Geschichte: USA (Neuzeit)

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    Im 19. Jahrhundert erweiterte sich der Kreis der großen Mächte, die das Spiel der Weltpolitik jahrhundertelang in ihrem europäisch-abendländischen Kerngebiet betrieben hatten, um zwei in stetigem Aufstieg begriffene außereuropäische Partner: um die Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginn, um Japan gegen Ende des Jahrhunderts.


    Die USA erlebten nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitskrieg von 1776 bis 1783 eine Periode der mühseligen inneren Aufbauarbeit und der Festigung im Zeichen des Föderalismus unter George Washington (Präsident 1789-1797) und unter Alexander Hamilton, der durch sein Programm zur Entwicklung von Industrie, Handel und Finanzen die Macht des amerikanischen Kapitalismus begründen half. Die Wogen der Französischen Revolution erreichten auch die Gestade der USA. Die kaum verdeckten Hassgefühle gegen England lebten wieder auf. Starke Kräfte im Lande setzten sich für einen Krieg gegen die Weltmacht England an der Seite Frankreichs ein. Aber die Ruhe und Nüchternheit George Washingtons verhinderten diesen Schritt. Auch Thomas Jefferson (Präsident 1801-1809), der vom Ideengut der Französischen Revolution ebenso stark geprägt war wie von den politischen Realitäten der eigenen Geschichte, blieb dieser Linie treu. Er erweiterte 1803 durch den Kauf von Louisiana das Staatsgebiet und setzte die politische Linie seiner Vorgänger durch eiserne Sparsamkeit und Klarheit des Regierens erfolgreich fort. Die napoleonischen Kriege brachten dem Handel der neutralen USA zunächst gewaltigen Auftrieb. So wurden die USA zum erstenmal in der Geschichte zum "Kriegsgewinnler" der europäischen Auseinandersetzungen.

    Bereits unter Jefferson begann "The Winning of the West", die Ausdehnung in das Innere des Kontinents durch Binnensiedlung und europäische Einwanderung, als deren Folge eine Vielzahl neuer Einzelstaaten entstanden.


    In jener Epoche bildeten sich auch die beiden Parteiströmungen der konservativen Föderalisten und der demokratischen Republikaner heraus. Diese innerpolitische Frontbildung zwischen den Befürwortern einer starken Zentralgewalt und den Verfechtern einzelstaatlicher Selbstständigkeit hatte sich durch die Auseinandersetzung um die Frage des Eingreifens in die Revolutionskriege verfestigt. Aber schon in Jeffersons Abkehr vom Interventionsstandpunkt seiner Partei zugunsten einer nüchternen Wahrnehmung territorialer und wirtschaftlicher Interessen zeigte sich die wachsende Stärke realpolitischer Gedankengänge in der Staatsführung der jungen Macht. Durch die als Antwort auf die französische Kontinentalsperre verhängte Seeblockade, die den amerikanischen Handel schwer beeinträchtigte, verschlechterten sich die Beziehungen der USA zu Großbritannien bis zum offenen Krieg von 1812. Dabei erwies sich das Kriegsziel der USA - die Eroberung Kanadas - als unerreichbar. Weder zeigten sich die amerikanischen Streitkräfte den britischen gewachsen - 1814 brannten englische Grenadiere die Hauptstadt Washington nieder -, noch waren die Kanadier bereit zum Abfall vom Mutterland. So endete die Auseinandersetzung im Friedensschluss von Gent (1814) mit dem Status quo ante.

    Der Vertrag, ergänzt durch abschließende Vereinbarungen von 1842, brachte die endgültige Stabilisierung an der Nordgrenze der USA und wurde zur Grundlage der späteren angelsächsischen Zusammenarbeit im weltpolitischen Rahmen.

    1817 hatte James Monroe den Präsidentenstuhl eingenommen. Seine Außenpolitik führte auf breiter demokratischer Grundlage Republikaner und Föderalisten zusammen in dem Bestreben, einen klaren Abstand zur europäischen Reaktion zu halten. Das Interesse an dem spanischen Besitz im Süden, vor allem an Florida, ging damit Hand in Hand.


