Geschichte: Das Fränkische Reich

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    Für die Gestaltung der abendländischen Geschichte gewannen unter den westgermanischen Stämmen die Franken eine herausragende Bedeutung. Ihr Königsgeschlecht der Merowinger hatte schon im 5. Jahrhundert unter Childerich (gest. 482) im flandrischen Raum seine Teilherrschaft über dort siedelnde Stammesgruppen gefestigt. Unter dem bedeutenden König Chlodwig I. (482-511) begann die Erweiterung des Gaukönigtums zu einer umfassenden Herrschaft über Germanen und Gallier. Soweit Chlodwigs Persönlichkeit aus den Quellen deutlich wird, kennzeichnen ihn kluge Berechnung und politische Instinktsicherheit in der Nutzung günstiger Situationen ebenso wie brutale, bedenkenlose Herrschsucht. 486 machte sich Chlodwig durch seinen Sieg über den römischen Befehlshaber Syagrius zum Herrn in Nordfrankreich und beendet damit die letzten Reste der römischen Herrschaft in Gallien. Seine Residenz verlegte er vom flandrischen Doornik (Tournai) nach Soissons.


    Die einwandernden Franken wurden unter Chlodwigs Herrschaft im Gegensatz zu den Verhältnissen in den anderen Germanenreichen auf römischem Boden nicht Herren über die römisch-gallischen Staatsbürger, sondern nur gleichberechtigte Partner. Den Galliern blieben Besitz und politische Rechte erhalten. Das machte sie um so eher geneigt, in Chlodwig den Nachfolger des römischen Kaisers zu sehen und auf ihn den Gehorsam der römischen Untertanen zu übertragen. Chlodwigs innere Machtstellung wurde dadurch weit über das Maß germanischer Gewohnheit hinaus gestärkt, denn Könige und Fürsten der Germanen mussten sich das Mitregiment mindestens des hohen Adels gefallen lassen. Nordostfrankreich wurde durch fränkische Bauern auf friedliche Weise besiedelt. Freilich wurden diese Franken sehr bald, auch sprachlich, romanisiert.

    Das heutige Frankreich hat nicht nur seinen Namen, sondern auch seinen Bevölkerungsaufbau aus jener Zeit. So zeigt sich heute noch deutlich der fränkische Einschlag in der nordfranzösischen Bevölkerung, die sich stark von den Südfranzosen unterscheidet. Nur dort, wo fränkisches und westgermanisches Volkstum den räumlichen Zusammenhang mit dem germanischen Kernland wahrte, hat es auch an seiner Sprache festhalten können. Nach Jahrhunderten einer langsamen Rückzugsbewegung hat sich schließlich die heutige romanisch-germanische Sprachgrenze gegenüber Flamen, Holländern (geschichtlich aus Nordfranken hervorgegangen), Deutschen und Schweizern (fränkisch-alemannischer Stammesherkunft) herausgebildet.

    Chlodwigs Übertritt zur athanasianischen, d.h. römisch-katholischen Form des Christentums (496) brachte ihn in scharfen Gegensatz zur Politik der arianischen Südgermanen und zu Theoderichs großgermanischer Reichspolitik, beschleunigte aber die wechselseitige Annäherung der fränkischen und gallischen Bevölkerungsteile in seinem Reich, was wiederum der königlichen Machtstellung zugute kam. 496 wurden die Alemannen unterworfen; nur das Burgunderreich, gestützt von Theoderich, trotzte noch der fränkischen Herrschaft. Auch die Westgoten mussten sich seit der Schlacht von Vougle (507) aus Südfrankreich bis auf einen Landstreifen an der Mittelmeerküste zurückziehen. Mit der Beseitigung bestehender Gaukönigtümer schuf Chlodwig schließlich ein fränkisches Universalreich.

    Nach einer Periode der Reichsteilung unter seinen Söhnen und des folgenden Niedergangs seiner Dynastie wurde es von den Hausmeiern, den höchsten Hofbeamten im östlichen Teilreich Austrasien (Hauptstadt: Metz), wieder erneuert.

