Geschichte: England und die europäischen Mächte in der Neuzeit

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    Mit Napoleons Staatsstreich war die innere revolutionäre Entwicklung abgeschlossen. Die außenpolitischen Fragen blieben jedoch ungelöst. Nach dem unglücklichen Feldzug in Ägypten (1798/99), in dessen Verlauf der britische Admiral Horatio Nelson die französische Flotte im Mittelmeer (Abukir) vernichtete, kam es 1799 zum Zweiten Koalitionskrieg gegen Frankreich.

    Nach anfänglichen Erfolgen der österreichisch-russischen Truppen (Erzherzog Karl und General Suworow) siegte Napoleon nach seiner Rückkehr aus Ägypten bei Marengo und Hohenlinden. Im Frieden von Lunéville zwischen Österreich und Frankreich (1801) wurden die Campo Formio-Bedingungen bestätigt. 1802 schloss Napoleon I. mit England nach der Räumung Ägyptens den Frieden von Amiens. Großbritannien verzichtete bis auf Trinidad und Ceylon auf seine überseeischen Eroberungen. Neue Spannungen ergaben sich aus Versuchen zur Erneuerung des französischen Kolonialreiches und der Besetzung Hannovers.


    Napoleons Vorbereitungen zur Invasion in England führen zum Dritten Koalitionskrieg. Bei Trafalgar vernichtete Nelson 1805 die spanisch-französische Flotte und sicherte damit die britische Seeherrschaft. Napoleon erreichte 1805 die Kapitulation der österreichischen Armee bei Ulm und nach der Niederlage der österreichisch-russischen Streitkräfte bei Austerlitz auch den Abzug der Russen. Im Frieden von Preßburg (1805) mit Österreich kamen Tirol, Vorarlberg und Lindau an Bayern, das Bodenseegebiet an Baden, Oberschwaben an Württemberg und Venetien an Italien. Bayern und Württemberg wurden Königreiche, Baden Großherzogtum. Damit wurde die "Napoleonische Flurbereinigung" in Deutschland abgeschlossen, die 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss des Reichstags durch die Aufhebung der geistlichen und der kleineren weltlichen Fürstentümer begonnen worden war. Habsburgs Vormacht in Deutschland war vernichtet.

    Den Kampf gegen England setzte Napoleon durch die Kontinentalsperre mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges fort, indem er die Ein- und Ausfuhr von Wirtschaftsgütern von und nach England unterband. Die deutschen Mittelstaaten schlossen mit Napoleon den so genannten Rheinbund und vergrößerten sich 1806 mit seinem Einverständnis durch die Einverleibung kleinerer weltlicher Fürstentümer. Unter dem Druck eines Ultimatums Napoleons musste Franz II. die deutsche Kaiserkrone niederlegen.

    Damit endet die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. 1806/07 griff Napoleon I. das bisher neutrale Preußen an (Vierter Koalitionskrieg), das sich 1805 mit Russland verbündet hatte.

    In den Schlachten von Jena und Auerstedt gelang ihm die Vernichtung der preußischen Armee (1806); in Ostpreußen siegte er über russisch-preußische Truppen. 1807 diktierte Napoleon dem besiegten Preußen den Unterwerfungsfrieden von Tilsit und erreichte einen Ausgleich mit Russland. Preußen musste seine Besitzungen westlich der Elbe abtreten und verlor die meisten der nach 1772 von Polen gewonnenen Gebiete an das neu gegründete Herzogtum Warschau. Damit war Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Russland aber gewann türkische (Bessarabien und die Donaumündung) und schwedische Gebiete (Finnland) als Gegenleistung.

    Vergeblich blieben Aufstände gegen die französische Besatzung in Hessen (Dörnberg), Preußen (Schul), Tirol (Hofer), Österreich (Erzherzog Karl) und Spanien. Doch nach Erzherzog Karls Sieg bei Aspern 1809 - der ersten Niederlage Napoleons - lebte die nationale Bewegung in Deutschland wie- der auf, ja in dieser Stunde wurde der Freiheitswille im Lande überhaupt erst lebendig. Eine neue Epoche der deutschen Geschichte hatte begonnen.

