Geschichte: Perestroika und Glasnost

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    In seiner Abschiedsbotschaft vom 26. Dezember 1991 gab Michail Gorbatschow, Generalsekretär der KPdSU 1985 bis 1991 und der erste und letzte Präsident der UdSSR 1989 bis 1991, die folgende Begründung für sein geschichtsmächtiges Handeln:


    "Das Schicksal hat es so gewollt, dass in dem Moment, als ich an die Spitze des Staates kam, schon klar war, dass etwas mit dem Staat nicht stimmte. Es ist alles im Überfluss vorhanden - Land, Erdöl und Erdgas, andere Bodenschätze, auch mit Verstand und Talent hat uns Gott nicht benachteiligt, aber wir leben viel schlechter als in den hoch entwickelten Ländern und der Rückstand wird immer größer. Die Ursache war schon damals erkennbar. Die Gesellschaft erstickte im Würgegriff des administrativen Kommandosystems. Zum Frondienst an der Ideologie verurteilt, musste sie auch die schreckliche Last des Wettrüstens tragen und lebte am Rande ihrer Möglichkeiten. Alle Versuche von Teilreformen - und davon gab es nicht wenige ? scheiterten einer nach dem anderen. Das Land verlor die Perspektive. So konnte man nicht weiterleben. Alles musste von Grund auf geändert werden."

    Seit Gorbatschow die Zügel der sowjetischen Politik in die Hand nahm, überstürzten sich die sensationellen Meldungen aus der UdSSR. Er formulierte zwei wesentliche Ziele: den Umbau und die Erneuerung (Perestroika) der Sowjetunion zur modernen, leistungsstarken Nation und damit die Verbesserung der desolaten Ökonomie, unter der die 288 Millionen Bürger des größten Flächenstaates der Erde litten; als Voraussetzung dafür eine neue Offenheit (Glasnost), d.h. mehr Mitsprache der Öffentlichkeit und die Lockerung der strengen Zensur. Die ins Auge gefassten Veränderungen definierte er als notwendige Maßnahmen auf dem Weg zu einem "besseren Sozialismus". Er verstand sie als tief greifende Reformen, nicht aber als Revolution von oben. Die Sanierung der Wirtschaft verlangte vor allem einen radikalen Bruch mit untauglichen zentralistischen Steuerungsmechanismen. Gorbatschows Vorgänger hatten eine nach westlichen Maßstäben nahezu bankrotte Ökonomie hinterlassen.

    Gorbatschow setzte zunächst administrative Mittel ein, um die ökonomische Talfahrt zu stoppen. Das Ausbleiben schneller Erfolge erhöhte die Erwartungen an den Parteivorsitzenden, der aus berechtigter Angst vor einer Schocktherapie mit bloß schrittweiser Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Strukturen reagierte - was sich unter den gegebenen Umständen ebenfalls als untauglich erwies. Durch intensive außenpolitische Aktivitäten versuchte er, die fehlenden Erfolge daheim zu kompensieren und zugleich mehr Ressourcen für die ökonomische Wende zu mobilisieren. Er gab kostspielige Positionen auf, indem er die Besatzungstruppen aus Afghanistan bis zum 15. Februar 1989 zurückzog und auf breiter Front Abrüstungsmaßnahmen anbot. Im Dezember 1987 einigten sich die USA und die UdSSR auf die "Nulllösung" in der Frage der Mittelstreckenraketen (Intermediate Nuclear Forces) in Europa, der erstmals in der Geschichte betriebenen ersatzlosen Verschrottung einer ganzen Waffengattung, der bahnbrechende Abrüstungsvereinbarungen über die Interkontinentalraketen und andere Waffensysteme folgten; der Kalte Krieg hatte sein Ende gefunden.

    Gorbatschow betonte das Recht auf Eigenständigkeit der osteuropäischen sozialistischen Staaten und tolerierte die dortigen Umwandlungsprozesse. Die demonstrative Abkehr vom Hegemonialstreben bewirkte allerdings eine nicht einkalkulierte innenpolitische Destabilisierung.

    In der langen Kette von Ereignissen, die zum Zerfall der Sowjetunion führten, nimmt der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um dessen armenisch besiedelte Enklave Nagornyi-Karabach einen herausragenden Platz ein. Die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen begannen 1988 und die Behauptung ist nicht übertrieben, dass sie die Initialzündung abgaben für weitere Explosionen. Gorbatschows Perestroika zertrümmerte das Zwangssystem, in dem die Nationalitäten gefesselt waren; im Baltikum, in Moldawien, in der Ukraine, im Kaukasus, in Mittelasien. Überall hörten die Völker auf die Signale aus Nagornyi Karabach. Und diese verkündeten: Moskau ist schwach, unsere Chance ist gekommen.

    Jean Monnet, der geistige Vater der Europäischen Gemeinschaft, hat einmal gesagt: "Die Wandlungen, die der Wandel gebiert, sind stets unabschätzbar." Diese Erfahrung musste auch Michail Gorbatschow machen; dass er sich mühte, durch sein eigenes Handeln den Wandel in eine heilsame Richtung zu lenken, macht einen Teil seiner historischen Größe aus.

    Der Kalte Krieg hatte die europäischen Verhältnisse für 40 Jahre eingefroren. Kurze Tauwetterperioden milderten gelegentlich den Frost, doch immer nur um wenige Grade, bis dann 1989 die Eisschmelze einsetzte, die Gletscher sich zurückzogen und die geopolitische Ordnung mit sich fortrissen, die in den Köpfen der meisten Menschen unveränderlich, "unverletzlich" festgestanden war.

    Kalenderblatt - 16. April

    1922 Das Deutsche Reich und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken schließen in Rapallo am Rande der Weltwirtschaftskonferenz von Genua einen Freundschaftsvertrag, den so genannten Rapallo-Vertrag.
    1925 Im Grab der vor über 45 Jahren verstorbenen Bernadette wird deren Leichnam unverwest aufgefunden. Das Grab wurde anlässlich ihrer Seligsprechung geöffnet. Sie hatte als Kind mehrere Marienerscheinungen.
    1945 Hitler verlangt die Verteidigung der Ostfront bis zum letzten Tropfen Blut.