    Florida wurde durch Kauf erworben, nachdem die Madrider Regierung angesichts der wachsenden englisch-amerikanischen Entspannung hatte einsehen müssen, dass man in London zugunsten der spanischen Interessen keinen Finger rühren würde. Als die Heilige Allianz französische Truppen mit der Niederwerfung des Liberalenaufstandes in Spanien beauftragte und eine Fortsetzung dieser Intervention auch in den spanischen Kolonien zu befürchten war, verkündete Monroe am 2. Dezember 1823 die nach ihm benannte, berühmte Doktrin, "dass die amerikanischen Kontinente infolge des freien und unabhängigen Standes, den sie angenommen haben und behaupten, hinfort nicht als Gegenstände künftiger Kolonisation durch irgendwelche europäischen Mächte zu betrachten sind". Realpolitisches Interesse und amerikanische Freiheitslehre wurden untrennbar miteinander verknüpft.

    Das innere Wachstum der USA setzte sich kraftvoll fort. Eine Welle des integrierenden Nationalgefühls ging auch durch die amerikanische Bevölkerung, die Entwicklung eines historisch-nationalen Bewusstseins, das auch die indianischen Wurzeln mit einbezog, war die Folge. In den Werken von Washington Irving, J. F. Cooper und James Paulding fand es seinen Ausdruck. Kunst und Geschichtsschreibung widmeten sich dem großen Thema des Unabhängigkeitskrieges.

    Die nationalistische Tendenz kam am deutlichsten in der Wirtschaftspolitik zum Ausdruck. Es bildete sich das "amerikanische System" heraus, das die Vollendung der staatlichen Wirtschaftseinheit und damit die Überwindung von Gruppen- und Gebietsinteressen zum Ziel hatte. Schutzzoll (1816), Nationalbank (1817), Straßen- und Kanalbauprogramm waren die Hebel, die von der Regierung angesetzt wurden. Der Nationalwirtschaft, die der kolonialistischen und merkantilen Struktur ein Ende bereiten sollte, wurde durch Friedrich Lists und Henry Careys Schriften über die amerikanische Volkswirtschaft (1827 und 1838/40) zum endgültigen Durchbruch verholfen. Ein geradezu unvorstellbares Wachstum von Handel und Industrie in Verbindung mit einer beträchtlichen territorialen Ausdehnung (Annexion von Texas, Erwerb New Mexicos und Kaliforniens nach dem Sieg über Mexiko im so genannten Texas-Krieg 1846-48) war die Folge.

    Damit aber erwuchsen schon seit etwa 1820 neue innere Probleme. Der Gegensatz zwischen dem freihändlerischen, sklavenhaltenden, agrarischen Süden der Baumwoll- und Tabakpflanzeraristokratie und dem industriellen, seinen Handel mit Schutzzöllen sichernden und die Sklaverei bekämpfenden Norden wurde immer fühlbarer.


    Die innerpolitische Struktur der USA kam mit dieser Entwicklung gleichfalls in Bewegung. Es bildete sich eine neue Partei der Republikaner, die mit der Wahl Lincolns im November 1860 an die Macht kam und die entschlossen war, die Union gegen die Sonderinteressen des Südens auch mit Gewalt zu verteidigen.

    Die Wahl Abraham Lincolns setzte das Zeichen zum Kampf zwischen Nord und Süd, zum so genannten Sezessionskrieg (1861-1865). Alle inzwischen von der technisch-industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung neu geschaffenen Möglichkeiten wurden in diesem ersten modernen Krieg genutzt; Eisenbahn, Telegraphie und Massenheere spielten eine wichtige Rolle. Nach großen Anfangserfolgen der tapfer kämpfenden und besser geführten Konföderiertenarmee siegte schließlich der Norden durch überlegene Volkszahl, Wirtschaftskraft und Seeherrschaft. Verfassungszusätze (1865/66/69) verboten endgültig die Sklaverei, sicherten den Schwarzen die Bürgerrechte und das Wahlrecht. Die Ermordung des Präsidenten Lincoln (April 1865) öffnete freilich der Willkür einer korrupten Siegerpartei Tür und Tor.

    Beruhigung brachte erst die zweite Jahrhunderthälfte, zugleich kam es zu einem unerhörten wirtschaftlichen Expansionsprozess, der nicht zuletzt durch die Masseneinwanderung aus Europa ausgelöst wurde. Sie ermöglichte die Erschließung des fernen Westens als Viehzucht- und Getreideanbauland. Der verzweifelte Widerstand der Indianer wurde militärisch gebrochen (unter anderem Massaker von Wounded Knee), die Überlebenden in Reservate abgeschoben. Im Osten begann ein steiler Aufstieg der Montan- und Schwerindustrie, des Handels und des Bankwesens.

