Geschichte: Das römische Kaisertum

    Aus WISSEN-digital.de


    Die Verfassung der Augusteischen Epoche war von der ingeniösen Staatskunst dieses Kaisers geprägt. Aber sie entsprach nicht den auf Dauer bestimmenden Kräften im römischen Weltreich. Trotz der auf Kontinuität des Machterhalts abzielenden inneren Politik des Kaisers fehlte am Ende doch eine echte Führungselite, aus der das Kaisertum sich weiter hätte erneuern können. Die Frage der Nachfolge blieb institutionell ungelöst, auch wenn sich auf dem Umweg von "Adoptionen" und gezielter Heiratspolitik das - römischer Tradition zuwiderlaufende - dynastische Denken immer wieder durchsetzte.


    Im Kräftespiel der politischen Machtfaktoren - Prinzeps, Senat und Ritterschaft, das Heer und die immer wichtiger werdenden außeritalischen Provinzen - verloren die "altrömischen" Traditionen der republikanischen Senats- und Volksherrschaft, aus denen sich das persönliche Regiment des Augustus ursprünglich legitimiert hatte, immer mehr an Wirksamkeit. So setzten sich in der späteren Kaiserzeit mit der Erstarkung der nichtitalischen Provinzen und der wachsenden Bedeutung dort stationierter Truppenführer auch hellenistisch-östliche Einflüsse immer mehr durch, und am Ende war aus dem augusteischen Prinzipat der orientalische, von einem "göttlichen" Herrscher mit absoluter Macht regierte Reichsstaat geworden, den schon Cäsar angestrebt hatte.

    Auf Augustus folgten zunächst die Kaiser des julisch-claudischen Geschlechts (d.h. die der "Dynastie" Cäsars und Augustus’ verwandtschaftlich angehörten): Tiberius, Caligula, Claudius, Nero. Aber keiner von ihnen erreichte einen im historischen Sinne mit Augustus vergleichbaren Rang. Mit dem Selbstmord Neros (68), dessen despotische Willkürherrschaft schließlich zur Revolte gallischer und hispanischer Provinzheere führte und in Rom selbst den Widerstand der Prätorianer und des Senats provozierte, erlosch das julisch-claudische Kaisertum. Aus den Wirren und Bürgerkriegskämpfen der Folgezeit (68/69 wurde zum so genannten "Vierkaiserjahr") ging schließlich, gestützt auf die Macht seiner Truppen, der zur Niederwerfung des jüdischen Aufstands (66) nach Palästina entsandte Titus Flavius Vespasianus als Sieger hervor. Er war der Kandidat der Legionen des Ostens und des Donauraums und wurde 69 auch vom Senat in Rom als Kaiser anerkannt. Mit seinen Söhnen Titus (79-81) und Domitian (81-96), deren Nachfolge er schon im Jahr seiner Berufung festlegte, bildet er die Reihe der drei flavischen Kaiser.

    Die bereits angedeutete Tendenz zur Zentralisierung der auf die Provinzialheere gestützten kaiserlichen Macht geht in diesen Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n.Chr. Hand in Hand mit der Aufwertung der Provinzen im Westen und Osten des Reiches und der weiteren Schwächung des römischen Senats, der durch Ernennung zahlreicher Nichtrömer zu Senatoren auch in seiner Zusammensetzung substanziell verändert wird. Diese inneren Konflikte zwischen Senatsaristokratie und kaiserlichem Absolutheitsanspruch führen im Falle Domitians schließlich zu dessen Ermordung und zur Wahl des altrömischen Senators Nerva zum Kaiser (96-98).


    Er leitet die Reihe der so genannten "Adoptivkaiser" ein: Sie beginnt mit dem spanischen Heerführer Trajan (98-117), dem ersten "Ausländer" auf dem Kaiserthron und findet in dessen Neffen, dem ebenfalls aus Spanien stammenden Hadrian (117-138), nochmals eine bedeutende Gestalt.

