Geschichte: Germanische Grundlagen

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    Im Verlauf der Bronzezeit (deren Beginn um 2000 v.Chr. angesetzt wird), traten die Germanen ins Licht der Geschichte. Reiche archäologische Funde geben ein deutliches Bild ihrer Kultur. Die Bauweise lässt schon die Grundform des Fachwerkbaus erkennen, die Tracht ist gediegen und gut ausgebildet, reicher Bronzeschmuck, edel geformte Waffen und Gebrauchsgegenstände sprechen für den hohen Stand der handwerklichen Fertigkeiten.


    Die Erforschung der Vorgeschichte "Germaniens" wird freilich durch die Nichtexistenz schriftlicher Quellen erschwert bzw. auf wissenschaftliche Hypothetik eingeschränkt. Erst die Expansionspolitik der Römer (unter Cäsar) erbrachte erste Schilderungen dieser Welt nördlich der Donau (durch Tacitus), und auch sie sind Beschreibungen fremder Phänomene in politischer oder moralischer Absicht, keine objektiven Berichte.

    In der Feldbearbeitung trat an die Stelle des vorgeschichtlichen Hackbaus der planmäßige Feldbau: Das Bauerntum erlebte seine erste Blütezeit in der germanischen Geschichte. Die Religion war ganz und gar Ausdruck seiner Welt. Die Kulte der Fruchtbarkeit, der Sonne und des Himmels verbanden sich mit der Verehrung der mütterlichen Erde als dem Urgrund alles Seins. Sie wurde als eine Art weibliche Naturmacht, als die Empfangende und Gebärende verstanden. Tacitus berichtet vom Nerthuskult, der einer Fruchtbarkeits- und Vegetationsgöttin namens Nerthus gegolten habe; mit dem Frühlingsfest seien auch Menschenopfer verbunden gewesen. Bekannt wurde auch der Erdmutterkult bei den im Kultverband der Ingwäonen zusammengeschlossenen germanischen Stämmen in der Küstenregion der Nordsee. In der Spiral- und Wellenbandornamentik der germanischen Gefäße hat man gleichfalls einen "weiblichen" Stil erkennen wollen - eine Deutung, die jedoch nicht unbedingt beweiskräftig erscheint. Der Germane der Bronzezeit lebte in Einehe. Die Frau genoss hohes Ansehen. Die Familie wiederum war eingefügt in das mächtige Band der Sippe, die als Recht setzende und Sitten prägende Gemeinschaft das Leben des Einzelnen tiefgreifend bestimmte.

    Die Bronzezeit (2. Jahrtausend v.Chr.) war die letzte verhältnismäßig friedliche Epoche der germanischen Geschichte vor der erneuten Konsolidierung der Verhältnisse im Mittelalter. Daher treten in ihr Zeugnisse der Wehrhaftigkeit und des Kriegertums nicht so sehr in Erscheinung. Dieses Bild veränderte sich in der Epoche der Landnahmen, der Wanderungen und Eroberungen tiefgreifend. Sie setzte gegen Ende der Bronzezeit ein und prägte die folgenden Jahrhunderte bis ins frühe Mittelalter hinein.

    Viele Gründe dürften bei der Auslösung dieser Wanderbewegungen im 1. Jahrtausend v.Chr. mitgewirkt haben: Bevölkerungsvermehrung und Klimaverschlechterung, das Freiwerden des zentraleuropäischen Raumes nach Abzug der Kelten (die sich in westlicher und südlicher bzw. südöstlicher Richtung ausbreiteten), ferner der Druck asiatischer Nomadenstämme, der über die von ihnen unterworfenen, ursprünglich indogermanischen Slawen auf den Siedlungsraum der Germanen fortwirkte; vielleicht waren es aber auch innere Wandlungen im gesellschaftlichen Gefüge, etwa die Entstehung eines auf kriegerische Unternehmungen hinstrebenden Adels.


    Die Wanderungsphase entwickelte naturgemäß eine kriegerische Grundtendenz. Es existierten viele bewegliche kleine Stämme und Gruppen, oft auch untereinander in erbitterter Fehde. Ihre Geisteshaltung spiegelt sich in der Mythologie, im Heldenlied und in der Saga. Freie Häuptlinge gestalteten die Politik der Stämme. Daneben gab es private Gefolgschaften, die als Seeräuber oder Landeroberer gemeinsame Beutezüge unternahmen.