    So wurden die USA gegen Ende des Jahrhunderts zu einer führenden kapitalistisch-industriellen Wirtschaftsmacht, für die sowohl die Zusammenballung ungeheurer Vermögen in den Händen weniger als auch der stetig steigende Lebensstandard der breiten Masse charakteristisch war. Die politische Demokratie dehnte sich auf das Feld der Wirtschaft aus und ermöglichte ein erfolgreiches Anpacken sozialer Probleme. Trotz gelegentlich auch blutiger Zusammenstöße zwischen Unternehmerschicht und Arbeitern nahmen die sozialen Kämpfe nie Ausmaß und Schärfe europäischer Verhältnisse an. 1886 wurde die große amerikanische Gewerkschaftsbewegung der American Federation of Labor gegründet. Die Fortschritte bei der Lösung der sozialen Frage brachten auch die Parteipolitik in Bewegung. Die gewaltige Einwanderung und das damit verbundene Wachstum der Bevölkerung trugen darüber hinaus dazu bei, die Gegensätze zwischen dem konservativ-demokratischen Süden und dem kapitalistisch-republikanischen Norden zu vermindern.

    Die seit 1891 (Aufhebung des Heimstätten-Gesetzes) betriebene imperialistische Politik wurde anfangs noch moralisch kaschiert und blieb weitgehend auf wirtschaftliche Mittel (Dollarimperialismus) beschränkt; unter Theodore Roosevelt (1901-09) setzte der Übergang zur so genannten Big-Stick-Politik ein.

    Militärische Interventionen, die Schaffung eines Finanzprotektorats über Mittel- und Südamerika, Flottenaufrüstungen und der Bau des Panamakanals bestimmten seine Zeit.


    Unter seiner Führung begann zugleich die Zügelung des Hochkapitalismus durch Antitrustgesetze. Staatliche Kontrollmaßnahmen versuchten die Auswüchse der privatkapitalistischen Unternehmertätigkeit vor allem beim Abbau der Bodenschätze einzudämmen. Einem Rückschlag unter Präsident Taft (1909-1913) folgte ein um so stärkerer Ausschlag des Pendels nach der demokratischen Seite hin, als der Staatsrechtler und Historiker Woodrow Wilson auf den Präsidentenstuhl kam (1913-1921). In der Außenpolitik knüpfte er freilich an seine Vorgänger an. Die Stellung im Pazifischen Ozean - nicht zuletzt durch die Eroberung der Philippinen gestärkt - war durch die Annäherung an England und den Ausgleich mit Japan von 1908 konsequent ausgebaut worden. Die USA zogen in Europa die Konsequenzen: Sie stellten sich in Marokko auf die Seite der Alliierten und entschieden sich gegen Deutschland. Freiheit der Meere und Politik der offenen Tür waren die Parolen, die auch hier gegenüber Deutschland vorgebracht wurden und jene für die USA typische Vermischung handfester Interessenpolitik mit liberalen Proklamationen erkennen ließen.

    Der Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg (1917) gegen die Mittelmächte, durch die Gespaltenheit der öffentlichen Meinung hinausgezögert, lag ganz auf dieser politischen Linie der Vorkriegszeit. Der Druck der industriellen und landwirtschaftlichen Überproduktion, der in den Vorkriegsjahren so schwer auf den USA gelastet hatte, verschwand im Laufe des Ersten Weltkrieges in zunehmendem Maße, als die USA zum Lieferanten der Krieg führenden Alliierten wurden. Von etwa 40 Millionen Dollar im Jahr 1914 stieg der Wert der nordamerikanischen Ausfuhr 1915 auf 210 Millionen und 1916 auf 1,29 Milliarden. 1915 betrugen die englisch-französischen Schulden in den USA bereits 500 Millionen Dollar. Diese wirtschaftlichen Tatsachen gewannen mehr und mehr an Gewicht. Sie waren zwar nicht das einzige, vielleicht nicht einmal das ausschlaggebende, aber ein höchst bedeutsames Motiv für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg im Jahr 1917. Im uneingeschränkten deutschen U-Boot-Krieg fanden die interessierten Kreise auch gegenüber der öffentlichen Meinung die Legitimation zum Kriegseintritt.