Geschichte: Der Kampf gegen die Vormacht Frankreichs

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    Ludwig XIV., der Sonnenkönig (1661-1715), vollendete den von Richelieu und Mazarin vorbereiteten absolutistischen Staat. Seine Auffassung des Königtums wurde im Jugendalter durch den Einfluss seiner Mutter und des Kardinals Mazarin geprägt. Sie erzogen ihn in der spanisch-katholischen, universalistischen Vorstellung von der Würde und Heiligkeit des Herrschers (Gotteskönigtum). 1660 vermählte man den Thronfolger mit Maria Theresia von Spanien, der ältesten Tochter Philipps IV., was zu einer weiteren Verfestigung seines absolutistischen Selbstverständnisses führte. In Haltung, Gesinnung und Hofetikette, ja im gesamten architektonischen und kulturellen Rahmen, den der König sich in Versailles schuf, kam diese Haltung zum Ausdruck.

    Die zeitgenössischen, aber auch die späteren politischen und religiösen Gegner des Königs, die Hugenotten und die Revolutionäre von 1789, haben ein Zerrbild Ludwigs als eines maßlosen, persönlicher Willkür folgenden Despoten entworfen und ihm das nie ausgesprochene Wort "l'etat c'est moi" zugeschrieben.

    Ludwig aber war von starken religiösen und sittlichen Bindungen getragen, er glaubte, mit seiner Politik Volk und Staat würdig und gerecht zu dienen, wobei er weniger an persönlichen Ruhm oder Reichtum dachte. Aber auch die zeitgenössischen und späteren Lobredner haben den König verkannt, sein Bild bewusst verzeichnet. Viele der ihm zugeschobenen Erfolge waren seinen Mitarbeitern zu verdanken, so auf dem Gebiet des Heereswesens Le Tellier und Louvois, in der Außenpolitik de Lionne und Pomponne, im Finanzwesen, der Wirtschaft und dem Bereich der Flotte dem Minister Colbert. Diese sachkundigen Berater des Königs, die im Grunde die Funktion von Fachministern ausübten, verstanden es zumeist, ihre Ideen in den Kabinettsberatungen dem König so annehmbar zu machen, dass er sich schließlich damit identifizierte und später der Meinung war, sie seien von ihm selbst ausgegangen.


    Was Ludwig mangelte, war die Urteilskraft, vor allem der selbstkritische Blick. So widersetzte er sich den Reformvorschlägen des genialen Colbert - zum Schaden einer organischen Fortentwicklung des absolutistischen Systems. Auch die großen schöpferischen Wirtschaftspläne des Ministers blieben zum größten Teil Programm; freilich versagten sich Colbert auch das wenig wagemutige Besitzbürgertum und der Adel, die zu sehr auf wirtschaftliche Sicherheit bedacht waren.

    Als unter Ludwig XIV. die letzten Reste provinzieller und städtischer politischer Selbstständigkeit beseitigt wurden, war das Zeitalter des Ständestaats mittelalterlicher Herkunft in Frankreich zu Ende. Es gehört zu den inneren Widersprüchen des absolutistischen Systems, dass das ständische System als Sozial- und Wirtschaftsordnung dennoch in ihm weiterbestand, sich sogar noch festigte. In der sozialen Rangordnung führte der geistliche und weltliche Adel. Festgelegte Umgangs- und Lebensformen zeichneten diese wirtschaftlich und sozial privilegierte, aber politisch machtlose Schicht aus. Ihr fühlte sich auch Ludwig sozial zugehörig, im Sinn eines "Ersten unter Gleichen".

    Die Kirche wurde eine der tragenden Säulen des Staates. Sie betonte das Gottesgnadentum des Herrschers und forderte ihm gegenüber ebenso Gehorsam wie gegenüber Hierarchie und Dogma. Damit verbunden war die Herausbildung des gallikanischen Kirchensystems, einer staatshörigen, zu Rom nur in losem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Nationalkirche, die abweichende Lehren mit Hilfe des Staats unterdrückte. Wirtschaftlich waren geistlicher und weltlicher Adel durch fast völlige Steuerfreiheit in höchstem Maße bevorzugt, riesiger Grundbesitz mit weitgehenden Rechten gegenüber den bäuerlichen Hintersassen war Grundlage ihrer wirtschaftlichen Macht. Dem weltlichen Adel bot sich außerdem die Offizierslaufbahn im stehenden Heer, die ihm als Privileg zustand. Schließlich gab es für den Adel das Leben am Hof.

    Den wirtschaftlich produktivsten Stand bildete das Bürgertum. Dieses hatte unter Colberts merkantilistischer Politik die Grundlagen seiner Betätigung in Gewerbe, Handel und Manufaktur gefunden und kam wirtschaftlich vorwärts.

