Vertreibung

    Aus WISSEN-digital.de

    die mit Drohung oder Gewalt bewirkte Aussiedlung der Bevölkerung (oft einer sprachlichen, ethnischen oder religiösen Minderheit) aus ihrer Heimat über die Grenzen des vertreibenden Staates hinweg.

    Geschichte

    Mit dem Nationalismus im 19. Jh. entstanden, resultierte aus den Bestrebungen, sprachliche und ethnische Übereinstimmung in einem Staatsgebiet herzustellen. Nach der Jahrhundertwende wurden die Fluchtbewegungen und Vertreibungen oftmals zu wahren Völkerwanderungen. Seit 1900 haben mehr als 150 Millionen Menschen unter Zwang ihre Heimat verlassen (Gründe: Grenzänderungen, Staatsteilungen, Änderungen des politischen Systems, Verfolgungen, Kriegshandlungen).

    Erste große Fluchtbewegung des Jahrhunderts nach den Balkankriegen 1912/13: 100 000 Türken wurden aus ihrer Heimat Makedonien und Thrakien vertrieben.

    Im Ersten Weltkrieg wurden durch Russland 150 000 russische Wolhynien-Deutsche ins Innere Russlands und durch die Deutschen 65 000 Belgier als Zwangsarbeiter nach Mitteldeutschland deportiert. Nach dem Ersten Weltkrieg flüchteten 1,5 Millionen Russen aus dem neu gebildeten Sowjetstaat, 200 000 Deutsche aus den an Polen abgetretenen Gebieten, 320 000 Armenier aus der Türkei, 1921 Einsetzung eines internationalen Flüchtlingskommissars (siehe Fridtjof Nansen). In einer völkerrechtlich sanktionierten Umtauschaktion wurden 1923 1,2 Millionen Griechen gezwungen, die Türkei zu verlassen, und 600 000 Türken, ihre Wohnsitze in Griechenland aufzugeben, 200 000 Bulgaren verloren ihre Heimat.

    Die Flüchtlingsnot setzte erneut 1933 ein; bis 1939 gelang es 400 000 Deutschen, aus dem nationalsozialistischen Deutschland, und 360 000 Spaniern, aus Franco-Spanien zu fliehen. Der Zweiten Weltkrieg begann mit der Evakuierung von 280 000 Polen aus dem Wartheland in das Generalgouvernement und der Einweisung von 200 000 Deutschen ins Wartheland. 1941 verschleppte die UdSSR die Krimtataren und Kalmücken, 400 000 Wolga- und 200 000 Schwarzmeerdeutsche nach Sibirien; die restlichen 200 000 Schwarzmeerdeutschen wurden von Hitler nach Polen umgesiedelt; im Verlauf des Krieges wurden 9 Millionen Zwangsarbeiter ("Fremdarbeiter") nach Deutschland verbracht. Bis 1943 wurden 75 000 Südtiroler ins "Großdeutsche Reich" übernommen.

    Nach dem Ende des Krieges (1947) übernahm die UNRRA, eine Unterorganisation der UN, die Internationale Refugée Organisation und 1951 der Hohe UN-Kommissar für Flüchtlinge einen Teil der Flüchtlingsbetreuung. Doch setzten gleich nach dem Kriegsende neue Vertreibungen und Fluchtbewegungen ein: Betroffen waren seit 1945 über 15 Millionen vor allem im Osten beheimatete Deutsche. Das Phänomen griff im Zuge der Entkolonisation auch auf Asien und Afrika über: In vielen jungen Staaten herrschten ethnische Gegensätze, die von den Kolonialverwaltungen ignoriert oder unterdrückt wurden, mit der Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit aber aufbrachen und oft genug mit dem Mittel der Vertreibung "gelöst" wurden und werden.