Geschichte: Die Germanen und Rom

    Aus WISSEN-digital.de


    Die ungeheure Ausdehnung des Reiches, die unter Trajan mit der Errichtung der Provinzen Arabien, Armenien, Mesopotamien, Assyrien und Dakien (heute Rumänien) etwa im Jahr 115 ihren Höhepunkt erreicht hatte, konnte unter dem Druck der Germanen und des Neupersischen Reiches unter den Sassaniden (226-642) schon im 3. Jahrhundert nicht mehr gesichert und gehalten werden.


    In volle Bewegung kamen die Grenzen jedoch erst nach dem Vorstoß der Hunnen aus Innerasien nach Südrussland (375). Dort unterwarf sich dieses mongolisch-türkische Nomadenvolk die Ostgoten unter ihrem König Ermanarich, während die Westgoten, soweit sie zum Christentum übergetreten waren, im Imperium südlich der Donau Aufnahme fanden.

    Der Name "Germanen" wird erstmals von Poseidonios (ca. 90 v.Chr.) erwähnt, durch Cäsar fand er dann Eingang in die römische Literatur. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten hatten sie sich in Nordgermanen (Skandinavien und Dänemark), in Ostgermanen (Oder- und Weichselgebiet) und Westgermanen (zwischen Rhein, Elbe und Nordsee) aufgegliedert und in einzelnen Stämmen voneinander abgesondert, die sich später vor dem römischen Grenzwall zu größeren Kriegerbünden wieder zusammenfanden. Auf diese Weise entstanden z.B. die Alemannen und Franken am Nieder- und Oberrhein. Von den Ostgermanen drangen die Goten am weitesten nach Südosten vor, bis ans Schwarze Meer, wo sie dann der Stoß der Hunnen traf.

    Die Westgoten - eigentlich Wisigoten -, die sich dem Christentum geöffnet hatten (ihr Bischof Ulfilas übersetzte um 350 das Neue Testament ins Gotische), eroberten unter dem Heerkönig Alarich Italien und Rom (410), zogen aber unter seinem Nachfolger Athaulf nach Südfrankreich, wo sie ein Reich mit der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) gründeten. Ihr König Eurich (466-484) dehnte die Herrschaft auch auf Spanien aus.

    Im Norden und Westen war der Zusammenbruch der römischen Reichsverteidigung längst im Gange. Schon 166 begann der Markomannenvorstoß durch die Donaugrenze ins Voralpengebiet, begleitet von dem der Langobarden und Quaden, seit der Mitte des 3. Jahrhunderts drangen die Franken in Gallien ein. Einzelne germanische Scharen, Gefolgschaften unter Führung von Heerkönigen, fielen immer wieder auch in Norditalien ein. 406 aber durchbrachen Sueben, Alanen und Vandalen die Rheinlinie und zogen nach Gallien und Spanien weiter. Die Vandalen wiederum gingen 429 unter Geiserich über die Meerenge nach Afrika. 439 schon eroberte Geiserich Karthago, erhob es zur Hauptstadt und bedrohte nun Rom wie einst die Phöniker von der südlichen Flanke her.


    Im Jahr 413 hatten die Burgunder ein Reich mit Worms als Hauptstadt gegründet, das der weströmische Statthalter in Mittelgallien, Aetius, mit Hilfe der Hunnen 436 wieder vernichtete. In dieser Zeit erreichte der Hunnenstaat unter König Attila (dem Etzel der Nibelungensage, die auch den Untergang der Burgunder schildert) mit der ungarischen Tiefebene als Mittelpunkt seine größte Ausdehnung. Attilas Versuch, 451 durch die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (bei Troyes in Frankreich) auch die Herrschaft über Gallien zu gewinnen, wurde durch ein Bündnis der Westgoten, der Burgunder und fränkischer Teilstämme unter Führung des Aetius vereitelt.

    Bald nach Attilas Tod (453) löste sich sein Reich wieder auf, ohne bedeutsame geschichtliche Spuren zurückzulassen. Dadurch wurden auch die Ostgoten wieder frei, die unter Theoderich dem Großen (493-526), dem Überwinder Odoakers, ihr Reich in Italien errichteten, immer noch unter der Fiktion, dass der König als Statthalter des römischen Kaisers seine Macht ausübe. So blieben römisches Recht und Verwaltung in Kraft. Für seinen Stamm, dem ein Drittel des italischen Bodens als Besitz übereignet wurde, blieb Theoderich Heerkönig im germanischen Sinne. Er wollte auch eine Verschmelzung mit der italischen Bevölkerung durch Heiratsverbot und durch Wahrung des religiösen Gegensatzes zwischen ostgotischem Arianismus und italischem Katholizismus unter allen Umständen vermeiden. Um Rückhalt im germanischen Norden zu finden, erstrebte Theoderich ein Bündnissystem germanischer Reiche unter seiner Führung; er scheiterte jedoch an der Politik des Frankenkönigs Chlodwig, der zum Katholizismus übertrat, weil er den Einfluss der gallischen Kirche zur Sicherung seiner Macht über die einst römischen Untertanen seines Staates brauchte.

    Damit aber war der Untergang der germanischen Mittelmeerreiche besiegelt.


    Die vor allem auch auf dem Hintergrund des religiösen Gegensatzes zu verstehende Offensive der Oströmer unter Justinian (527-565) zerschlug zunächst das Vandalenreich in Nordafrika (Feldzug des Belisar) und danach das Ostgotenreich in Italien, das im Jahr 555 unter dem Statthalter Narses oströmische Provinz wurde. Nur in Oberitalien gelang den Langobarden eine Reichsbildung von längerer Dauer (568-774). Schließlich aber bezahlten alle germanischen Stämme, die in den Mittelmeerraum eingedrungen waren, ihre Loslösung aus dem Stammeszusammenhang der Germanen mit dem sprachlich-völkischen Aufgehen in der einheimischen Bevölkerung des einstigen Imperiums. In allen ihren Staatengründungen ergaben sich Schwierigkeiten, die aus dem Gegensatz zwischen germanischem "Genossenschaftsdenken" und dem Staatsapparat des römischen Erbes erwuchsen. Die Germanen wurden so nicht zu Erben des römischen Reiches, sondern es entwickelte sich eine neue germanisch-romanische Völkerwelt anstelle des westlichen Imperiums: die Staatenwelt des Abendlandes.