    Eine vermögende Oberschicht (Kaufleute, Bankiers, "Industrielle") war im Wesentlichen steuerfrei und konnte durch Ämterkauf zum (Dienst-)Adel (Noblesse de robe) aufsteigen. Die große Masse der Bürger, der niedere Klerus und die Bauern wurden als dritter Stand (tiers etat) zusammengefasst. Sie trugen die größte Steuerlast, insbesondere die empfindliche Verbrauchersteuer. Politische Rechte besaßen sie nicht.

    Am schlechtesten war die wirtschaftliche Lage der Bauern. Ihnen widmete die staatliche Wirtschaftspolitik nur insoweit Interesse, als sie zu Rohstofflieferanten der Manufaktur werden konnten, wie das Beispiel der Seidenraupenzucht zeigt. Die eigentliche landwirtschaftliche Erzeugung war in Methoden und Ergebnissen kaum über mittelalterliche Verhältnisse hinausgekommen. Sie wurde jedoch mit immensen Abgaben belastet, die durch königliche Steuerpächter rücksichtslos eingetrieben wurden. Viel zu hoch war die "Taille", die Grundsteuer. Das starre Festhalten der Regierung an ihr und den Methoden ihrer Eintreibung war ein Hauptgrund für die spontane Beteiligung des an sich konservativen französischen Bauerntums an den revolutionären Vorgängen von 1789. Infolge der Auswanderung der Hugenotten nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes im Jahr 1685 kam es zu schweren Schädigungen der Merkantilwirtschaft. Eine Heerschar wirtschaftlich überaus aktiver Kräfte, ausgestattet mit hervorragenden Fertigkeiten und Fachkenntnissen, verließ das Land, dessen Wohlstand sie durch beharrlichen Fleiß, rastlose Arbeit und Sparsamkeit beträchtlich vermehrt hatte. Die Polizeischikanen der Regierung trieben fast 500 000 Menschen ins Ausland. Mit Freuden wurden sie in anderen europäischen Ländern, vor allem in den Niederlanden, England und Brandenburg aufgenommen, wo sie nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Aufbau beitrugen.

    Ludwig XIV. strebte nach der Hegemonie in Europa und suchte mit allen Mitteln, auch durch Rechtsbruch, Gewalt und Krieg, die reichen spanischen Niederlande und die Rheingrenze zu gewinnen.


    Diese Aggressivität rief die gemeinsame Abwehr der meisten westlichen Staaten Europas hervor - unter Führung Englands, wo Wilhelm III. als König die antifranzösische Politik seiner niederländischen Heimat fortsetzte, und Österreichs. Wilhelm schuf sich in der Bank von England 1694 ein Instrument der Kriegsfinanzierung durch Heranziehung von Privatkapital. Ludwig stürzte Frankreich in eine Folge von Kriegen. Im Devolutionskrieg, den Kriegen gegen die Niederlande und die Pfalz, mit der Brandschatzung dieses Lands im Spanischen Erbfolgekrieg und in den Kämpfen um die Reunionen erzielte er Teilerfolge (Eroberung der niederländischer Grenzstädte wie Lilie, Valenciennes und Ypern, Annexion von Städten und Dörfern im Elsass und in Lothringen), mutete aber Frankreich schwere Opfer zu und erschöpfte vor allem seine wirtschaftlichen Kräfte.

    Verhängnisvoll wurde die Inbesitznahme der alten deutschen Reichsstadt Straßburg (1681) für das deutsch-französische Verhältnis der nächsten Jahrhunderte. Mit allem Pomp feierte Ludwig den Einzug in die preisgegebene Stadt. "Ciausa Germanis Gallia" (Verschlossen ist Frankreich den Deutschen) stand auf der Gedenkmünze zu lesen, die er prägen ließ. Am selben Tag eroberte sein Heer Casale am Po. "An einem Tag hat der König, größer als Cäsar, den Rhein und den Po unterworfen", schmeichelte ihm ein französischer Pamphletist.

    Seit dem Friedensschluss in Rijswijk 1697, der den pfälzischen Krieg beendete, wurde die Vormachtstellung Frankreichs durch ein Mächtegleichgewicht in Europa abgelöst, da sich in diesem Krieg die Große Allianz der Seemächte England und Holland mit den deutschen Reichsfürsten, Österreich, Spanien, Schweden und Savoyen sich als gleichstarker Gegner erwiesen hatte. Bei Höchstädt unterlagen die verbündeten Franzosen und Bayern den Truppen der Großen Allianz unter Führung von Prinz Eugen und Marlborough. Östlich von Cherbourg, bei La Hague, unterlag die französische Flotte. Die beabsichtigte Invasion in England war vereitelt. Das Ereignis hatte für Frankreich die gleiche Bedeutung wie der Untergang der Armada für Spanien.