    Die "Gefolgschaft", auch des vom führenden Adel gewählten Königs, umfasste gesellschaftlich gleichberechtigte Mitglieder, die mit ihrem Führer durch gegenseitige Treueverpflichtung verbunden waren. Königshof und Heergefolge bestimmten bei den Ostgermanen seit der Wanderungszeit das politische Leben. Das Heldenlied, vom Krieger-Dichter in der Herrenhalle des Königs vorgetragen, und die kriegerische Erziehung des Nachwuchses sind Erscheinungen, die später in der mittelalterlichen Lehnskultur in reicher Ausprägung, aber durch schriftliche Quellen nun auch greifbarer geworden, wiederkehren. Zugleich hat man es hier mit einer Kulturerscheinung zu tun, die europäische Bedeutung gewann, da sie Stammes- und Volksgrenzen übersprang und sogar beispielsweise noch bei den mit den Germanen in Berührung kommenden asiatischen Stämmen der Wanderungszeit - etwa den Hunnen - zu beobachten ist.

    Indem die Völkerwanderung das alte Geborgensein und die friedliche Bindung der Menschen an Scholle, Haus und Hof auflöste, gebar sie typische Erscheinungen einer Epoche des Umbruchs. Die gewalttätige, Tod und Untergang missachtende heroische Persönlichkeit, der es nur um Waffenruhm und Beute zu tun ist, trat in den Vordergrund der germanischen Weltauffassung. Aber ihr Wirken führte in hoffnungslose Lagen, in schicksalhafte Ausweglosigkeit menschlichen Daseins, wie sie sich in der Königssage, ja noch im ritterlichen Heldenlied mit ihren tragischen Untergangsstimmungen spiegeln. Diese Zeit der Unruhe bereitete wohl auch den Boden für den geistigen Wandel, an dessen Ende der religiöse Zweifel an den überkommenen Göttervorstellungen erwuchs. Er löste den Götterhimmel auf, führte die Erscheinung der "Götterlosen" herauf und bahnte so dem christlichen Glauben in der Oberschicht den Weg. Im Sieg des Christentums begegneten sich danach der alte bäuerlich-germanische Ordnungswille der Frühzeit und das neue Friedensideal schöpferisch auf der Ebene des Volkes.

    Für die mittelalterliche Siedlungs- und Staatenentwicklung wurde es bedeutsam, dass die Germanen im Zuge der Wanderbewegungen den Raum östlich der Elbe und Saale und des Böhmerwaldes freigaben. In diese Gebiete rückten die Slawen ein. Als mit dem Zusammenbruch der römischen Reichsverteidigung an Limes und Rhein dem Stau der Germanen ein Ventil nach Westen geöffnet wurde, gab es bereits größere westgermanische Verbände, für die sich die Bezeichnung "Stämme" eingebürgert hat. Um 250 durchbrachen die Alemannen, später Schwaben (Sweben oder Sueben) genannt, den Limes und besiedelten die oberrheinische Tiefebene. Nach 455 dehnten sie ihren Siedlungsraum auf das Elsass, die Nordschweiz, die Pfalz und Rheinhessen aus.


    Die beiden letztgenannten Gebiete wurden ihnen später von den Franken streitig gemacht. Diese traten in drei Gruppen in Erscheinung. Die nördlichste, die Niederfranken, auch Salier genannt, beherrschten Niederrhein, Scheidemündung und Flandern, wo sie im 5. Jahrhundert als Reichsföderaten vom römischen Heermeister in Gallien, Aetius, in den Verband des römischen Reiches aufgenommen worden waren. Zwei südlichere Gruppen, die wohl eng miteinander in Verbindung standen, die mittelfränkischen Moselfranken und die Ripuarier, beherrschten das Mittelrheingebiet und drangen in den ehemals gallorömischen Staatsraum westlich des Rheins ein. Ein fränkisches Königsgeschlecht, die Merowinger, begann Gallien zu erobern und die fränkischen Teilstämme allmählich unter einer Herrschaft (König Chlodwig I., 482-511) zusammenzufassen, die von den nachfolgenden Karolingern schließlich auf alle übrigen westgermanischen Stämme ausgedehnt wurde.

