Wiens zu beenden (Schlacht am Kahlenberg 1683).

    Teilung des Reiches

    In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geriet Polen zwischen die Fronten der europäischen Großmächte Preußen, Österreich und Russland und verlor in den drei Polnischen Teilungen (1772-95) große Teile des Staatsgebietes. Die erste Teilung 1772 hatte ein Erstarken der nationalen Kräfte innerhalb des Landes zur Folge und 1791 eine erste geschriebene Verfassung für Polen, die sich an den Idealen der Französischen Revolution und der Amerikanischen Verfassung von 1788 orientierte. Doch konservative Kräfte im eigenen Land riefen wiederum die Großmächte auf den Plan, was zur zweiten Teilung 1793 führte, bei der weitere Gebiete verloren ging. Ein patriotischer Aufstand unter der Führung des polnischen Offiziers Tadeusz Kosciusko scheiterte, der Rest Polens wurde 1795 unter Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt.

    In den Beschlüssen des Wiener Kongress von 1815 wurde Polen erneut in verschiedene Herrschaftsbereiche eingeteilt: Westpreußen und Posen fielen an Preußen, Galizien an Österreich. Der Ostteil des Landes mit dem Herzogtum Warschau wurde in Personalunion mit dem russischen Zarenreich verbunden (so genanntes Kongresspolen). Die Landesteile entwickelten sich sehr unterschiedlich. Kongresspolen wurde eine relativ liberale Verfassung mit eigenem Parlament, Regierung und Verwaltung zugestanden, wobei im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Autonomierechte stark eingeschränkt wurden und eine verstärkte Russifizierung begann. Im preußisch beherrschten Teil wurde die Industrialisierung und der Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben, hier wurde eine antikatholische "Germanisierungspolitik" betrieben. Aufstände, die immer wieder den nationalen Willen der polnischen Bevölkerung für ein unabhängiges Land demonstrierten, wurden in allen Teilen gewaltsam niedergeschlagen.

    Ende des 19. Jahrhunderts formierten sich erste politische Bewegungen: 1887 die bürgerlich orientierte Nationaldemokratische Partei um Roman Dmowski ("Volksliga"), die die Anlehnung eines selbstständigen Polens an Russland suchte. 1892 folgte die antirussische Polnische Sozialistische Partei von Józef Pilsudski, 1893 die "Sozialdemokratische Partei des Königreichs Polen und Litauen" um Rosa Luxemburg und Felix Dzierzynski.

    Unabhängigkeit

    Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde 1916 ein polnisches Königreich errichtet mit nicht genau definierten Grenzen, das in starker Abhängigkeit vom deutschen Kaiserreich und von Österreich-Ungarn blieb. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1918 entstand unter der Führung von Józef Pilsudski die unabhängige Republik Polen (Rzeczpospolita Polska). Die Grenzen des Landes wurden in den Friedensverträgen von Versailles und Saint-Germain festgeschrieben: Der größte Teil Westpreußens, Posen und das bis dahin zu Österreich gehörende Galizien wurden Polen zugesprochen. Danzig wurde unter Kontrolle des Völkerbundes Freie Stadt, Oberschlesien zwischen Deutschland und Polen aufgeteilt.

    Strittig blieb die Ostgrenze Polens zu Russland (Curzon-Line), 1920 kam es zum Krieg mit der Sowjetunion, in dem Polen Gebiete von Weißrussland und der Ukraine besetzte (Frieden von Riga 1921). Durch die Gebietserweiterungen wurde Polen erneut zum Vielvölkerstaat, was sich auf politischer Ebene durch die Gründung vieler neuer Parteien zeigte. Staatschef Pilsudski sicherte sich 1926 durch einen Staatsstreich erneut die Führung des Landes (er war 1922 zurückgetreten) und baute ein autoritäres System auf unter Ausschaltung des Parlaments.

    1932 und 1934 schloss Polen mit der Sowjetunion bzw. dem nationalsozialistischen Deutschland einen Nichtangriffspakt. Über diese Abkommen setzten sich die beiden Großmächte mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 hinweg, der eine Besetzung und eine erneute Aufteilung Polens vorsah. Am 1. September des gleichen Jahres marschierten sowohl deutsche als auch sowjetische Truppen in Polen ein, das Land wurde entlang der Narew-Bug-Linie getrennt; damit begann der Zweite Weltkrieg.

    Als Deutschland 1941 auch die Sowjetunion angriff, besetzten deutsche Truppen auch den östlichen Teil Polens. Die polnischen Juden wurden in Ghettos in Lublin, Krakau, Lodz und Warschau zusammengetrieben. Beim Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto im April 1943 kamen insgesamt 50.000 Juden ums Leben. Auf polnischem Boden richtete die deutsche Führung den Großteil ihrer Massenvernichtungslager ein (u.a. Auschwitz, Treblinka, Majdanek und Sóbibor), in denen bis 1945 mehrere Millionen Menschen getötet wurden.

