Geschichte: Reform und Befreiung

    Aus WISSEN-digital.de


    Durch die Deutsche Bewegung in Österreich, in der Reichsgraf Johann Philipp Stadion und sein Bruder Friedrich Lothar liberale, nationale und konservativ-österreichische Gedanken verbanden, wurde der nationale Widerstandswille gegen die napoleonische Fremdherrschaft geweckt.

    Erstmals gewann die Presse mit ihrer propagandistischen Wirkung tatsächlichen Einfluss. Erzherzog Karl und Erzherzog Johann modernisierten mit Hilfe der Generäle Karl Philipp zu Schwarzenberg und Josef Wenzel von Radetzky das Heer. Reservebataillone wurden geschaffen. Sie stellten eine Konzession an die liberalen und nationalen Vorstellungen eines Volksheeres dar. Ausgesprochen national und liberal war die von Johann eingerichtete Landwehr.

    Zu tief greifenden Veränderungen kam es in Preußen. Nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt und dem folgenden Zusammenbruch steigerte sich die Kritik leitender Beamter am friderizianischen Staatssystem. Sie propagierten eine "Revolution von oben", die Weckung von Selbsttätigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Bürgersinn als Voraussetzung für die Abschüttelung der französischen Fremdherrschaft. Die Männer der Reform, allen voran Stein, aber auch Hardenberg, Humboldt, Scharnhorst und Gneisenau erkannten: nicht stummer Gehorsam, sondern nur tätige Mitarbeit konnte Preußen retten. Karl vom und zum Steins (1757-1831) liberale Auffassungen wurzelten nicht in der Aufklärung obwohl er von dem Vorbild der französischen Revolutionsverfassungen und von der französischen Staatsidee (Montesquieu) beeinflusst war. Die eigentlichen Grundlagen seiner Vorstellungen über Selbstverwaltung lagen im ständischen Denken des Reichsritters und im Vorbild des germanischen Genossenschaftsrechts, wie er es in der westfälischen Überlieferung (er war in der Verwaltung Westfalen tätig) kennen gelernt hatte. Auch der Volkstumsgedanke Herders und die Ideenwelt des Engländers Burke waren ihm vertraut.

    Steins politische Ideen fanden ihren Niederschlag in dem Edikt zur Bauernbefreiung (1807, Aufhebung der Erbuntertänigkeit, Garantie der Freiheit der Person, des Besitzes, des Berufes und der Rechtsgleichheit) und der Städteordnung von 1808, die den Gemeinden Selbstverwaltung auf den Gebieten des Finanz- und Steuerwesens, der Schule, der Polizei und der Armenbetreuung brachte. Nunmehr wählten die Bürger ihre Stadtverordneten, diese wieder den Magistrat, die eigentliche Stadtregierung. Noch im gleichen Jahr folgte das Edikt über die Neuordnung und Vereinheitlichung der Staatsbehörden. Ein Ministerium (statt Generaldirektorium) mit 5 Abteilungen (Ressorts) als Grundlage der späteren selbstverantwortlichen Fachministerien wurde gebildet; das Gesamtstaatsgebiet wurde in drei Provinzen mit Regierungsbezirken als Untergliederungen eingeteilt.


    Durch die Verselbstständigung von Justiz und Verwaltung, die vorher verbunden waren, erreichte Stein eine Art Gewaltentrennung. Die Bildung einer Volksvertretung wurde durch den Sturz Steins (24. November 1808) nicht mehr verwirklicht; überhaupt ist sein Werk größtenteils Programm geblieben. Zur echten Bauernbefreiung kam es erst nach 1867. Die Fortsetzung der Reformen durch Karl August Freiherr von Hardenberg (1750-1822), den Nachfolger Steins, geschah in betont westlich-liberalem Sinne und unter Bevorzugung städtisch-bürgerlicher Interessen (1810 Edikt über Finanzen, 1811 Gewerbefreiheit, 1812 Emanzipation der Juden, 1812 Schaffung der Gendarmerie).

    Wilhelm von Humboldt und Hardenberg betrieben eine Bildungsreform in neuhumanistischem Geist. 1810 wurde die Berliner Universität als eine Stätte "akademischer Freiheit" und der "Einheit des Forschens, Lehrens und Lernens" gegründet; zwei Jahre später eine staatliche Gymnasialordnung erlassen und die Volksschule im Sinne Pestalozzis reformiert.


    Auch in Preußen kam es schließlich (wie in Österreich) zur Heeresreform durch Scharnhorst unter Mitwirkung von Gneisenau, Boyen, Clausewitz und Grolman. Gerhard Johann David von Scharnhorst (1755-1813) stammte aus Hannover; seit 1801 stand er in preußischen Diensten. Vor 1805 hatte man auf seine Ratschläge nicht gehört, ab 1807 aber wurde er vom König an die Spitze einer "Militärkommission" berufen. Sein Programm war die Modernisierung des Heeres, die Abschaffung der Prügelstrafe, die Zulassung Bürgerlicher zur Offizierslaufbahn und die Einführung der kurzfristigen Rekrutenausbildung zur Gewinnung größerer Reserven. Sein Ziel, das Volksheer mit der Gliederung in Linie, Landwehr und Landsturm, konnte jedoch erst nach der russischen Katastrophe Napoleons I. verwirklicht werden.