    Die Nachfolgefrage war seit Nerva in dem zur geltenden Verfassungspraxis gewordenen Grundsatz gelöst, dass der jeweils regierende Kaiser das Recht hatte, bei eigener Kinderlosigkeit einen auserkorenen Nachfolger zu adoptieren. Diese Form der Nachfolgeregelung blieb aber situationsbedingt und war nie, wie es die Aufeinanderfolge der fünf "Adoptivkaiser" nahe legen könnte, ein geltendes Prinzip des römischen Staatsrechts.

    Als seinen eigenen Nachfolger adoptierte Hadrian den gallischen Grundbesitzer Antoninus Pius (138-161), der schon zuvor Mitglied des kaiserlichen Rats war, mit der Auflage, dass jener schon jetzt seinen Neffen Mark Aurel, den späteren Kaiser (161-180), adoptieren müsse. Mit dessen Sohn Commodus (180-192), dem ersten "geborenen" Nachfolger auf dem Thron, endete die Epoche der Adoptivkaiser. Sein von schrankenlosen Ausschweifungen und prunkhafter Hofhaltung gekennzeichnetes Regiment mündete in einen aus Kreisen des Senats inspirierten verschwörerischen Mordanschlag.

    Sucht man nach einer generellen Charakterisierung des Römischen Reiches in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten, so lässt sich wohl trotz zahlreicher außenpolitischer Konflikte in den Grenzprovinzen von einer Periode der friedlichen inneren Konsolidierung und der äußeren Machtsicherung des Imperiums sprechen. Etwa 25 Millionen Menschen bewohnten die Länder des Reiches, eine sich immer weiter ausbildende innere Verwaltung schaffte (vor allem in den weitgehend autonomen Städten) administrative Instanzen und rechtliche Sicherheit für die römischen Bürger, Handel und Wandel entfalteten sich auf der Grundlage einer funktionierenden Verkehrserschließung der Mittelmeerwelt zu Land und zu Wasser. Die eher defensive außenpolitische Grundtendenz des Zeitalters schaffte sich im obergermanischen und rätischen Limes (errichtet als Grenzlinie gegen die germanischen Stämme im Norden unter Domitian, ausgebaut und befestigt unter Trajan und Hadrian) ein eindrucksvolles (und bis heute in archäologischen Zeugnissen nacherlebbares) Symbol dieser aus Kräften der Beharrung gespeisten Epoche.

    Indessen verbargen sich in den sozusagen genießerischen Lebensformen der römischen Zivilisation der Kaiserzeit auch schon die Keime ihres Niedergangs: Denn die Landwirtschaft, allezeit Hauptquelle römischen Wohlstands und inzwischen auch in den Provinzen Afrikas und des Westens (Spanien, Gallien) zu hohen Erträgen kultiviert, wurde in den Händen reicher Latifundienbesitzer oder Großbesitzer zur Basis einträglicher "Renten", indem sie nämlich das Land an Kleinpächter (Coloni) aufteilten, anstatt die Produktivität großflächiger Bewirtschaftung auszunutzen. Ähnliches gilt für Handwerk und Gewerbe - Bereiche, in denen Ansätze zu industrieähnlichen Unternehmensformen aus Mangel an Arbeitskräften (= Sklaven) wieder erloschen und die Kleinstruktur örtlicher Gewerbe bestimmend blieb.


    Die Ausprägung der römischen Gesellschaft als Sklavenhalter- und Klassengesellschaft freilich blieb von den Zeitläufen unberührt, wenngleich unter "humanen" Kaisern wie Hadrian die übelsten Exzesse römischer Grausamkeit (in den Gladiatorenspielen) und die Vorenthaltung jeglicher Rechte gegenüber den Sklaven zurückgedrängt wurden. So mussten längere Friedensperioden (wegen der knapper werdenden Sklaven, die als Arbeitskräftereservoir dienten) und äußere Bedrängnisse (die herandrängenden Nachbarvölker im Norden und Osten) schließlich zu einer krisenhaften Zuspitzung der Verhältnisse führen. Das ganze Gefüge des Römischen Reiches erwies sich schließlich als ein instabiler Koloss, dessen Einzelelemente in den krisenhaften Entwicklungen des 3. nachchristlichen Jahrhunderts sich zu verselbstständigen begannen und nicht mehr durch einen stabilisierenden zentralen Machtfaktor oder ein lebendiges Reichsbewusstsein zusammengehalten werden konnten.