    Kommunistische Ära

    1944 eroberten russische Truppen die östlichen Gebiete Polens wieder zurück und setzten dort eine Regierung aus polnischen Exilsozialisten ein. Bis zum Ende des Krieges geriet ganz Polen in den sowjetischen Einflußbereich. Das Land verlor rund 45% seiner Gebiete der Vorkriegszeit an die Sowjetunion und wurde dafür mit vormals deutschen Gebieten im Westen entschädigt (bis zur Oder-Neiße-Linie). Es kam zu Umsiedlungen von Millionen Menschen. Im Juli 1945 wurde die mehrheitlich sozialistische Staatsführung Polens von den Siegermächten anerkannt.

    Nach sozialistischem Vorbild wurde noch im gleichen Jahr eine Bodenreform durchgeführt mit der Verstaatlichung der meisten Betriebe, zwei Jahre später die Planwirtschaft eingeführt. 1949 wurde die Volksdemokratie Polen ausgerufen, einzige zugelassene Partei war die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei. Mit der Aufnahme in das COMECON (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, Gründungsmitglieder UdSSR, Bulgarien, Rumänien, Tschecheslowakei, Ungarn) 1949 und in den Warschauer Pakt (1955) war die Ostorientierung Polens endgültig festgelegt.

    Die kommunistischen Verhältnisse führten bei der polnischen Bevölkerung zu Unzufriedenheit und Aufständen (Posener Aufstand 1956), die mithilfe von russischen Truppen niedergeschlagen wurden. Parteichef wurde im Oktober der vorher inhaftierte Wladislaw Gomoulka, der eine dezente "Entstalinisierung" durchführte und z.B. Handwerkern und Bauern Privatbesitz zugestand. Auch wurden zahlreiche politische Häftlinge freigelassen.

    Zu Beginn der 70er Jahre kam es zu einer Annäherung Polens an die Bundesrepublik Deutschland (Deutsch-Polnischer Vertrag 1970). Wesentlicher Bestandteil des Vertrages war die Erklärung über die Unverletzbarkeit der Oder-Neiße-Linie als Grenze zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland.

    Die anhaltend schlechte Wirtschafts- und Versorgungslage in Polen und die Unterdrückung jeglicher Opposition bewirkte einen landesweiten Streik im Jahr 1980. Der Werftarbeiter Lech Walesa gründete den unabhängigen Gewerkschaftsverband Solidarnosc (Solidarität), der zunächst von der polnischen Regierung anerkannt, unter sowjetischem Druck ein Jahr später aber verboten wurde.

    Öffnung nach Westen

    Durch die in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow ab Mitte der 1980er eingeleiteten Reformen kam es auch in Polen zu erneuten Streiks. 1989 wurden vom Politbüro freie Wahlen ausgeschrieben, das Verbot der Gewerkschaft Solidarität aufgehoben und ein Zwei-Kammern-Parlament eingeführt. Wahlsieger mit überwältigender Mehrheit war das von Lech Walesa gegründete "Bürgerkomitee Solidarität" (AWS), die erste nichtkommunistische Regierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki nahm seine Arbeit auf. Lech Walesa übernahm von seinem Vorgänger Jaruselzki 1990 das Amt des Staatspräsidenten (bis 1995, Nachfolger Aleksander Kwasniewski). 1992 trat eine neue Verfassung in Kraft, die 1997 endgültig angenommen wurde. In einem deutsch-polnischen Grenzvertrag wurde im November 1990 die Oder-Neiße-Linie als Grenze völkerrechtlich anerkannt. Nach der Auflösung des Warschauer Pakts 1991 bemühte sich Polen um eine Aufnahme in die NATO (vollzogen 1999). Der Beitritt zur Europäischen Union (EU) erfolgte am 1. Mai 2004.

    Im Herbst 2005 gewann bei den Präsidentschaftswahlen in der Stichwahl der rechtskonservative Politiker Lech Kaczynski mit deutlichem Vorsprung vor den Liberalen. Sein Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski von der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) war seit 2006 Ministerpräsident. Dessen PiS musste bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 21. Oktober 2007 eine herbe Niederlage einstecken. Jaroslaw Kaczynskis Nachfolger als Ministerpräsident ist Donald Tusk, Vorsitzender der von ihm mitbegründeten liberal-konservativen Bürgerplattform.

    Am 10. April 2010 war Präsident Lech Kaczyński auf dem Weg zu einer Gedenkfeier zur Erinnerung an die Ermordung polnischer Offiziere durch den sowjetischen Geheimdienst 1940 im russischen Katyn. Das Flugzeug stürzte beim Landeanflug ab. Kaczyński, seine Ehefrau, zahlreiche Parlamentsabgeordnete, Regierungsmitglieder, hochrangige Offiziere, Kirchenvertreter, leitende Vertreter von Zentralbehörden sowie Vertreter von Verbänden der Opferangehörigen des Massakers von Katyn kamen beim Absturz ums Leben. Sein Nachfolger als Präsident ist Bronisław Komorowski, der liberalkonservative Positionen vertritt.