Normannen

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    auch: Wikinger;

    Die Begriffe "Normannen" und "Wikinger"

    Der Begriff Normannen wurde abgeleitet vom Sammelnamen "Nordmannen" für Skandinavier, Dänen, Norweger und Südschweden, die im Anschluss an die germanische Völkerwanderung (ohne ihre nördlichen Siedlungsgebiete aufzugeben) seit dem 8. Jh. n.Chr. weite Vorstöße nach West-, Süd- und Osteuropa und über das Meer unternahmen.


    Die Normannen werden auch als Wikinger bezeichnet. Über den Ursprung der Bezeichnung "Wikinger" für die "Männer des Nordens", die Altnordisch sprechenden Vorfahren der Norweger, Schweden und Dänen, gibt es verschiedene Meinungen. Sicher ist, dass der Begriff ab Ende des 8. Jh.s. bis zum Ende des 11. Jh.s mit Seeräuberei gleichgesetzt wurde. Es gab damals in Skandinavien - dieser Name stammt von Plinius, der das unbekannte Land jenseits von Jütland als "Scatinavia" bezeichnete - so viele umherziehende germanische Stämme und Heiraten unter den Häuptlingsfamilien, dass von nationaler Identität im heutigen Sinne keine Rede sein konnte. Der schwedische Professor Jan Ivarsson sagte einmal: "Die Wikinger waren kein Volk, sondern ein Beruf. Während eines Teils des Jahres betätigten sich die 'Nor[d]mannen' als Bauern, Handwerker und hervorragende Schiffsbauer und während der übrigen Zeit eben als 'Wikinger', d.h. als Entdecker und Eroberer von Ländern und Meeren sowie als Kaufleute und Söldner."

    Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Wikinger, die über Land nach Russland, wo sie von den dort lebenden Slawen "Waräger" genannt wurden, und schließlich bis nach Konstantinopel vordrangen, vorwiegend Schweden gewesen sein müssen, während die Norweger gen Westen nach Schottland und Irland segelten, um dann über die Orkney-, Shetland- und Faröer Inseln nach Island und Grönland und sogar bis nach Amerika vorzudringen. Die Dänen hingegen beschränkten sich auf Deutschland, England, Frankreich (Normandie), Spanien, Sizilien und Süditalien, in Frankreich eroberten sie die Normandie.

    Frühe Raubzüge

    Auf besegelten Ruderbooten (Langbooten) unternahmen die Normannen anfangs Piraten- und Raubzüge mit unbestimmtem Ziel, später (um 800) besonders zu den Küsten des angelsächsischen Britannien. Angriffe führten sie auch auf die Küsten des Frankenreiches; darauf erfolgten Schutzmaßnahmen Karls des Großen. Zu Landnahmen normannischer Siedler kam es auf den Färöer-, Shelley- und Orkneyinseln, zu einer Herrschaftsgründung in Irland. Nach 870 setzten sie sich in Northumberland fest und eroberten anschließend das ganze Angelland (England). Nach Teilung und Schwächung des Frankenreiches (843 Vertrag von Verdun) Anlage von befestigten Lagern an den Mündungen der großen europäischen Ströme. Von dort aus unternahmen sie in jedem Frühjahr Beutezüge auf Elbe, Weser, Rhein, Mosel, Maas, Garonne, Seine und anderen Flüssen. Sie plünderten Hamburg (völlige Zerstörung), Paris, Rouen, Nantes, Aachen und Köln. Die Not der Bevölkerung führte zur Lahmlegung des dortigen Wirtschaftslebens, während die Normannen weitere Eroberungen in England machten.

    Gründungen von Siedlungen

    Seit der Mitte des 9. Jh.s drangen starke Normannenflotten auch im Mittelmeer bis Spanien und Afrika vor. Gleichzeitig führten Entdeckungsfahrten sie nach Norden und über das "Westmeer". Ende des 9. Jh.s umrundeten sie das Nordkap und die Halbinsel Kola und gründeten Niederlassungen auf Island. Erik der Rote siedelte um 984 auf Grönland, sein Sohn Leif Erikson drang bis Labrador und Neufundland vor und entdeckte Vinland (Nordamerika).