    Das Hausmeiergeschlecht der Karolinger (Karlinger) trat mit Pippin dem Mittleren (gest. 714) aktiv in die gesamtfränkische Reichsgeschichte ein. Sein Sohn Karl Martell ("der Hammer", 714-741) einte das Reich und überwand mit seinem schwer gepanzerten Reiterheer in der Doppelschlacht von Tours und Poitiers (732) die von Spanien her drohende Gefahr einer arabischen Invasion. Pippin der Jüngere beseitigte das merowingische Scheinkönigtum und ließ seine tatsächliche Herrschaft durch den päpstlichen Segen, ausgedrückt in der Salbung durch Winfried (Bonifatius), 751 legitimieren. Von diesem Zeitpunkt an datiert die enge Verbindung zwischen dem Papsttum und dem fränkischen Herrscherhaus. Aber auch die fränkische Reichskirche wurde durch das Wirken des Bonifatius (des "Apostels der Deutschen") im Sinn der römischen Hierarchie organisiert und ganz auf Rom ausgerichtet. Im gleichen Sinn wirkte er danach im rechtsrheinischen germanischen Gebiet. In Bayern, Thüringen, Hessen und am Main entstanden auf seine Anregung hin Bischofssitze und Klöster (Fulda als berühmtestes Beispiel 744). Die Einheitlichkeit der abendländischen Kirche in Kult, Lehre und Organisation und ihre Bindung an Rom war eine Leistung von europäischem Rang und höchster politisch-historischer Bedeutung. Als Winfried 754 in Friesland den Märtyrertod erlitt, ließ er ein dauerhaft gefestigtes Werk zurück.

    Die Gegendienste Pippins für die moralische Unterstützung des Papsttums bestanden seit 754 auch in der Hilfe für Papst Stephan II. gegen die Langobarden. Nach siegreichen Feldzügen konnte der Papst die ehemals oströmischen Gebiete Mittelitaliens seinem Besitz im Umkreis Roms, dem "Patrimonium Petri", hinzufügen. Zwischen Pippin und dem Papst kam es zu einem nicht im Wortlaut erhaltenen Vertrag (so genannte Pippinsche Schenkung), in dem Pippin dem Papst darüber hinaus die Rückgabe des von den Langobarden eroberten Exarchats von Ravenna und anderer Gebiete versprach. So entstand der Kirchenstaat, der durch eine (nach neueren Erkenntnissen vielleicht in den päpstlichen Kanzleien angefertigte) Fälschung, die Urkunde der "Konstantinischen Schenkung", seine historische Rechtfertigung aus einem angeblichen Akt des römischen Kaisers Konstantin d. Gr. (306-324) erfahren sollte. Pippins Sohn war Karl, später der Große genannt.


    Ein harmonisches Bild vermitteln die Quellen von diesem Herrscher, von seiner privaten wie von der politischen Sphäre. Als ein lebensfroher, den Freuden des Daseins aufgeschlossener Mensch, der sich jedoch strenge Selbstzucht auferlegte, nahm er die Zügel des Frankenreichs kraftvoll in die Hand. Der Tod seines Bruders Karlmann (771) machte Karl den Großen (768-814) zum Alleinherrscher im Reich. Alsbald wandte er seine politische Tatkraft den ungelösten Fragen an den Reichsgrenzen zu. Er nahm den Kampf gegen die erneut Rom und den Papst bedrohenden Langobarden wieder auf, wagte aber sogleich auch den Angriff gegen die Sachsen, die sich sowohl politisch als auch religiös dem fränkischen Einfluss zu entziehen versuchten. 772 zerstörte er im Verlauf eines ersten kriegerischen Unternehmens ihr Volksheiligtum, eine das Weltall symbolisierende Säule (Irminsul), und entfesselte damit einen Kampf, der beide Stämme zu erbittert ringenden Gegnern machen sollte.

    Im Jahre 774 gelang die Unterwerfung der Langobarden. Karl erhielt mit der "eisernen Krone" die langobardische Königswürde, nachdem der Fall der Hauptstadt Pavia das Schicksal des Langobardenreichs besiegelt hatte. In Rom erneuerte er das fränkische Bündnis mit dem Papst und bestätigte die Pippinsche Schenkung.

    Der Fortgang des Sachsenkriegs in den folgenden Jahren war unterbrochen durch gelegentliches Eingreifen gegen aufständischen Langobardenadel in Oberitalien und 778 durch den Pyrenäenfeldzug gegen den Kalifen von Cordoba, den Karl auf das Hilfegesuch arabischer Kleinfürsten hin unternahm (Rolandsage). In den Feldzügen der Jahre 781 und 787/88 gliederte er das inzwischen sehr selbstständig gewordene Bayern dem Reich wieder ein, 790-796 unterwarf er die Awaren. Im Westen wie im Osten sicherte er die fränkische Herrschaft durch die Gründung der spanischen und awarischen Grenzmarken. Danach baute er seine Herrschaftssphäre in Italien (er wurde "Patricius Romanorum", d.h. Schutzherr der Römer) sowie in Spanien aus und erzwang durch Unternehmen östlich der Elbe den Gehorsam der Slawen. Auch die Bretonen in Nordwestfrankreich mussten sich seinem Willen nach Grenzsicherung des Reichs beugen. Während all dieser Unternehmungen aber ging der Sachsenkrieg weiter.

