Geschichte: Die soziale Unruhe der alten Schichten

    Aus WISSEN-digital.de


    Die Ablösung vom mittelalterlichen Weltbild und die gleichzeitige Verlagerung der Gewichte in der Struktur der Gesellschaft, hatten eine starke Beunruhigung der alten Schichten des Bauerntums, der Ritterschaft und des in Zünften organisierten Bürgertums zur Folge. Vielerlei Anlässe lösten Entladungen dieser Unruhe aus. Ebenso vielfältig waren die Tendenzen, die darin zum Ausdruck kamen. Wenn in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Frankreich die Pariser Zünfte unter Führung des Etienne Marcel rebellierten oder wenn unter Führung des Jacques Bonhomme die französischen Bauern (Jacquerie; 1358) sich erhoben, so wandten sich beide ebenso gegen wirtschaftliche Missstände wie gegen Herrschaftsansprüche des Königtums.


    Die englischen Bauernunruhen unter Wat Tyler (1381) waren gegen Feudallasten und Grundherrschaft gerichtet. Erstmalig wurden hier gleiches Recht und gleiche Freiheit für alle gefordert. 1493 kam es im Elsass erstmals zur Bewegung des "Bundschuh".

    Auf dem Kontinent zeigt die Hussitenbewegung das Zusammenfließen religiöser, sozialer, wirtschaftlicher und nationalistischer Tendenzen in einer Bewegung, die tschechische Bürger und Bauern in Opposition gegen die Herrschaft des deutschen Adels in Böhmen vereinte. Nach der Verbrennung des als Ketzer vom Konstanzer Konzil (1414-1418) verurteilten Johannes Hus (um 1370-1415 in Konstanz) führt dies zu jahrelangem Aufruhr in Böhmen (1419-1434), ja schließlich zu einer Gefährdung für den Bestand des Reichs.

    Starke soziale Kräfte wurden in den Bauernunruhen um 1500 und in den Bauernkriegen von 1524/25 lebendig - auch unter dem Eindruck der lutherischen Lehre, die in den Schriften des Reformators, z.B. An den christlichen Adel deutscher Nation und Von der Freiheit eines Christenmenschen formuliert war. Zugleich aber waren sie ein Abwehrkampf gegen wirtschaftliche und soziale Gefahren.

    Die Vermehrung der Edelmetallvorräte bei gleichbleibendem Sozialprodukt führte zur Geldentwertung, die den bäuerlichen Wohlstand bedrohte. Das römische Recht drang im Zuge der Ablösung der lehensstaatlichen Ordnung des Mittelalters ein und verschärfte durch seine Ordnung der Rechtsverhältnisse die persönliche Abhängigkeit der Bauern, engte ihre Freiheit ein. Die Herrn, deren Lebenshaltungsansprüche stiegen, erzwangen eine starke Erhöhung der Abgaben. Die Nutzung der "Allmende" (des gemeindlichen Besitzes) an Weide, Wald und Wasser wurde den Bauern meist gewaltsam verwehrt; ebenso blieben Jagd und Fischerei dem Adels- oder Landesherrn vorbehalten. Dazu stieg die Rechtsunsicherheit.

    Diese wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge trafen auch das deutsche Bürgertum und die Ritterschaft, soweit sie vom Landesherrn abhängig waren. Das macht ihr teilweises Zusammengehen mit den Bauern verständlich. Den kleinen Reichsritter bedrohten die kapitalistische Wirtschaftsentwicklung und der Fürstenstaat ebenso in seiner Existenz wie den Handwerker der Stadt, dem die mittelalterliche Zunftordnung bis dahin gerechte Preise und bürgerliches Auskommen gesichert hatte. Die kapitalistisch-monopolistische Wirtschaftsform hingegen gefährdete die soziale und wirtschaftliche Sicherheit der Handwerker.


    Von Land zu Land, innerhalb Deutschlands sogar von Landschaft zu Landschaft, war freilich die soziale und wirtschaftliche Lage sehr unterschiedlich; deshalb erreichte auch die Unruhe nicht überall die gleiche Intensität. Auch überwogen hier diese, dort wieder jene Motive, so dass sich kein einheitliches Bild der Ursachen und des Ablaufs ergibt. Die Gefahren der neuen Entwicklung wurden auch oft überschätzt; die Reaktion war daher vielfach stärker, als die Lage es gefordert hätte.

    Gemeinsam war aber allen diesen Bewegungen das tiefe Unbehagen angesichts der Auflösung der herkömmlichen sozialen und wirtschaftlichen Ordnung und ihrer religiösen Grundlage. Wo die Reaktion auf die Krise eine neue Ordnung anstrebte, entwickelte sich ein verklärendes Bild der Vergangenheit, beim Bauern etwa die Vorstellung einer Frühzeit ohne Adels- und Grundherrschaft, die in dem Spottvers zum Ausdruck kommt: "Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?" Es kam zu radikalen "Lösungen" der Probleme wie im kommunistischen Bauern- und Bergmannsstaat des thüringischen Theologen Thomas Müntzer (um 1490-1525) in Thüringen und Sachsen und bei den Wiedertäufern in Münster (1534/35). Religiöse, soziale und wirtschaftliche Forderungen bildeten in diesen Bewegungen ein untrennbares Ganzes.