    Der aus den Grenzprovinzen gespeiste, immer weiter angestiegene Machtzuwachs des römischen Heeres manifestierte sich in größter Deutlichkeit im Nachfolger des Commodus, dem aus Libyen stammenden General Septimius Severus (193-211), der die Dynastie der vier Severerkaiser begründete, die (mit seinen Nachfolgern Caracalla, Elagabal und Severus Alexander) bis 235 an der Macht blieb. In dieser Zeit vollzog sich die Wandlung des römischen Kaisertums zur orientalischen Militärdespotie, die in den nachfolgenden so genannten "Soldatenkaisern" ihre Fortsetzung fand, ehe mit Diokletian und Konstantin die Wende zur Spätantike eingeleitet wurde und damit das letzte Kapitel des Römischen Imperiums begann.

    Die Krisenperiode der Soldatenkaiser wird schon dadurch charakterisiert, dass im Zeitraum von fünfzig Jahren, zwischen 235 und 285, mehr als 20 Kaiser regierten, von denen nur ein einziger eines natürlichen Todes starb. Mit den permanenten Mehrfrontenkriegen gegen äußere Feinde und den Kämpfen der Thronanwärter gegeneinander im Inneren sind die politischen Faktoren der Reichskrise des 3. Jahrhunderts benannt; hinzu kommt ein wirtschaftlicher Niedergang schlimmster Art, Rückgang von Handel und Gewerbe, Verelendung des städtischen Proletariats, Absinken der Bauern in Hörigkeitsverhältnisse gegenüber den Grundbesitzern und ein partieller Rückfall in die Naturalwirtschaft. Erst unter Kaiser Diokletian (284-305) sollte zeitweise - auf gänzlich veränderten Grundlagen - eine neue Stabilität eintreten.

    Diokletian und Konstantin (306-337), die bedeutendsten Repräsentanten des römischen Kaisertums seit Augustus, kamen beide aus Illyrien (Jugoslawien). Unter ihrer Herrschaft wandelte sich das Prinzipat zum (von Theodor Mommsen so bezeichneten) "Dominat", einer Kaiserherrschaft mit absolutistischen Zügen. Zwangsstaatliche Maßnahmen beeinflussten auch das Wirtschaftsleben:

    Die freie wirtschaftliche Tätigkeit des Bürgers wurde abgelöst durch Dienstverpflichtung und staatliches Unternehmertum. Aus freien Berufsgenossenschaften wurden Zwangsverbände. Staatliche Waffenfabriken und Webereien, staatliche Bergwerke und Steinbrüche entstanden. Der Ausbau des Militärstraßennetzes und der großen Wasserversorgungsanlagen (Aquädukte) wurde mit Hilfe öffentlicher Arbeitsdienstverpflichtungen vorangetrieben.

    Doch auch diese staatswirtschaftlichen Maßnahmen konnten auf Dauer die Krise nicht beenden. Der Niedergang des städtischen Bürgertums und des italischen Mittelstandes setzte sich fort. Auch das Bauerntum Italiens zeigte sich der Konkurrenz der reichen Provinzen immer weniger gewachsen. Nur große Latifundienbetriebe konnten die Krise überstehen. Sie brachten die Reste des Kleinbauerntums in wirtschaftliche Abhängigkeit. Der Versuch vieler Kleinbauern, diesem Los durch Landflucht zu entgehen, wurde durch das Gesetz von 332 vereitelt, das sie an die Scholle band. So trat neben die Sklaverei die bäuerliche Hörigkeit.

    Ein anderes schweres Problem des Reiches war die immer stärker werdende germanische Unterwanderung. Germanen kamen als Söldner, als Sklaven aus den Kriegen mit den Grenzstämmen, aber auch als bäuerliche Hörige ins Reichsgebiet. Mark Aurel (161-180) förderte diese Entwicklung noch durch die Ansiedlung von germanischen Kolonen - bäuerliche, an die Scholle gebundene Erbpächter - in entvölkerten Landstrichen. Im Heer stiegen Germanen bis in die höchsten Offiziersstellen auf. Kaiser Theodosius I. tat 382 den letzten Schritt auf diesem Weg - er nahm einen geschlossenen germanischen Stamm, nämlich die Westgoten, als Föderaten ins Reichsgebiet auf und verpflichtete sie zur Reichsverteidigung. Im Westteil des Reiches führte diese Entwicklung zur germanischen "Machtergreifung" durch den Ostgermanen Odoaker und der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus im Jahr 476. In Ostrom kam es dagegen zur Ausschaltung der Germanen von der Staatsführung.