    Mit dem Frieden von Utrecht (1713), der den Spanischen Erbfolgekrieg abschloss, löste England Frankreich als führende Macht in Europa ab. Gleichzeitig erweiterte es seine koloniale Einflusssphäre. Frankreich musste Gebiete im späteren Dominion Kanada abtreten. Die Eroberung Gibraltars und Menorcas sicherte England die Vormacht im Mittelmeer. Spanien musste sich die Beteiligung englischer Schiffe am Sklavenhandel gefallen lassen und der Portugalhandel blieb, im Methuenvertrag von 1703 festgelegt, englisches Monopol. Die englische Diplomatie (Bolingbroke) verstand es, der neuen Lage den Anschein des europäischen Gleichgewichts zu geben, indem sie geflissentlich die Weltinteressen ihres Landes betonte und vorgab, auf dem europäischen Festland nur die Rolle des Mittlers und Friedensgaranten zu spielen.

    Zwischen 1713 und 1740 tritt auf den europäischen Schlachtfeldern vorübergehend Ruhe ein. Die kurze Friedenszeit ist gekennzeichnet durch den Ausgleich der französisch-britischen, bzw. französisch-österreichischen Gegensätze durch Konvenienz (Übereinkunft der Kabinette).

    Der durch den Einmarsch Friedrichs II. in Schlesien ausgelöste Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748) und der Siebenjährige Krieg (1756-1763) leiten den Niedergang des absolutistischen Frankreichs ein. Außenpolitisch ist es so geschwächt, dass 1772 fast widerstandslos die Erste Teilung Polens hingenommen werden muss, im Innern droht Staatsbankrott. Im Bereich der Kolonialpolitik mussten erneut schwere Einbußen hingenommen werden. Seit 1739 lag England in Nordamerika im Kampf mit Spanien, seit 1744 auch mit Frankreich. Seit 1754 ging es um den Besitz Kanadas. Im Frieden von Paris (1763) verzichtete Frankreich praktisch auf seine nordamerikanische Position, während der Besitz seines großen Rivalen England nunmehr von der Hudson-Bay bis zum Mississippi reichte. Aber auch in Indien begann England mit der Inbesitznahme bengalischen Gebiets Frankreich zu überflügeln. Clive erfocht dort seine Siege für England. Amerika und Indien, so konnte der leitende englische Minister, William Pitt d. Ältere, mit Recht dem Parlament erklären, waren als Eckpfeiler des britischen Imperiums auf den kontinentalen Schlachtfeldern des Siebenjährigen Krieges gewonnen worden. Frankreich und Spanien schieden als Seemächte von Rang aus der weltgeschichtlichen Entwicklung aus.


    Das wirtschaftlich und gesellschaftlich aufsteigende Bürgertum Frankreichs, vom absolutistischen Wirtschaftssystem des Merkantilismus großgezogen, war in der geistigen Welt der Aufklärung selbstbewusst geworden und sah die unerfreuliche Lage des Lands in aller Schärfe. Es gab alle Schuld dem Regime und der Oberschicht, die ihm die politische Mitwirkung versagten. Als Ludwig XVI. (1774-1793) und seine Minister Turgot und Necker sich schließlich, zögernd und viel zu spät, zu Reformmaßnahmen entschlossen, war der Gang der Ereignisse nicht mehr aufzuhalten. Die Reformen blieben zu oberflächlich; nur wirkliche Eingriffe hätten helfen können. Aber selbst diese bescheidenen Versuche scheiterten am Widerstand der Aristokratie. Ihr Fehlschlagen löste die Französische Revolution von 1789 aus, die nicht nur in Frankreich, sondern in Europa die Epoche des Absolutismus beendete.

    Die Kämpfe der europäischen Verbündeten gegen die französische Vorherrschaft waren eng mit der Geschichte der Donaumonarchie und vor allem deren Abwehrkampf im Südosten gegen die Türken 1683-1699 verknüpft. Die Türken brachten den Habsburgerstaat zeitweise in höchste Gefahr. Die osmanischen Verbündeten Ludwigs standen vor Wien und nur durch Zusammenfassung der Streitkräfte des Reichs, Österreichs und Polens gelang die Rettung der Hauptstadt. Die glückliche Wendung im Kriegsgeschehen machte Österreich schließlich zum Herrn in Ungarn und in Teilen der ehemals türkischen Balkangebiete und damit zur neuen Vormacht in Südosteuropa. Unter der von staatsmännischer Weisheit und militärischer Genialität getragenen Staatsführung des Prinzen Eugen von Savoyen (1663-1736, seit 1683 in österreichischen Diensten), erfüllte Österreich seine doppelte europäische Aufgabe als Verteidiger der deutschen Westgrenze gegen die französische Expansion und der europäischen Kultur- und Zivilisationsgrenze im Südosten des Kontinents. So konnte es im Einvernehmen mit England eine geraume Zeit die Rolle einer europäischen Vormacht an Stelle Frankreichs übernehmen.

    Erst als sich durch den Aufstieg Preußens und Russlands die Lage wandelte und die Donaumonarchie im Kampf gegen Preußen den Umsturz des Großmächtesystems in Europa herbeiführte, ging ihr mit Schlesien und der Freundschaft Englands auch seine führende europäische Stellung verloren.