    1812 brach der französisch-russische Krieg aus. Napoleons Annexion der deutschen Nordseeküste und Hollands, seine Forderung an Russland, sich der Kontinentalsperre anzuschließen, aber auch das wachsende Misstrauen Russlands gegenüber der Macht Frankreichs waren die Ursachen. Ein russisch-englisch-schwedisches Bündnis gegen Frankreich kam zustande. Napoleons Niederlage im russischen Feldzug (1812) löste die Befreiungskriege aus (1813/14), deren entscheidende Wende die Völkerschlacht bei Leipzig (16.-18. Oktober 1813) brachte. Napoleon unterlag den preußisch-russisch-österreichischen Truppen, die Rheinbundstaaten fielen von ihm ab. 1814 folgte der siegreiche Frankreichfeldzug der Alliierten; Napoleon wurde zur Abdankung und zum Rückzug auf die ihm als Besitz zugesprochene Insel Elba gezwungen. Auch das Abenteuer der "Hundert Tage" (1815) des aus Elba zurückgekehrten Napoleon konnte seine Stellung nicht mehr retten.


    Der Wiener Kongress brachte schließlich 1815 die Wiederherstellung der alten Mächtekonstellation auf dem Kontinent. Frankreich wurde auf den Besitzstand von 1792 festgelegt, wobei die außenpolitische Kunst Talleyrands die Rivalität der Alliierten geschickt zugunsten Frankreichs ausnutzte. Russland erhielt Polen außer Posen, Preußen dagegen Westpreußen und Posen, Teile Sachsens, Vorpommern (vorher schwedisch), Westfalen und das Rheinland. Schweden erhielt Norwegen, Österreich die Lombardei und Venetien, Holland und Belgien wurden zum Königreich der Vereinigten Niederlande zusammengeschlossen. England aber war der eigentliche Gewinner des Kampfes: Malta, Ceylon und das Kapland blieben ihm als Besitz. Die Niederwerfung des stärksten Kontinentalstaates hatte England schwer erschütterte Stellung als führende Weltmacht erneut gesichert.

    Wie im Dreißigjährigen Krieg gab es auch in diesen Kämpfen eine Wandlung der Kriegsziele und -motive. Die Festlandskriege der französischen Revolutionszeit begannen als Zusammenstoß des revolutionären Frankreich mit den alten konservativen Mächten, die auf die Erhaltung der absolutistischen Staatsform bedacht waren. Bald aber wurden sie durch Englands Eingreifen zur machtpolitischen Auseinandersetzung um die Führung in Europa. Napoleon I. erstrebte ein geeintes Europa unter Frankreichs Vorherrschaft, wobei er das Bürgertum durch Beibehaltung revolutionärer Errungenschaften - man denke an den Code Civil und seine Wirkung im linksrheinischen Deutschland - zu gewinnen hoffte. Durch Schonung der europäischen Dynastien und durch Heirat (Marie-Louise von Österreich) wollte er die Festlandsmächte an sich binden. Mit Russland suchte er einen Ausgleich dadurch, dass er die russischen Expansionsgelüste im Ostseeraum und in Richtung auf das Mittelmeer unterstützte. Sein Hauptgegner blieb England, das in einem geeinten Europa den gefährlichsten Feind seiner Kolonial- und Seemachtstellung sah, ganz im Sinne der oranischen Balance of Power-Politik. Als Seemacht gelang es England, Napoleon auf dem Kontinent zu isolieren. Das Mittel des Wirtschaftskrieges aber gewann keine entscheidende Wirkung, weil die zweite kontinentale Randmacht, Russland, nicht mitspielte. So zeigte sich die Überlegenheit der führenden Seemacht gegenüber jeder kleineuropäischen Koalition.

    Wenn je das Charakterbild einer großen Gestalt der Weltgeschichte umstritten geblieben ist, dann sicherlich das Napoleons I. Weder Zeitgenossen noch Nachfahren, ja nicht einmal die unbeteiligten wissenschaftlichen Kritiker späterer Zeiten konnten sich auf eine übereinstimmende Beurteilung des großen Korsen einigen. Zu viel Gegensätzliches ist in seinem Wesen lebendig: Leidenschaft und kältester Intellekt, Instinktsicherheit und nüchternste Berechnung, eiskalte Brutalität und sentimentale Gefühlsseligkeit stehen krass nebeneinander. Erstaunlich bleibt, wie er ein ihm innerlich fremdes, dazu extrem widersprüchliches geschichtliches Erbe - die nationalen Überlieferungen Frankreichs und den Auftrag der Revolution - in seinem politischen Handeln repräsentierte, indem er als Überwinder wie als Vollstrecker der Revolution tief in die europäische Geschichte eingriff.