    Doch zurück zu den beiden großen Kaisern Diokletian und Konstantin.


    Mit Diokletian (284-305 n.Chr.) wurde der Kaiser zum Dominus, zum Herrn über Untertanen. Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, verwirklicht durch Edikte, gingen allein von ihm aus. Der Senat sank auf die Stufe eines rechtlosen Staatsrates hinab. Die Selbstverwaltung der Städte und Provinzen wurde beseitigt, Militär- und Zivilgewalt wurden in offenem Bruch mit der altrömischen Tradition streng getrennt. Ein besoldetes Staatsbeamtentum trat neben das Söldnertum und das Offizierskorps.

    Diokletian fühlte sich nicht nur als Dominus, sondern auch als Deus (Gott). Als Sinnbild seiner Gottesherrschaft trug er das orientalische Diadem. Der Kaiserkult wurde Reichsreligion. Gegen ihn erhob sich der Widerstand der wachsenden Christengemeinden. So kam es unter Diokletian zu einer großen Christenverfolgung. Die Unterdrückung der Christen hörte erst unter Konstantin auf, der 313 Glaubensfreiheit einräumte. 391 erhob dann Theodosius das Christentum in den Rang einer Reichsreligion.

    Diokletian hat auch - aus militärischen Erwägungen - jenen Schritt vollzogen, der die abendländische Geschichte bis tief ins Mittelalter hinein entscheidend mitbestimmen sollte: Er teilte das Reich in eine östliche und eine westliche Hälfte, allerdings unter Wahrung der ideellen Reichseinheit. Die Reichsteile wurden nunmehr von zwei Kaisern (Diokletian im Osten und Maximian im Westen) regiert; ihre Hauptstädte waren Nicomedia in Kleinasien und Mailand. Konstantin der Große (305-337) erzwang die Reichseinheit erneut, ohne freilich das Eigengewicht der beiden Teile ernstlich zu mindern. Byzanz, das den Namen Konstantinopel erhielt, wurde Hauptstadt des Ostens (330). Erst von 395 an bestand dann die tatsächliche und endgültige Teilung.


    Konstantin vollendete die Idee der Theokratie im Dominat. Die Person des Kaisers erscheint als heilig. Seine Aufgabe, als Kaiser Schutzgewalt auszuüben im Interesse der Armen, der Frauen, der Minderjährigen und der Sklaven, nahm der Herrscher sehr ernst, wie sich in einer Reihe von Edikten zeigt. Er fühlte sich berufen, als unumschränkter Herrscher die Welt im göttlichen Auftrag zu lenken.

    Im Rechtswesen kam es zu einschneidenden Veränderungen. Das Jus gentium, das Völkerrecht, trat neben das Jus civile des Zwölftafelgesetzes von 451 v.Chr. und ergänzte das Jus praetorium der Prätoren, eine Art Gewohnheitsrecht, das sich immer wieder geschmeidig dem Fluss der geschichtlichen Entwicklung angepasst hatte; die Kaiserzeit brachte es in bleibende Formen (Edictum perpetuum des Hadrian). Das Völkerrecht aber verwischte den Unterschied zwischen Bürger und Nichtbürger und wurde so zu einem starken Bindeglied der Reichseinheit. Weiterentwicklung und Auslegung des Rechts wurden in der Kaiserzeit zur Aufgabe der Rechtsgelehrten. Im Dominat aber wurden die Erlasse des Kaisers zur alleinigen Rechtsquelle. Justinian (527-565) krönte diese Entwicklung durch seine Sammlung früherer Gesetze und bedeutender Darstellungen von Rechtsgelehrten, das Corpus iuris civilis. Überall, wo römische Rechtstradition in der abendländischen Entwicklung nach- und weiterwirkte, spielte diese Sammlung eine grundlegende Rolle.