    Die Bayern tragen einen keltischen Namen, der möglicherweise an ihr ursprüngliches Siedlungsland Böhmen, den Sitz der keltischen Boier, erinnert. Man vermutet, dass sie eine Mischung dieses Stammes mit den suebischen Markomannen darstellen. Im 6. Jahrhundert besiedelten sie das Gebiet zwischen Lech, Alpen, Enns und Donau. In Böhmen folgten ihnen die slawischen Tschechen nach. In ihrem neuen Siedlungsraum verschmolzen die Bayern mit den hier ansässig gebliebenen Teilen der romanischen und romanisierten Bevölkerung (Räter).

    Zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert gewannen die Sachsen in ständigem Kampf gegen die in Thüringen sich niederlassenden Swebenstämme (Hermunduren), die später unter dem Stammesnamen der Thüringer in die deutsche Geschichte eingingen, aber auch in kriegerischer Auseinandersetzung mit den Franken ihren Siedlungsraum zwischen Nordsee, Eider, westfälischer Westgrenze, Sieg, Eder und Unstrut (etwa 532). Angeln, Juten und Friesen waren ihre nördlichen Nachbarn.

    Nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft auf den britischen Inseln am Beginn des 5. Jahrhunderts begann ein Ringen um diesen Raum zwischen den keltischen Skoten (später Iren genannt), den Pikten und den übers Meer heran drängenden Angeln, Sachsen und Juten. Die Juten eroberten um 450 die Grafschaft Kent, die Sachsen die ihren Namen tragenden Gebiete von Essex, Sussex und Wessex, die Angeln den Raum nördlich davon: Ost- und Mittelanglien und Mercia. Die Einwanderer kamen als seeräuberische, aber auch als bäuerliche Gefolgschaften, deren kriegerischer Geist zunächst einmal die römische Kultur- und Zivilisationshöhe Südostenglands missachtete und der Entwicklung dieses Raumes einen Rückschlag zufügte. Die keltische Bevölkerung wurde ausgerottet oder vertrieben. Die Flüchtlinge zogen sich in das Bergland von Wales oder nach Nordfrankreich zurück, wo die Landschaft der Bretagne ihren Namen (Bretonen) trägt. In diesen Räumen haben sich die ursprünglichen keltischen Sprachen (Walisisch und Bretonisch) bis heute als Elemente einer eigenständigen Regionalkultur erhalten.


    Den Angeln und Sachsen gelang der Wiederaufbau der von ihnen zerstörten staatlichen und kulturellen Einheit römischen Erbes nicht aus eigener Kraft. So mussten sie die Invasionen nordgermanischer Wikingerscharen, vor allem der Dänen, erdulden. Schließlich wurden sie von einem romanisierten, aus Nordfrankreich unter Herzog Wilhelm dem Eroberer herüberkommenden Wikingerstamm, den Normannen, politisch geeint (1066 Sieg der Normannen über die Angelsachsen in der Schlacht bei Hastings an der britischen Kanalküste). Die schottischen Pikten aber wurden im Laufe dieser Entwicklung germanisiert.

    Ihre kulturelle Einheit gewannen die Angelsachsen mit dem Wiedereindringen und der Ausbreitung der christlichen Lehre. Dieser Prozess begann 597, als Papst Gregor der Große den römischen Abt Augustin mit 40 Mönchen nach Kent schickte, um von dem Hauptplatz Canterbury aus die Mission voranzutreiben. Da es den Glaubensboten gelang, den König von Kent für das Christentum zu gewinnen, machte die Ausbreitung der neuen Lehre bald bedeutende Fortschritte. Die angelsächsische Kirche stand bald in hoher Blüte und großem Ansehen. Viele Klöster und Domschulen wurden Pflegestätten christlicher, aber auch antiker Bildung. Mit Winfried und Alkuin wirkte England auch auf die germanischen Festlandsstämme bedeutsam ein. Schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts konnte der berühmte Benediktinermönch und Gelehrte Beda Venerabilis (673-735) eine "Geschichte der Englischen Kirche" verfassen.