Geschichte: Geistige Grundlagen

    Aus WISSEN-digital.de


    Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts war der Höhepunkt der bereits im Spätmittelalter einsetzenden Säkularisierungs- und Rationalisierungsprozesse.


    In ihr fand die wirtschaftliche und politische Emanzipationsbewegung des Bürgertums ihren unmittelbaren Ausdruck - und obwohl die Bourgeoisie stets nur auf seine eigene Emanzipation, nie auf die des ganzen Volkes abzielte, so konnten sich mit ihren Zielen auch die unteren Klassen identifizieren: Überwindung kirchlicher und monarchischer Autorität, geistige und religiöse Freiheit, Aufhebung der festgefügten ständischen Ordnung, Verbrüderung der Menschheit und Erlangung persönlichen Glücks und Wohlfahrt aller Menschen. Das neue bürgerliche Selbstbewusstsein fand seinen Niederschlag in allen kulturellen Bereichen. Die Künste lösten sich aus ihrer Bindung an Hof und Adel; es entstanden das bürgerliche Trauerspiel (George Lillo, Denis Diderot, Gotthold Ephraim Lessing) und die Symphonie als musikalische Gattung des Bürgertums schlechthin.

    Das Rechts- und Staatsleben sollte auf das Fundament des "natürlichen Rechts" gestellt und dem aufklärerischen Vernunft- und Fortschrittsdenken verpflichtet werden.

    Der Holländer Hugo Grotius stellte in seinem 1625 veröffentlichten Werk "De jure belli ac pacis" (Kriegs- und Friedensrecht) fest, dass es unveränderliche, durch die Vernunft erfassbare Rechte des Menschen auf Leben, Freiheit und Eigentum gebe. Zusammenfassend bezeichnete er sie als Naturrecht. Der Staat ist danach ein Bündnis der Individuen zu ihrem Schutz durch Recht und Gerichtsbarkeit und durch Wehr und Verteidigung.


    Zentrale Gestalt der englischen Aufklärung war John Locke (1632-1704). In seinen Abhandlungen "Two treatises of government" bezeichnete er die Gewaltenteilung als Ideal der staatlichen Verfassung. Die Trennung von ausführender (Exekutive) und gesetzgebender Gewalt (Legislative) begründet er naturrechtlich. Eine freiheitliche Verfassung sei eine Forderung des gesunden Menschenverstandes, heißt es in seiner Schrift "An Essay concerning human understanding" (Untersuchung über den menschlichen Verstand). Die erste Verwirklichung bürgerlicher Rechte auf verfassungsmäßiger Grundlage geschah 1689 in der Declaration of Rights (Erklärung der Rechte). Die Gesetzgebung (Legislative) und das alleinige Steuerbewilligungsrecht wurden dem (noch nicht regelmäßig tagenden) Parlament übertragen. Ein Verbot königlicher Sonderrechte und Gerichte wurde ausgesprochen, und in der damit verbundenen Toleranzakte wurde eine noch beschränkte Glaubensfreiheit gewährt. Dies bedeutete die verfassungsmäßige Sicherung der Errungenschaften der "Glorious Revolution" von 1688.

    Das freiheitliche Gedankengut der englischen Staatstheorie und Verfassungspraxis war die geistige Grundlage des Freiheitskampfes der nordamerikanischen Kolonien. Das Naturrecht diente den Kolonisten zur Legitimation der Verteidigung ihrer Eigenrechte und Unabhängigkeit im Kampf gegen die Ausbeutungsabsichten des Mutterlandes.

    In England selbst gab es aus der freiheitlichen Verfassungstradition heraus viele Befürworter der kolonialen Forderungen. Der Londoner Daniel Dulaney unterstützte 1766 mit seinen "Considerations on the Propriety of imposing taxes" (Betrachtungen über das Recht der Zoll- und Steuererhebung) die Kolonisten in ihrer Ablehnung der königlichen Sonderbesteuerungspraxis. Im Unabhängigkeitskrieg meldete sich Thomas Paine mit seiner Schrift "Common Sense, addressed to the inhabitants of America" (Gesunder Menschenverstand, an die Einwohner Amerikas gerichtet) zu Wort. Paine nahm auch an den revolutionären Ereignissen in Frankreich teil und entwickelte sich zum radikalen Demokraten; er scheiterte jedoch ebenso wie sein Freund Joseph Priestley bei dem Versuch, nach seiner Rückkehr auch in den neugegründeten USA radikal-freiheitliche Formen einzuführen. Den Höhepunkt der nordamerikanischen Kampfpublizistik bildete Thomas Jeffersons Declaration of Independence (Unabhängigkeitserklärung) vom Juli 1776, die auch eine kurz gefasste Menschenrechtserklärung enthält. Mit der Virginia Bill of Rights (Urkunde der Menschenrechte für Virginia) von 1776 wurden erstmals die Menschenrechte in einem Verfassungstext verankert; die Begründung ging von mutterländischen und kontinentalen Naturrechtsauffassungen aus.