    Die Sachsen waren ein noch expandierendes Volk, gleichsam die letzten Vertreter der Wanderungsbewegung, die im übrigen germanisch beherrschten Europa zur Zeit der Karolinger im Großen und Ganzen zum Stillstand gekommen war. So bedrohten sie ständig die fränkische Nord- und Ostgrenze und beschworen damit zunächst karolingische Verteidigungs- und Grenzbefestigungsmaßnahmen, schließlich aber unter Karl dem Großen die Gegenoffensive der Franken herauf. Diese führte zur Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich und in die christlich-abendländische Ordnung. In Lebenshaltung und politischer Verfassung hatten die Sachsen bis zum Zeitpunkt des Konflikts germanische Überlieferungen und Lebensformen stärker bewahrt als die übrigen Westgermanen. Ein Königtum mit starker Führungsgewalt hatte sich nicht gebildet. Innere Gegensätze sollten sich im Abwehrkampf nach außen als nachteilig erweisen. So gelang es Karl, im Jahre 782 das sächsische Stammesgebiet durch rigoroses Vorgehen (Tötung von 4500 Sachsen in Verden an der Aller, gewaltsame Christianisierung des Stamms) dem Fränkischen Reich einzugliedern.

    Die Kirche und ihr Besitz standen völlig unter königlichem Regiment. Der König war ihr Herr; ihr Besitz war Lehen aus seiner Hand. Karl sorgte durch Einführung der Metropolitanverfassung für den Ausbau der kirchlichen Organisation. Die Bischofsgewalt wurde den vier Erzbistümern Mainz, Trier, Köln und Salzburg untergeordnet. Die Bildung des Klerus und die christliche Erziehung des Volks waren Ziele des Kaisers, in dessen Persönlichkeit sich germanisches Lebensgefühl und christliche Gläubigkeit verbanden. Seine Lieblingsresidenz wurde Aachen, wo er nach dem Vorbild von San Vitale in Ravenna die Palastkapelle als Zentralbau errichten ließ.

    Die spezifische, beiderseitigem Nutzen dienende politisch-religiöse Beziehung zwischen den karolingischen Königen und dem Papsttum wie auch die reale Machtausdehnung des Reichs Karls fanden ihren institutionellen Ausdruck in der Krönung Karls zum Römischen Kaiser durch Papst Leo III. am Weihnachtstag des Jahres 800 in der Peterskirche zu Rom. Damit war die Idee eines neuen germanisch-römischen Universalreichs zum ersten Mal politische Realität geworden. Auch von Karl selbst wurde es als "Renovatio", als Erneuerung des Römischen Imperiums christlicher Prägung (so wie es einst unter Kaiser Konstantin bestanden hatte) aufgefasst.


    Die Grundlage der karolingischen Reichsverfassung war das Lehnswesen. Da ein besoldetes Beamtentum nach römischem Muster wegen der vorherrschenden Naturalwirtschaft fehlte, war der fränkische König zur Durchsetzung seiner Herrschaft auf die mit Grundbesitz belehnten Vasallen angewiesen. Freilich wurden unter den weniger bedeutenden Nachfolgern Karls die Schwächen und Gefahren dieses Systems alsbald deutlich. In einer Zeit, da Herrschaft in hohem Maß von der persönlichen Präsenz des Herrschers abhing, führte die gewaltige Überdehnung des Reichs zwangsläufig zur Ausbildung lokaler und partikularer Gewalten, die in zunehmend erfolgreiche Konkurrenz zur Zentralgewalt des Königtums traten.

    Die umfangreichen Landschenkungen an die Kirche sowie die Ausdehnung des Adelsbesitzes führten zu großzügigen Rodungen, die von den Grundbesitzern finanziert und von ihren Leibeigenen durchgeführt wurden. Die Ansiedlung dieser Leibeigenen in den neu gewonnenen Anbaugebieten brachte die allmähliche Ablösung der germanischen Leibherrschaft (Munt) durch die Grundherrschaft (Gewere).

    Das Reich Karls des Großen (gest. 814) war nicht von Dauer. Die Reichsteilungsverträge von Verdun (843), Mersen (870) und Ribemont (880) unter seinen Enkeln Lothar, Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen zeigen den vorläufigen Zusammenbruch des abendländischen Universalreichsgedankens. Erst unter Otto dem Großen lebte er im Ostfränkischen Reich (später Deutsches Reich genannt) wieder auf.