    Russische Herrschaften

    Während die Normannen von Dänemark und Norwegen aus gegen Westen und Süden vordrangen, begannen sie von Schweden aus die Eroberung des Ostraumes. Diese Eroberer wurden Waräger genannt. Über Gotland besetzten sie das Baltikum, besonders Kurland, und gründeten befestigte Siedlungen in Ostpreußen. Von dort gründeten sie um 860 ihre Herrschaften in Nowgorod und Kiew und fassten um 880 beide Herrschaften zum Kiewer Reich (dem ersten russischen Staat Rurik, Russland) zusammen. Bis um 1000 bestand reger Handelsverkehr zwischen Schweden, Russland und Byzanz durch wagemutige Krieger-Kaufleute, die mit Schiffen regelmäßig die gefahrvolle Fahrt von den großen Handelsplätzen des Nordens (Haithabu) bis zum Schwarzen Meer unternahmen. Es gab enge Beziehungen der Waräger auch zur islamischen Welt (bei Ausgrabungen in Schweden und Gotland wurden unter anderem mehr als 100 000 islamische Silbermünzen aus der Normannenzeit gefunden). Seit 950 erfolgte die Slawisierung der russischen Waräger.

    Die Normandie

    Die im 8. Jh. begonnene Missionierung verschmolz im Westen und Süden die Normannen allmählich mit dem christlichen Abendland. Um 910 endeten die Angriffe auf Frankreich, nachdem die Normannen große Gebiete an der unteren Seine (die spätere Normandie) als Lehen erhalten hatten. Im 10. Jh. ließen die England-Invasionen aus Skandinavien nach (1066 letzter Eroberungszug gegen England durch Wilhelm den Eroberer aus der Normandie). Auch in England und Frankreich gingen die Nachkommen der normannischen Eroberer in der einheimischen Bevölkerung auf.

    Reichsgründung in Unteritalien

    Von großer Bedeutung wurde für das Mittelalter die normannische Reichsgründung in Unteritalien. Dort hatten sich seit der Vernichtung des Langobardenreiches durch Karl den Großen (774) im Raum von Salerno, Capua und Neapel kleine langobardische Herzogtümer erhalten, die im Kampf gegen Byzantiner und Sarazenen standen. Normannische Ritter aus der Normandie kamen dem 1016 von den Sarazenen angegriffenen Salerno zu Hilfe und zogen Verstärkungen aus der Normandie nach. Sie traten in die Dienste einiger langobardischer Herzöge und erhielten Lebensgrafschaften zur Belohnung. Der mit Besitz bei Neapel belehnte Normanne Rainulf bemächtigte sich 1030 des langobardischen Capua. Der Normanne Robert Guiscard eroberte Kalabrien, machte sich 1057 zum Herrn von Apulien, anerkannte die Oberhoheit des Papstes über diese Besitzungen, leistete 1059 den Lehenseid an Papst Nikolaus X. und entriss 1061-1072 den größten Teil Siziliens den Arabern. Guiscards Bruder Roger I. schloss 1091 die Eroberung Siziliens ab. Begründer der eigentlichen normannisch-sizilianischen Dynastie wurde sein Sohn Roger II., der die letzten langobardischen Herrschaften in Unteritalien unterwarf und sich 1130 unter Anerkennung der päpstlichen Lehenshoheit durch Papst Anaklet II. zum König von Sizilien krönen ließ. Er errichtete ein glanzvolles und mächtiges süditalienisch-sizilianisches Reich, gestützt auf den normannischen Adel und, da er das mittelalterliche Lehenswesen ablehnte, auf ein zentralistisch organisiertes Beamtentum. Es gab Rechtshochschulen in Neapel und Amalfi, eine medizinische Hochschule in Salerno, Dome und Burgen im normannischen Baustil. 1194 erbten die Staufer das Normannenreich, die Grundlage der Kaisermacht Friedrichs II. Nach dem Niedergang der Staufer wurde Karl I. von Anjou 1265 vom Papst mit dem Reich Neapel-Sizilien belehnt. Kurz danach teilte er es in ein Königreich Neapel und ein Königreich Sizilien. Die Normannen waren zu dieser Zeit bereits in der einheimischen romanischen Bevölkerung aufgegangen.