    In Frankreich wurde die Kritik am absolutistischen Saat von Montesquieu in seinen "Lettres persanes" (1721) und von Voltaire in den "Lettres sur les Anglais" (1733) mit dem Lob der englischen Verfassung zum Höhepunkt geführt. Montesquieu forderte 1748 in seinem Buch "De l'esprit des lois" (Vom Geist der Gesetze) die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion (Rechtsprechung, richterliche Gewalt). Die unter der Leitung von Diderot und d'Alembert entstandene "Encyclopédie" (1751-1780) aufklärerischen Denkens trug maßgeblich zur Verbreitung der neuen Weltanschauung bei. Eine noch radikalere Staatsanschauung vertrat Rousseau in seinem "Contrat social" (Gesellschaftsvertrag) von 1762: Alle Gewalt sollte ungeteilt in die Hände des sich unmittelbar zu Wort meldenden Volkes gelegt werden; die uneingeschränkte Volkssouveränität bekundet sich in der "Volonté générale" (gemeinsamer Wille der Nation), der auf das Beste aller abzielt, also immer richtig und damit letztlich mit dem Einzelwillen identisch ist.

    Die Vorgänge in Amerika hatten die innenpolitische Entwicklung Frankreichs maßgeblich beeinflusst. Die Revolution wurde hierdurch zwar nicht ausgelöst, wohl aber ermutigt und in ihrer Richtung mitbestimmt. Die französische Formulierung der Menschenrechte, die "Déclaration des droits de l'homme et du citoyen" von 1789 folgte der nordamerikanischen teilweise sogar in wörtlichen Übereinstimmungen.

    Das vorrevolutionäre Frankreich war gekennzeichnet durch den rapiden Zerfall der inneren Ordnung. Verlustreiche außenpolitische Abenteuer und die immensen Kosten für Hof, Heer und Verwaltung hatten ein riesiges Staatsdefizit erzeugt; die Verwaltung war ein anarchisches Gewirr lokaler und zentralistischer Kompetenzen, von adligen und kirchlichen Privilegien und einander teils widersprechender Verordnungen. Die veraltete Feudalordnung weckte in allen Schichten Unzufriedenheit und verschärfte die sozialen Spannungen. Von dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung profitierten im Wesentlichen die großbürgerlichen Kräfte, die zunehmend die Aufhebung der politischen und gesellschaftlichen Privilegien des Adels forderten. Der Handwerkerstand in den Städten verfiel und sank zum industriellen Proletariat herab. Die bäuerlichen Kleinpächter verarmten und vergrößerten die Schicht der besitzlosen Landarbeiter, die bald über 50 Prozent der Bevölkerung ausmachte. Hinzu kam, dass die in mittelalterlichen Verhältnissen stecken gebliebene zünftlerische Wirtschaftsverfassung der Expansion der wirtschaftlichen Kräfte nicht mehr gemäß war. So entwickelte sich bei den Physiokraten Quesney, Mirabeau und Turgot und bei dem Engländer Adam Smith die Idee der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und gesellte sich als Forderung sinngemäß zu den politischen Freiheitstendenzen des Zeitalters. Der mittelalterliche Zwang, aber auch die merkantilistischen Reglementierungs- und Privilegierungsmethoden sollten der freien Betätigung des wirtschaftenden Individuums weichen.

    Als das Königtum sich unfähig zeigte die Probleme zu meistern, übernahmen ab 1788 die revolutionären Kräfte die Initiative. Dabei verbanden sich trotz unterschiedlichster Zielsetzung die liberalen Träger des Aufklärungsgedankens aus Adel und Bürgertum mit dem städtischen Proletariat und den verarmten bäuerlichen Schichten zu jener Massenbewegung, deren jede Revolution bedarf.